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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Elegien.
Doch tobt nur immerhin! Schlagt loß ihr Donnerkeile!
Brecht! brecht! sprützet Glut und Schwefel-Flammen aus!
Verdoppelt Blitz mit Blitz, und schiesset Pfeil auf Pfeile,
Ja leget, soll es seyn, mich selbst in Staub und Graus. etc.

Sind das nicht ampullae und sesquipedalia verba, so weiß
ich in der That keine zu finden. Der Poet hat sein Ge-
dichte Liebes-Thränen genennet; aber mich dünckt, es
sind solche, davon Canitz geschrieben:

Geußt solche Thränen aus, die lachens-würdig scheinen,
Und wenn er lachen will, so möchten andre weinen.

Und aus diesen Exempeln der Schreibart, so sich vor die
Elegie nicht schicken, wird man leicht urtheilen, was man
vor eine Behutsamkeit dabey zu gebrauchen habe.

Wegen des äussern habe ich nur noch zu erinnern, daß
man sich bemühen müsse, so viel möglich, einer jeden Zeile
einen vollkommenen Verstand zu geben: oder doch wenig-
stens in zweyen denselben völlig vorzutragen. Sollte aber
auch dieses zuweilen nicht angehen, so muß doch an der vier-
ten Zeile ein Schluß-Punct kommen, der dem gantzen Sa-
tze ein Ende macht. Denn es klingt überaus wiedrig, wenn
sich die Rede erst in der fünften Zeile endiget, wie man aus
folgendem Exempel Joh. Franckens wird abnehmen können.
Es steht p. 41. seiner Trauer-Gedichte.

So hast du auch nunmehr, du Wonn und Zier der Deinen,
Du edle Jahnin, du, du Rahel unsrer Zeit,
Du, als um deren Tod viel fromme Hertzen weinen,
So hast du auch nunmehr itzt dieser Eitelkeit
Jüngst gute Nacht gesagt.

Wie leicht hätte der Poet diesen Ubelstand vermeiden kön-
nen, wenn er anstatt des Wortes hast in der ersten und
vierten Zeile, ziehst, gehst oder eilst hätte setzen, und die
fünfte Zeile mit einem neuen Satze anfangen wollen?

Zum Beschlusse mercke ich an, daß man die Elegien
nicht nur mit weiblichen, sondern auch mit männlichen Zei-
len anfangen könne. Man kan sie bey uns hauptsächlich
zu Trauer-Gedichten und verliebten Sachen, sodann aber
bey Hochzeiten, wo gemeiniglich was verliebtes und zärtli-

ches
D d
Von Elegien.
Doch tobt nur immerhin! Schlagt loß ihr Donnerkeile!
Brecht! brecht! ſpruͤtzet Glut und Schwefel-Flammen aus!
Verdoppelt Blitz mit Blitz, und ſchieſſet Pfeil auf Pfeile,
Ja leget, ſoll es ſeyn, mich ſelbſt in Staub und Graus. ꝛc.

Sind das nicht ampullae und ſesquipedalia verba, ſo weiß
ich in der That keine zu finden. Der Poet hat ſein Ge-
dichte Liebes-Thraͤnen genennet; aber mich duͤnckt, es
ſind ſolche, davon Canitz geſchrieben:

Geußt ſolche Thraͤnen aus, die lachens-wuͤrdig ſcheinen,
Und wenn er lachen will, ſo moͤchten andre weinen.

Und aus dieſen Exempeln der Schreibart, ſo ſich vor die
Elegie nicht ſchicken, wird man leicht urtheilen, was man
vor eine Behutſamkeit dabey zu gebrauchen habe.

Wegen des aͤuſſern habe ich nur noch zu erinnern, daß
man ſich bemuͤhen muͤſſe, ſo viel moͤglich, einer jeden Zeile
einen vollkommenen Verſtand zu geben: oder doch wenig-
ſtens in zweyen denſelben voͤllig vorzutragen. Sollte aber
auch dieſes zuweilen nicht angehen, ſo muß doch an der vier-
ten Zeile ein Schluß-Punct kommen, der dem gantzen Sa-
tze ein Ende macht. Denn es klingt uͤberaus wiedrig, wenn
ſich die Rede erſt in der fuͤnften Zeile endiget, wie man aus
folgendem Exempel Joh. Franckens wird abnehmen koͤnnen.
Es ſteht p. 41. ſeiner Trauer-Gedichte.

So haſt du auch nunmehr, du Wonn und Zier der Deinen,
Du edle Jahnin, du, du Rahel unſrer Zeit,
Du, als um deren Tod viel fromme Hertzen weinen,
So haſt du auch nunmehr itzt dieſer Eitelkeit
Juͤngſt gute Nacht geſagt.

Wie leicht haͤtte der Poet dieſen Ubelſtand vermeiden koͤn-
nen, wenn er anſtatt des Wortes haſt in der erſten und
vierten Zeile, ziehſt, gehſt oder eilſt haͤtte ſetzen, und die
fuͤnfte Zeile mit einem neuen Satze anfangen wollen?

Zum Beſchluſſe mercke ich an, daß man die Elegien
nicht nur mit weiblichen, ſondern auch mit maͤnnlichen Zei-
len anfangen koͤnne. Man kan ſie bey uns hauptſaͤchlich
zu Trauer-Gedichten und verliebten Sachen, ſodann aber
bey Hochzeiten, wo gemeiniglich was verliebtes und zaͤrtli-

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[417/0445] Von Elegien. Doch tobt nur immerhin! Schlagt loß ihr Donnerkeile! Brecht! brecht! ſpruͤtzet Glut und Schwefel-Flammen aus! Verdoppelt Blitz mit Blitz, und ſchieſſet Pfeil auf Pfeile, Ja leget, ſoll es ſeyn, mich ſelbſt in Staub und Graus. ꝛc. Sind das nicht ampullae und ſesquipedalia verba, ſo weiß ich in der That keine zu finden. Der Poet hat ſein Ge- dichte Liebes-Thraͤnen genennet; aber mich duͤnckt, es ſind ſolche, davon Canitz geſchrieben: Geußt ſolche Thraͤnen aus, die lachens-wuͤrdig ſcheinen, Und wenn er lachen will, ſo moͤchten andre weinen. Und aus dieſen Exempeln der Schreibart, ſo ſich vor die Elegie nicht ſchicken, wird man leicht urtheilen, was man vor eine Behutſamkeit dabey zu gebrauchen habe. Wegen des aͤuſſern habe ich nur noch zu erinnern, daß man ſich bemuͤhen muͤſſe, ſo viel moͤglich, einer jeden Zeile einen vollkommenen Verſtand zu geben: oder doch wenig- ſtens in zweyen denſelben voͤllig vorzutragen. Sollte aber auch dieſes zuweilen nicht angehen, ſo muß doch an der vier- ten Zeile ein Schluß-Punct kommen, der dem gantzen Sa- tze ein Ende macht. Denn es klingt uͤberaus wiedrig, wenn ſich die Rede erſt in der fuͤnften Zeile endiget, wie man aus folgendem Exempel Joh. Franckens wird abnehmen koͤnnen. Es ſteht p. 41. ſeiner Trauer-Gedichte. So haſt du auch nunmehr, du Wonn und Zier der Deinen, Du edle Jahnin, du, du Rahel unſrer Zeit, Du, als um deren Tod viel fromme Hertzen weinen, So haſt du auch nunmehr itzt dieſer Eitelkeit Juͤngſt gute Nacht geſagt. Wie leicht haͤtte der Poet dieſen Ubelſtand vermeiden koͤn- nen, wenn er anſtatt des Wortes haſt in der erſten und vierten Zeile, ziehſt, gehſt oder eilſt haͤtte ſetzen, und die fuͤnfte Zeile mit einem neuen Satze anfangen wollen? Zum Beſchluſſe mercke ich an, daß man die Elegien nicht nur mit weiblichen, ſondern auch mit maͤnnlichen Zei- len anfangen koͤnne. Man kan ſie bey uns hauptſaͤchlich zu Trauer-Gedichten und verliebten Sachen, ſodann aber bey Hochzeiten, wo gemeiniglich was verliebtes und zaͤrtli- ches D d

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/445>, abgerufen am 18.12.2024.