men wurden. Alle junge Printzen, Grafen und Edle setz- ten sich auf und zogen auf Abendtheuer aus, schwermeten etli- che Jahre in der Welt herum, und wenn sie eine Weile ihre Lust gebüsset hatten, kamen sie nach Hause, und logen grosse Plätze von ihren Thaten her. Da hatten sie feurige Dra- chen, und dort grosse Riesen erlegt; hier gantze Länder, dort keusche Prinzeßinnen errettet u. s. w. Die Unverständigen hörten diesen so wohl versuchten Ritters-Leuten, als neuen Ev- angelisten zu: und die eine Gabe zum Schreiben hatten, ka- men auf die Gedancken, gantze Bücher von solchen wunderli- chen Abendtheuren zu verfertigen. Da gieng es nun an ein schwermen. Räuber und Mörder; irrende Ritter, unge- heure Riesen, verkleidete Prinzeßinnen, Wüsteneyen, Wäl- der, Höhen, Berge, Mord und Todschlag, Drachen, Teu- fel, Erscheinungen, Hexen-Meister und Zauber-Schlösser; das alles, sage ich, kostete ihnen nichts; daher verschwendeten die Herrn Poeten diese Zierrathe in ihren Gedichten ohne Maaß und Ziel; und wer seine Fabeln am besten damit aus- staffiren konnte, das war der Beste.
Es ist unnöthig zu sagen, daß auch in Deutschland dieser Geschmack der Ritter-Bücher eingerissen gewesen; denn ein jeder besinnt sich wenigstens auf den gehörnten Ritter Sieg- fried: des Hercules und Herculiscus und Arminius itzo nicht zu gedencken, die vielleicht zu einer bessern Classe gehören. So viel ist gewiß, daß der Ritter Theuerdanck ein solch Buch ist, welches Pfinzing, ein Probst zu St. Alban in Nürn- berg, dem Käyser Maximilian zu Ehren verfertiget hat. Denn ob wohl ein gelehrter Mann in Altdorf in diesem vor zwey hundert und funfzehn Jahren geschriebenen Wercke die Spuren von den Regeln eines Helden-Gedichtes finden wol- len; wie aus einer besondern Dissertation über dieses Buch erhellet: So sehe ich doch nicht ab, daß der gute Verfasser desselben dieses im Sinne gehabt; wie eben dieser geschickte Scribent bald darauf selber gesteht. Wir lassen also unsern Theuerdanck unter der Zahl der Helden-Bücher, die dem barbarischen Geschmacke unsrer Vorfahren, nicht aber den Regeln eines vernünftigen Helden-Gedichtes gemäß sind.
Jn
Des II Theils IX Capitel
men wurden. Alle junge Printzen, Grafen und Edle ſetz- ten ſich auf und zogen auf Abendtheuer aus, ſchwermeten etli- che Jahre in der Welt herum, und wenn ſie eine Weile ihre Luſt gebuͤſſet hatten, kamen ſie nach Hauſe, und logen groſſe Plaͤtze von ihren Thaten her. Da hatten ſie feurige Dra- chen, und dort groſſe Rieſen erlegt; hier gantze Laͤnder, dort keuſche Prinzeßinnen errettet u. ſ. w. Die Unverſtaͤndigen hoͤrten dieſen ſo wohl verſuchten Ritters-Leuten, als neuen Ev- angeliſten zu: und die eine Gabe zum Schreiben hatten, ka- men auf die Gedancken, gantze Buͤcher von ſolchen wunderli- chen Abendtheuren zu verfertigen. Da gieng es nun an ein ſchwermen. Raͤuber und Moͤrder; irrende Ritter, unge- heure Rieſen, verkleidete Prinzeßinnen, Wuͤſteneyen, Waͤl- der, Hoͤhen, Berge, Mord und Todſchlag, Drachen, Teu- fel, Erſcheinungen, Hexen-Meiſter und Zauber-Schloͤſſer; das alles, ſage ich, koſtete ihnen nichts; daher verſchwendeten die Herrn Poeten dieſe Zierrathe in ihren Gedichten ohne Maaß und Ziel; und wer ſeine Fabeln am beſten damit aus- ſtaffiren konnte, das war der Beſte.
Es iſt unnoͤthig zu ſagen, daß auch in Deutſchland dieſer Geſchmack der Ritter-Buͤcher eingeriſſen geweſen; denn ein jeder beſinnt ſich wenigſtens auf den gehoͤrnten Ritter Sieg- fried: des Hercules und Herculiſcus und Arminius itzo nicht zu gedencken, die vielleicht zu einer beſſern Claſſe gehoͤren. So viel iſt gewiß, daß der Ritter Theuerdanck ein ſolch Buch iſt, welches Pfinzing, ein Probſt zu St. Alban in Nuͤrn- berg, dem Kaͤyſer Maximilian zu Ehren verfertiget hat. Denn ob wohl ein gelehrter Mann in Altdorf in dieſem vor zwey hundert und funfzehn Jahren geſchriebenen Wercke die Spuren von den Regeln eines Helden-Gedichtes finden wol- len; wie aus einer beſondern Diſſertation uͤber dieſes Buch erhellet: So ſehe ich doch nicht ab, daß der gute Verfaſſer deſſelben dieſes im Sinne gehabt; wie eben dieſer geſchickte Scribent bald darauf ſelber geſteht. Wir laſſen alſo unſern Theuerdanck unter der Zahl der Helden-Buͤcher, die dem barbariſchen Geſchmacke unſrer Vorfahren, nicht aber den Regeln eines vernuͤnftigen Helden-Gedichtes gemaͤß ſind.
Jn
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Des II Theils IX Capitel
men wurden. Alle junge Printzen, Grafen und Edle ſetz-
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che Jahre in der Welt herum, und wenn ſie eine Weile ihre
Luſt gebuͤſſet hatten, kamen ſie nach Hauſe, und logen groſſe
Plaͤtze von ihren Thaten her. Da hatten ſie feurige Dra-
chen, und dort groſſe Rieſen erlegt; hier gantze Laͤnder, dort
keuſche Prinzeßinnen errettet u. ſ. w. Die Unverſtaͤndigen
hoͤrten dieſen ſo wohl verſuchten Ritters-Leuten, als neuen Ev-
angeliſten zu: und die eine Gabe zum Schreiben hatten, ka-
men auf die Gedancken, gantze Buͤcher von ſolchen wunderli-
chen Abendtheuren zu verfertigen. Da gieng es nun an ein
ſchwermen. Raͤuber und Moͤrder; irrende Ritter, unge-
heure Rieſen, verkleidete Prinzeßinnen, Wuͤſteneyen, Waͤl-
der, Hoͤhen, Berge, Mord und Todſchlag, Drachen, Teu-
fel, Erſcheinungen, Hexen-Meiſter und Zauber-Schloͤſſer;
das alles, ſage ich, koſtete ihnen nichts; daher verſchwendeten
die Herrn Poeten dieſe Zierrathe in ihren Gedichten ohne
Maaß und Ziel; und wer ſeine Fabeln am beſten damit aus-
ſtaffiren konnte, das war der Beſte.
Es iſt unnoͤthig zu ſagen, daß auch in Deutſchland dieſer
Geſchmack der Ritter-Buͤcher eingeriſſen geweſen; denn ein
jeder beſinnt ſich wenigſtens auf den gehoͤrnten Ritter Sieg-
fried: des Hercules und Herculiſcus und Arminius itzo nicht
zu gedencken, die vielleicht zu einer beſſern Claſſe gehoͤren.
So viel iſt gewiß, daß der Ritter Theuerdanck ein ſolch Buch
iſt, welches Pfinzing, ein Probſt zu St. Alban in Nuͤrn-
berg, dem Kaͤyſer Maximilian zu Ehren verfertiget hat.
Denn ob wohl ein gelehrter Mann in Altdorf in dieſem vor
zwey hundert und funfzehn Jahren geſchriebenen Wercke die
Spuren von den Regeln eines Helden-Gedichtes finden wol-
len; wie aus einer beſondern Diſſertation uͤber dieſes Buch
erhellet: So ſehe ich doch nicht ab, daß der gute Verfaſſer
deſſelben dieſes im Sinne gehabt; wie eben dieſer geſchickte
Scribent bald darauf ſelber geſteht. Wir laſſen alſo unſern
Theuerdanck unter der Zahl der Helden-Buͤcher, die dem
barbariſchen Geſchmacke unſrer Vorfahren, nicht aber den
Regeln eines vernuͤnftigen Helden-Gedichtes gemaͤß ſind.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/572>, abgerufen am 28.07.2024.
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