Seufzer, Thränen, Lob und Klagen Wechseln hier in reicher Zahl, Seit Morbona Sein Gemahl Starr und kalt dahin getragen. Seht! wie er die matten Hände Uber dieser Leiche ringt, Hört! Sein trüber Ruf durchdringt Auch der Gräber düstre Wände: Bis er in der dicksten Nacht Selbst die Schatten traurig macht.
Wie die prächtigen Narcissen, Die ein Sturm-Wind hingerafft, Voller Glantz, Geruch und Krafft, Jhrer Blüten Schönheit schlüssen: Die verletzten Kronen sincken Jn das abgestreifte Laub, Wo sie zwischen Gras und Staub Die geschmoltznen Schlossen trincken: Ach! wer kan, was da geschehn, Ohne Schmertz und Beyleid sehn?
So verwelckt Augustens Blüte, So verschwindet Pracht und Zier, Anmuth und Gestalt an ihr, Gaben, von besondrer Güte! Harte Parcen! haltet innen, Reißt noch nicht den Faden ab: Denn auf ein so theures Grab Werden tausend Thränen rinnen; Thränen, deren heiße Fluth Offt dem Schicksal Einhalt thut.
Doch umsonst! die Kräffte schwinden, Stirn und Lippen werden Eis, Und ein Tropfen-reicher Schweiß Läßt sich auf den Wangen finden. Mitten unter Angst und Wehe, Blickt ihr halb gebrochner Strahl, Auf den jammernden Gemahl, Auf die Pfänder ihrer Ehe: Endlich thut der schwache Mund Den betrübten Abscheid kund.
Liebstes
Des II Theils I Capitel
Seufzer, Thraͤnen, Lob und Klagen Wechſeln hier in reicher Zahl, Seit Morbona Sein Gemahl Starr und kalt dahin getragen. Seht! wie er die matten Haͤnde Uber dieſer Leiche ringt, Hoͤrt! Sein truͤber Ruf durchdringt Auch der Graͤber duͤſtre Waͤnde: Bis er in der dickſten Nacht Selbſt die Schatten traurig macht.
Wie die praͤchtigen Narciſſen, Die ein Sturm-Wind hingerafft, Voller Glantz, Geruch und Krafft, Jhrer Bluͤten Schoͤnheit ſchluͤſſen: Die verletzten Kronen ſincken Jn das abgeſtreifte Laub, Wo ſie zwiſchen Gras und Staub Die geſchmoltznen Schloſſen trincken: Ach! wer kan, was da geſchehn, Ohne Schmertz und Beyleid ſehn?
So verwelckt Auguſtens Bluͤte, So verſchwindet Pracht und Zier, Anmuth und Geſtalt an ihr, Gaben, von beſondrer Guͤte! Harte Parcen! haltet innen, Reißt noch nicht den Faden ab: Denn auf ein ſo theures Grab Werden tauſend Thraͤnen rinnen; Thraͤnen, deren heiße Fluth Offt dem Schickſal Einhalt thut.
Doch umſonſt! die Kraͤffte ſchwinden, Stirn und Lippen werden Eis, Und ein Tropfen-reicher Schweiß Laͤßt ſich auf den Wangen finden. Mitten unter Angſt und Wehe, Blickt ihr halb gebrochner Strahl, Auf den jammernden Gemahl, Auf die Pfaͤnder ihrer Ehe: Endlich thut der ſchwache Mund Den betruͤbten Abſcheid kund.
Liebſtes
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Des II Theils I Capitel
Seufzer, Thraͤnen, Lob und Klagen
Wechſeln hier in reicher Zahl,
Seit Morbona Sein Gemahl
Starr und kalt dahin getragen.
Seht! wie er die matten Haͤnde
Uber dieſer Leiche ringt,
Hoͤrt! Sein truͤber Ruf durchdringt
Auch der Graͤber duͤſtre Waͤnde:
Bis er in der dickſten Nacht
Selbſt die Schatten traurig macht.
Wie die praͤchtigen Narciſſen,
Die ein Sturm-Wind hingerafft,
Voller Glantz, Geruch und Krafft,
Jhrer Bluͤten Schoͤnheit ſchluͤſſen:
Die verletzten Kronen ſincken
Jn das abgeſtreifte Laub,
Wo ſie zwiſchen Gras und Staub
Die geſchmoltznen Schloſſen trincken:
Ach! wer kan, was da geſchehn,
Ohne Schmertz und Beyleid ſehn?
So verwelckt Auguſtens Bluͤte,
So verſchwindet Pracht und Zier,
Anmuth und Geſtalt an ihr,
Gaben, von beſondrer Guͤte!
Harte Parcen! haltet innen,
Reißt noch nicht den Faden ab:
Denn auf ein ſo theures Grab
Werden tauſend Thraͤnen rinnen;
Thraͤnen, deren heiße Fluth
Offt dem Schickſal Einhalt thut.
Doch umſonſt! die Kraͤffte ſchwinden,
Stirn und Lippen werden Eis,
Und ein Tropfen-reicher Schweiß
Laͤßt ſich auf den Wangen finden.
Mitten unter Angſt und Wehe,
Blickt ihr halb gebrochner Strahl,
Auf den jammernden Gemahl,
Auf die Pfaͤnder ihrer Ehe:
Endlich thut der ſchwache Mund
Den betruͤbten Abſcheid kund.
Liebſtes
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/366>, abgerufen am 16.02.2025.
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