Flaccus selber muß bekennen; Deinen Spuren nachzugehn Sey ein freches Unterstehn, Ein verwegnes Stück zu nennen. Traut der Römer seinen Schwingen, Schon so wenig Kräfte zu; O! wer singt denn so wie du? O! was wird es mir gelingen?
Epodos, Schluß-Satz.
So spiel ich denn in stillen Gründen Mein ungestimmtes Haberrohr. Und will mir in der Hirten Chor Nur Epheu um die Schläfe winden. Wenn ich kein Pindar werden kan; So sing und spiel ich wie Sylvan.
Wenn die Oden nicht eben zum Singen gemacht wer- den, oder auch von zweyen Chören gegeneinander als ein Ge- spräche gesungen werden sollen, so kan man auch Strophen von zweyerley Art mit einander abwechseln, und sie nach zwey verschiedenen Melodien in die Music setzen lassen. Am- thor hat p. 187 und 188 seiner Gedichte ein solches Exempel gegeben, und man singt auch an gewissen Orten das Lied: Nun laßt uns den Leib begraben; auf die Art, daß nach Endigung einer jeden Strophe, ein Sänger, im Nahmen des Seeligverstorbenen, einen Vers von dem Liede: Ge- habt euch wohl, ihr meine Freund; darzwischen singt. Wie nun dieses sehr angenehm klinget, also wundert michs daß man nicht mehr solche Wechsel-Oden, wie man sie nen- nen könnte, so wohl in geistlichen und weltlichen Stücken eingeführet.
Die Alten pflegten bey dem Ende einer jeden Strophe den völligen Verstand nicht allemahl zu schliessen, wie man aus Horatii Oden sehen kan. Bey uns aber hat mans mit gutem Grunde eingeführt, und es klingt gewiß noch einmahl so gut, als wenn man das Ende eines angefangenen Satzes erst in der folgenden Strophe suchen müste. Ja man be- müht sich auch den Schluß eines Verßes allezeit nachdrück-
lich
Des II Theils I Capitel
Antiſtrophe, Gegenſatz.
Flaccus ſelber muß bekennen; Deinen Spuren nachzugehn Sey ein freches Unterſtehn, Ein verwegnes Stuͤck zu nennen. Traut der Roͤmer ſeinen Schwingen, Schon ſo wenig Kraͤfte zu; O! wer ſingt denn ſo wie du? O! was wird es mir gelingen?
Epodos, Schluß-Satz.
So ſpiel ich denn in ſtillen Gruͤnden Mein ungeſtimmtes Haberrohr. Und will mir in der Hirten Chor Nur Epheu um die Schlaͤfe winden. Wenn ich kein Pindar werden kan; So ſing und ſpiel ich wie Sylvan.
Wenn die Oden nicht eben zum Singen gemacht wer- den, oder auch von zweyen Choͤren gegeneinander als ein Ge- ſpraͤche geſungen werden ſollen, ſo kan man auch Strophen von zweyerley Art mit einander abwechſeln, und ſie nach zwey verſchiedenen Melodien in die Muſic ſetzen laſſen. Am- thor hat p. 187 und 188 ſeiner Gedichte ein ſolches Exempel gegeben, und man ſingt auch an gewiſſen Orten das Lied: Nun laßt uns den Leib begraben; auf die Art, daß nach Endigung einer jeden Strophe, ein Saͤnger, im Nahmen des Seeligverſtorbenen, einen Vers von dem Liede: Ge- habt euch wohl, ihr meine Freund; darzwiſchen ſingt. Wie nun dieſes ſehr angenehm klinget, alſo wundert michs daß man nicht mehr ſolche Wechſel-Oden, wie man ſie nen- nen koͤnnte, ſo wohl in geiſtlichen und weltlichen Stuͤcken eingefuͤhret.
Die Alten pflegten bey dem Ende einer jeden Strophe den voͤlligen Verſtand nicht allemahl zu ſchlieſſen, wie man aus Horatii Oden ſehen kan. Bey uns aber hat mans mit gutem Grunde eingefuͤhrt, und es klingt gewiß noch einmahl ſo gut, als wenn man das Ende eines angefangenen Satzes erſt in der folgenden Strophe ſuchen muͤſte. Ja man be- muͤht ſich auch den Schluß eines Verßes allezeit nachdruͤck-
lich
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Des II Theils I Capitel
Antiſtrophe, Gegenſatz.
Flaccus ſelber muß bekennen;
Deinen Spuren nachzugehn
Sey ein freches Unterſtehn,
Ein verwegnes Stuͤck zu nennen.
Traut der Roͤmer ſeinen Schwingen,
Schon ſo wenig Kraͤfte zu;
O! wer ſingt denn ſo wie du?
O! was wird es mir gelingen?
Epodos, Schluß-Satz.
So ſpiel ich denn in ſtillen Gruͤnden
Mein ungeſtimmtes Haberrohr.
Und will mir in der Hirten Chor
Nur Epheu um die Schlaͤfe winden.
Wenn ich kein Pindar werden kan;
So ſing und ſpiel ich wie Sylvan.
Wenn die Oden nicht eben zum Singen gemacht wer-
den, oder auch von zweyen Choͤren gegeneinander als ein Ge-
ſpraͤche geſungen werden ſollen, ſo kan man auch Strophen
von zweyerley Art mit einander abwechſeln, und ſie nach
zwey verſchiedenen Melodien in die Muſic ſetzen laſſen. Am-
thor hat p. 187 und 188 ſeiner Gedichte ein ſolches Exempel
gegeben, und man ſingt auch an gewiſſen Orten das Lied:
Nun laßt uns den Leib begraben; auf die Art, daß nach
Endigung einer jeden Strophe, ein Saͤnger, im Nahmen
des Seeligverſtorbenen, einen Vers von dem Liede: Ge-
habt euch wohl, ihr meine Freund; darzwiſchen ſingt.
Wie nun dieſes ſehr angenehm klinget, alſo wundert michs
daß man nicht mehr ſolche Wechſel-Oden, wie man ſie nen-
nen koͤnnte, ſo wohl in geiſtlichen und weltlichen Stuͤcken
eingefuͤhret.
Die Alten pflegten bey dem Ende einer jeden Strophe
den voͤlligen Verſtand nicht allemahl zu ſchlieſſen, wie man
aus Horatii Oden ſehen kan. Bey uns aber hat mans mit
gutem Grunde eingefuͤhrt, und es klingt gewiß noch einmahl
ſo gut, als wenn man das Ende eines angefangenen Satzes
erſt in der folgenden Strophe ſuchen muͤſte. Ja man be-
muͤht ſich auch den Schluß eines Verßes allezeit nachdruͤck-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/358>, abgerufen am 22.11.2024.
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