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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils VI Capitel

Kein Licht wird fast geputzt, kein Floh wird umgebracht,
So hat es ein Poet zum Wunderwerck gemacht:
Ja kein geheimer Wind darf im verborgnen streichen,
Der Dichter setzt ihm stracks ein schrifftlich Ehren-Zeichen.

So schmutzig führen sich die neuen Musen auf,
Sie sammlen Koth und Schlamm, und bauen Schlösser drauf.
Drum kan ein edler Geist dieß Stanck-erfüllte Wesen,
Das nach dem Schreiber riecht, unmöglich überlesen.
Die Zoten fliessen ihm mit gantzen Strömen zu,
Wer kan, o grosser Geist, die Kunst so gut als du?
Man hört dich allezeit von lauter Ehebrechen,
Und der verletzten Zucht geschwächter Nymphen sprechen.
Was ist dir Leipzig sonst als ein verdächtig Haus?
Du theilst den Feder-Busch an alle Männer aus,
Als hättest du allein den Freyheits-Brief erhalten,
Das Kuppler-Amt allhier Zeit Lebens zu verwalten;
Damit Priapus ja im Reich der Hurerey,
Nicht länger gantz allein Patron und Schutzherr sey.
Ja, sey es künftig nur: Wer wird es dir doch wehren?
Doch darf kein Kluger sich an solche Narrheit kehren.
Wie Gallensüchtigen auch Wermuth bitter schmeckt,
Und der, so grünes Glas auf seine Nase steckt,
Nur lauter grünes Zeug vor beyden Augen spüret,
Obwohl der falsche Schein nur von der Brille rühret.
So muß es auch allhier den geilen Dichtern gehn:
Weil ihre Lüste stets in reger Wallung stehn,
Muß selbst Lucretia, die Zierde dieser Erden,
Durch ihre Phantasey zur frechen Thais werden.
Mein Leser, zürne nicht, daß mich der Zorn bewegt,
Wer hemmt der Triebe Macht, womit uns Phöbus regt,
Wenn Gänse-Schnäbel sich aus Unverstand nicht scheuen,
Den Reim, das Heiligthum der Musen zu entweyhen.
Jhr Schnattern reitzte mich zu diesem Eifer an,
Und machte, daß mein Kiel, der solches nie gethan,
Dies scharfe Straf-Gedicht auf diese Blätter spritzet.
Ach daß doch Flaccus schon im Todten-Reiche sitzet!
Ach daß doch Juvenal nicht mehr die Welt bewohnt,
Der manches Stümpers Trotz zu seiner Zeit belohnt;
Wenn sein geschärfter Kiel, durch ein satirisch Lachen,
Das albre Zeug gewust zu Schimpf und Spott zu machen.
Ach daß mir nicht Despreaux den kühnen Griffel schickt,
Der manchen Chapelain in seinen Vers gerückt,
Vor welchem Saint Amant, Quinaut, Cotin erbebte,
Da Perrault selbst zuletzt nur seiner Gnade lebte.
Doch

Des II Theils VI Capitel

Kein Licht wird faſt geputzt, kein Floh wird umgebracht,
So hat es ein Poet zum Wunderwerck gemacht:
Ja kein geheimer Wind darf im verborgnen ſtreichen,
Der Dichter ſetzt ihm ſtracks ein ſchrifftlich Ehren-Zeichen.

So ſchmutzig fuͤhren ſich die neuen Muſen auf,
Sie ſammlen Koth und Schlamm, und bauen Schloͤſſer drauf.
Drum kan ein edler Geiſt dieß Stanck-erfuͤllte Weſen,
Das nach dem Schreiber riecht, unmoͤglich uͤberleſen.
Die Zoten flieſſen ihm mit gantzen Stroͤmen zu,
Wer kan, o groſſer Geiſt, die Kunſt ſo gut als du?
Man hoͤrt dich allezeit von lauter Ehebrechen,
Und der verletzten Zucht geſchwaͤchter Nymphen ſprechen.
Was iſt dir Leipzig ſonſt als ein verdaͤchtig Haus?
Du theilſt den Feder-Buſch an alle Maͤnner aus,
Als haͤtteſt du allein den Freyheits-Brief erhalten,
Das Kuppler-Amt allhier Zeit Lebens zu verwalten;
Damit Priapus ja im Reich der Hurerey,
Nicht laͤnger gantz allein Patron und Schutzherr ſey.
Ja, ſey es kuͤnftig nur: Wer wird es dir doch wehren?
Doch darf kein Kluger ſich an ſolche Narrheit kehren.
Wie Gallenſuͤchtigen auch Wermuth bitter ſchmeckt,
Und der, ſo gruͤnes Glas auf ſeine Naſe ſteckt,
Nur lauter gruͤnes Zeug vor beyden Augen ſpuͤret,
Obwohl der falſche Schein nur von der Brille ruͤhret.
So muß es auch allhier den geilen Dichtern gehn:
Weil ihre Luͤſte ſtets in reger Wallung ſtehn,
Muß ſelbſt Lucretia, die Zierde dieſer Erden,
Durch ihre Phantaſey zur frechen Thais werden.
Mein Leſer, zuͤrne nicht, daß mich der Zorn bewegt,
Wer hemmt der Triebe Macht, womit uns Phoͤbus regt,
Wenn Gaͤnſe-Schnaͤbel ſich aus Unverſtand nicht ſcheuen,
Den Reim, das Heiligthum der Muſen zu entweyhen.
Jhr Schnattern reitzte mich zu dieſem Eifer an,
Und machte, daß mein Kiel, der ſolches nie gethan,
Dies ſcharfe Straf-Gedicht auf dieſe Blaͤtter ſpritzet.
Ach daß doch Flaccus ſchon im Todten-Reiche ſitzet!
Ach daß doch Juvenal nicht mehr die Welt bewohnt,
Der manches Stuͤmpers Trotz zu ſeiner Zeit belohnt;
Wenn ſein geſchaͤrfter Kiel, durch ein ſatiriſch Lachen,
Das albre Zeug gewuſt zu Schimpf und Spott zu machen.
Ach daß mir nicht Deſpreaux den kuͤhnen Griffel ſchickt,
Der manchen Chapelain in ſeinen Vers geruͤckt,
Vor welchem Saint Amant, Quinaut, Cotin erbebte,
Da Perrault ſelbſt zuletzt nur ſeiner Gnade lebte.
Doch
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[470/0498] Des II Theils VI Capitel Kein Licht wird faſt geputzt, kein Floh wird umgebracht, So hat es ein Poet zum Wunderwerck gemacht: Ja kein geheimer Wind darf im verborgnen ſtreichen, Der Dichter ſetzt ihm ſtracks ein ſchrifftlich Ehren-Zeichen. So ſchmutzig fuͤhren ſich die neuen Muſen auf, Sie ſammlen Koth und Schlamm, und bauen Schloͤſſer drauf. Drum kan ein edler Geiſt dieß Stanck-erfuͤllte Weſen, Das nach dem Schreiber riecht, unmoͤglich uͤberleſen. Die Zoten flieſſen ihm mit gantzen Stroͤmen zu, Wer kan, o groſſer Geiſt, die Kunſt ſo gut als du? Man hoͤrt dich allezeit von lauter Ehebrechen, Und der verletzten Zucht geſchwaͤchter Nymphen ſprechen. Was iſt dir Leipzig ſonſt als ein verdaͤchtig Haus? Du theilſt den Feder-Buſch an alle Maͤnner aus, Als haͤtteſt du allein den Freyheits-Brief erhalten, Das Kuppler-Amt allhier Zeit Lebens zu verwalten; Damit Priapus ja im Reich der Hurerey, Nicht laͤnger gantz allein Patron und Schutzherr ſey. Ja, ſey es kuͤnftig nur: Wer wird es dir doch wehren? Doch darf kein Kluger ſich an ſolche Narrheit kehren. Wie Gallenſuͤchtigen auch Wermuth bitter ſchmeckt, Und der, ſo gruͤnes Glas auf ſeine Naſe ſteckt, Nur lauter gruͤnes Zeug vor beyden Augen ſpuͤret, Obwohl der falſche Schein nur von der Brille ruͤhret. So muß es auch allhier den geilen Dichtern gehn: Weil ihre Luͤſte ſtets in reger Wallung ſtehn, Muß ſelbſt Lucretia, die Zierde dieſer Erden, Durch ihre Phantaſey zur frechen Thais werden. Mein Leſer, zuͤrne nicht, daß mich der Zorn bewegt, Wer hemmt der Triebe Macht, womit uns Phoͤbus regt, Wenn Gaͤnſe-Schnaͤbel ſich aus Unverſtand nicht ſcheuen, Den Reim, das Heiligthum der Muſen zu entweyhen. Jhr Schnattern reitzte mich zu dieſem Eifer an, Und machte, daß mein Kiel, der ſolches nie gethan, Dies ſcharfe Straf-Gedicht auf dieſe Blaͤtter ſpritzet. Ach daß doch Flaccus ſchon im Todten-Reiche ſitzet! Ach daß doch Juvenal nicht mehr die Welt bewohnt, Der manches Stuͤmpers Trotz zu ſeiner Zeit belohnt; Wenn ſein geſchaͤrfter Kiel, durch ein ſatiriſch Lachen, Das albre Zeug gewuſt zu Schimpf und Spott zu machen. Ach daß mir nicht Deſpreaux den kuͤhnen Griffel ſchickt, Der manchen Chapelain in ſeinen Vers geruͤckt, Vor welchem Saint Amant, Quinaut, Cotin erbebte, Da Perrault ſelbſt zuletzt nur ſeiner Gnade lebte. Doch

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/498>, abgerufen am 22.11.2024.