Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Des II Theils VII Capitel
Jch dachte was mich bisse;
Jst das nicht ein Geküsse!
Jn der Comödie; die Leute stehn dabey!
Ey, ey! die Liebes-Glut brennt wie ein heisser Brey.
Doch halt, der Bräutgam küßt die Braut;
Das läßt sich endlich hören,
Wir wollen sie nicht stören,
Denn nechstens werden sie getraut.
Ja, Herr Patron, das macht der Wind.
Durch diesen Spruch kam jener vormahls blind;
Allein wir gehen weiter,
Als dieser Bärenhäuter.
Denn was macht nicht der liebe Wind?
Daß Stümper Aemter kriegen,
Daß feige Memmen siegen,
Daß Jgnoranten steigen,
Daß Fiedler künstlich geigen,
Daß Thoren Weise heissen,
Daß alte Schwarten gleißen,
Daß dieser Bücher schreibet,
Daß jener sich beweibet,
Daß mancher grossen Staat geführet,
Der itzo Haus und Hof verliehret;
Das alles macht der liebe Wind,
Drum höre zu, mein Kind,
An dieser güldnen Kunst ist all dein Glück gelegen.
Wind macht glücklich, Wind bringt Seegen,
Wind macht Gönner, Wind macht Freunde,
Wind besänftigt auch die Feinde,
Wind macht reich, gelehrt und klug,
Und wem das alles fehlt, der macht nicht Wind genug.
Drum wunderts uns, daß noch kein Pansophus
Den alten Windgott Aeolus
Zum Glücks-Patron erlesen;
Und daß kein Philosoph zur Zeit so klug gewesen,
Zu zeigen, daß die gantze Welt,
Wo alles sich durch lauter Wind erhält,
Aus Wind entstanden sey.
Was uns betrifft, so sagen wir es frey,
Der Wind sey bloß das Element,
Daraus die Welt bestehet,
Darein sie sich zertrennt,
Wenn sie dereinst vergehet.
A ha!
Des II Theils VII Capitel
Jch dachte was mich biſſe;
Jſt das nicht ein Gekuͤſſe!
Jn der Comoͤdie; die Leute ſtehn dabey!
Ey, ey! die Liebes-Glut brennt wie ein heiſſer Brey.
Doch halt, der Braͤutgam kuͤßt die Braut;
Das laͤßt ſich endlich hoͤren,
Wir wollen ſie nicht ſtoͤren,
Denn nechſtens werden ſie getraut.
Ja, Herr Patron, das macht der Wind.
Durch dieſen Spruch kam jener vormahls blind;
Allein wir gehen weiter,
Als dieſer Baͤrenhaͤuter.
Denn was macht nicht der liebe Wind?
Daß Stuͤmper Aemter kriegen,
Daß feige Memmen ſiegen,
Daß Jgnoranten ſteigen,
Daß Fiedler kuͤnſtlich geigen,
Daß Thoren Weiſe heiſſen,
Daß alte Schwarten gleißen,
Daß dieſer Buͤcher ſchreibet,
Daß jener ſich beweibet,
Daß mancher groſſen Staat gefuͤhret,
Der itzo Haus und Hof verliehret;
Das alles macht der liebe Wind,
Drum hoͤre zu, mein Kind,
An dieſer guͤldnen Kunſt iſt all dein Gluͤck gelegen.
Wind macht gluͤcklich, Wind bringt Seegen,
Wind macht Goͤnner, Wind macht Freunde,
Wind beſaͤnftigt auch die Feinde,
Wind macht reich, gelehrt und klug,
Und wem das alles fehlt, der macht nicht Wind genug.
Drum wunderts uns, daß noch kein Panſophus
Den alten Windgott Aeolus
Zum Gluͤcks-Patron erleſen;
Und daß kein Philoſoph zur Zeit ſo klug geweſen,
Zu zeigen, daß die gantze Welt,
Wo alles ſich durch lauter Wind erhaͤlt,
Aus Wind entſtanden ſey.
Was uns betrifft, ſo ſagen wir es frey,
Der Wind ſey bloß das Element,
Daraus die Welt beſtehet,
Darein ſie ſich zertrennt,
Wenn ſie dereinſt vergehet.
A ha!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0538" n="510"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">VII</hi> Capitel</hi> </fw><lb/>
              <lg n="17">
                <l>Jch dachte was mich bi&#x017F;&#x017F;e;</l><lb/>
                <l>J&#x017F;t das nicht ein Geku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e!</l><lb/>
                <l>Jn der Como&#x0364;die; die Leute &#x017F;tehn dabey!</l><lb/>
                <l>Ey, ey! die Liebes-Glut brennt wie ein hei&#x017F;&#x017F;er Brey.</l><lb/>
                <l>Doch halt, der Bra&#x0364;utgam ku&#x0364;ßt die Braut;</l><lb/>
                <l>Das la&#x0364;ßt &#x017F;ich endlich ho&#x0364;ren,</l><lb/>
                <l>Wir wollen &#x017F;ie nicht &#x017F;to&#x0364;ren,</l><lb/>
                <l>Denn nech&#x017F;tens werden &#x017F;ie getraut.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="18">
                <l>Ja, Herr Patron, das macht der Wind.</l><lb/>
                <l>Durch die&#x017F;en Spruch kam jener vormahls blind;</l><lb/>
                <l>Allein wir gehen weiter,</l><lb/>
                <l>Als die&#x017F;er Ba&#x0364;renha&#x0364;uter.</l><lb/>
                <l>Denn was macht nicht der liebe Wind?</l><lb/>
                <l>Daß Stu&#x0364;mper Aemter kriegen,</l><lb/>
                <l>Daß feige Memmen &#x017F;iegen,</l><lb/>
                <l>Daß Jgnoranten &#x017F;teigen,</l><lb/>
                <l>Daß Fiedler ku&#x0364;n&#x017F;tlich geigen,</l><lb/>
                <l>Daß Thoren Wei&#x017F;e hei&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Daß alte Schwarten gleißen,</l><lb/>
                <l>Daß die&#x017F;er Bu&#x0364;cher &#x017F;chreibet,</l><lb/>
                <l>Daß jener &#x017F;ich beweibet,</l><lb/>
                <l>Daß mancher gro&#x017F;&#x017F;en Staat gefu&#x0364;hret,</l><lb/>
                <l>Der itzo Haus und Hof verliehret;</l><lb/>
                <l>Das alles macht der liebe Wind,</l><lb/>
                <l>Drum ho&#x0364;re zu, mein Kind,</l><lb/>
                <l>An die&#x017F;er gu&#x0364;ldnen Kun&#x017F;t i&#x017F;t all dein Glu&#x0364;ck gelegen.</l><lb/>
                <l>Wind macht glu&#x0364;cklich, Wind bringt Seegen,</l><lb/>
                <l>Wind macht Go&#x0364;nner, Wind macht Freunde,</l><lb/>
                <l>Wind be&#x017F;a&#x0364;nftigt auch die Feinde,</l><lb/>
                <l>Wind macht reich, gelehrt und klug,</l><lb/>
                <l>Und wem das alles fehlt, der macht nicht Wind genug.</l><lb/>
                <l>Drum wunderts uns, daß noch kein Pan&#x017F;ophus</l><lb/>
                <l>Den alten Windgott Aeolus</l><lb/>
                <l>Zum Glu&#x0364;cks-Patron erle&#x017F;en;</l><lb/>
                <l>Und daß kein Philo&#x017F;oph zur Zeit &#x017F;o klug gewe&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Zu zeigen, daß die gantze Welt,</l><lb/>
                <l>Wo alles &#x017F;ich durch lauter Wind erha&#x0364;lt,</l><lb/>
                <l>Aus Wind ent&#x017F;tanden &#x017F;ey.</l><lb/>
                <l>Was uns betrifft, &#x017F;o &#x017F;agen wir es frey,</l><lb/>
                <l>Der Wind &#x017F;ey bloß das Element,</l><lb/>
                <l>Daraus die Welt be&#x017F;tehet,</l><lb/>
                <l>Darein &#x017F;ie &#x017F;ich zertrennt,</l><lb/>
                <l>Wenn &#x017F;ie derein&#x017F;t vergehet.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">A ha!</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[510/0538] Des II Theils VII Capitel Jch dachte was mich biſſe; Jſt das nicht ein Gekuͤſſe! Jn der Comoͤdie; die Leute ſtehn dabey! Ey, ey! die Liebes-Glut brennt wie ein heiſſer Brey. Doch halt, der Braͤutgam kuͤßt die Braut; Das laͤßt ſich endlich hoͤren, Wir wollen ſie nicht ſtoͤren, Denn nechſtens werden ſie getraut. Ja, Herr Patron, das macht der Wind. Durch dieſen Spruch kam jener vormahls blind; Allein wir gehen weiter, Als dieſer Baͤrenhaͤuter. Denn was macht nicht der liebe Wind? Daß Stuͤmper Aemter kriegen, Daß feige Memmen ſiegen, Daß Jgnoranten ſteigen, Daß Fiedler kuͤnſtlich geigen, Daß Thoren Weiſe heiſſen, Daß alte Schwarten gleißen, Daß dieſer Buͤcher ſchreibet, Daß jener ſich beweibet, Daß mancher groſſen Staat gefuͤhret, Der itzo Haus und Hof verliehret; Das alles macht der liebe Wind, Drum hoͤre zu, mein Kind, An dieſer guͤldnen Kunſt iſt all dein Gluͤck gelegen. Wind macht gluͤcklich, Wind bringt Seegen, Wind macht Goͤnner, Wind macht Freunde, Wind beſaͤnftigt auch die Feinde, Wind macht reich, gelehrt und klug, Und wem das alles fehlt, der macht nicht Wind genug. Drum wunderts uns, daß noch kein Panſophus Den alten Windgott Aeolus Zum Gluͤcks-Patron erleſen; Und daß kein Philoſoph zur Zeit ſo klug geweſen, Zu zeigen, daß die gantze Welt, Wo alles ſich durch lauter Wind erhaͤlt, Aus Wind entſtanden ſey. Was uns betrifft, ſo ſagen wir es frey, Der Wind ſey bloß das Element, Daraus die Welt beſtehet, Darein ſie ſich zertrennt, Wenn ſie dereinſt vergehet. A ha!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/538
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/538>, abgerufen am 04.05.2024.