Jtaliener bedienen sich fast lauter weiblicher Reime, so wie die Engelländer lauter männliche haben; die sie gleichwohl mit ihren Nachbarn durcheinander mischen. Bey uns wür- de das nicht klingen; denn zwischen zwey gereimten weibli- chen Versen z. E. soll kein dritter stehen, der sich mit ih- nen reimet; und mit männlichen ist es eben so. Wenn wir mischen wollen, muß es dergestalt geschehen, daß zwi- schen die zusammengehörenden Reime männlicher Art, ei- ner oder zwene weiblicher Gattung zu stehen kommen. Drey Zeilen darzwischen zu schieben ist höchstens in Recitativen erlaubt, anderwerts würde es nicht klingen, weil man die Reime sonst gar verlieren würde. Wenn man sie aber nicht mehr hören kan, ist es eben so viel, als ob sie gar nicht mehr da wären.
Unsre Alten haben fast lauter männliche Reime ge- macht, wie in Hans Sachsen zu sehen ist. Aber in Ott- frieden finde ich doch auch überaus viel weibliche; also sind wohl beyde gleich lange in Besitz ihrer Rechte gewesen. Wir können zwar gantze Gedichte in einer Art von Rei- men verfertigen: allein die Wahrheit zu sagen, so sind lau- ter männliche in unsrer Sprache zu hart; und lauter weib- liche zu zart. Die Engländer haben eine geschwinde und scharfe Aussprache, daher beissen sie auch den Reim-Wör- tern, die bey uns weiblich lauten würden, den Schwantz ab, und machen also aus zweysylbigten Reimen lau- ter einsylbigte. Die Jtaliäner hingegen sind zur Weich- lichkeit gleichsam gebohren, und können also die beständige Zärtlichkeit weiblicher Reime auch in gantzen Helden-Ge- dichten, als z. E. des Tasso seinem, gar wohl leiden. Es scheint, daß sich die Pohlen nach ihnen hauptsächlich gerich- tet haben müssen: weil die poetische Ubersetzung der Arge- nis bey ihnen gleichfalls keinen einzigen männlichen Reim hat.
Gemeiniglich reimen sich bey uns nur zwey und zwey Verse, ausser daß in Recitativen und Arien zuweilen drey, in Sonneten aber vier ähnliche Reime erlaubt sind. Die Jtaliäner hergegen reimen sehr offt drey Zeilen auf einan-
der
Das XII. Capitel
Jtaliener bedienen ſich faſt lauter weiblicher Reime, ſo wie die Engellaͤnder lauter maͤnnliche haben; die ſie gleichwohl mit ihren Nachbarn durcheinander miſchen. Bey uns wuͤr- de das nicht klingen; denn zwiſchen zwey gereimten weibli- chen Verſen z. E. ſoll kein dritter ſtehen, der ſich mit ih- nen reimet; und mit maͤnnlichen iſt es eben ſo. Wenn wir miſchen wollen, muß es dergeſtalt geſchehen, daß zwi- ſchen die zuſammengehoͤrenden Reime maͤnnlicher Art, ei- ner oder zwene weiblicher Gattung zu ſtehen kommen. Drey Zeilen darzwiſchen zu ſchieben iſt hoͤchſtens in Recitativen erlaubt, anderwerts wuͤrde es nicht klingen, weil man die Reime ſonſt gar verlieren wuͤrde. Wenn man ſie aber nicht mehr hoͤren kan, iſt es eben ſo viel, als ob ſie gar nicht mehr da waͤren.
Unſre Alten haben faſt lauter maͤnnliche Reime ge- macht, wie in Hans Sachſen zu ſehen iſt. Aber in Ott- frieden finde ich doch auch uͤberaus viel weibliche; alſo ſind wohl beyde gleich lange in Beſitz ihrer Rechte geweſen. Wir koͤnnen zwar gantze Gedichte in einer Art von Rei- men verfertigen: allein die Wahrheit zu ſagen, ſo ſind lau- ter maͤnnliche in unſrer Sprache zu hart; und lauter weib- liche zu zart. Die Englaͤnder haben eine geſchwinde und ſcharfe Ausſprache, daher beiſſen ſie auch den Reim-Woͤr- tern, die bey uns weiblich lauten wuͤrden, den Schwantz ab, und machen alſo aus zweyſylbigten Reimen lau- ter einſylbigte. Die Jtaliaͤner hingegen ſind zur Weich- lichkeit gleichſam gebohren, und koͤnnen alſo die beſtaͤndige Zaͤrtlichkeit weiblicher Reime auch in gantzen Helden-Ge- dichten, als z. E. des Taſſo ſeinem, gar wohl leiden. Es ſcheint, daß ſich die Pohlen nach ihnen hauptſaͤchlich gerich- tet haben muͤſſen: weil die poetiſche Uberſetzung der Arge- nis bey ihnen gleichfalls keinen einzigen maͤnnlichen Reim hat.
Gemeiniglich reimen ſich bey uns nur zwey und zwey Verſe, auſſer daß in Recitativen und Arien zuweilen drey, in Sonneten aber vier aͤhnliche Reime erlaubt ſind. Die Jtaliaͤner hergegen reimen ſehr offt drey Zeilen auf einan-
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Das XII. Capitel
Jtaliener bedienen ſich faſt lauter weiblicher Reime, ſo wie
die Engellaͤnder lauter maͤnnliche haben; die ſie gleichwohl
mit ihren Nachbarn durcheinander miſchen. Bey uns wuͤr-
de das nicht klingen; denn zwiſchen zwey gereimten weibli-
chen Verſen z. E. ſoll kein dritter ſtehen, der ſich mit ih-
nen reimet; und mit maͤnnlichen iſt es eben ſo. Wenn
wir miſchen wollen, muß es dergeſtalt geſchehen, daß zwi-
ſchen die zuſammengehoͤrenden Reime maͤnnlicher Art, ei-
ner oder zwene weiblicher Gattung zu ſtehen kommen. Drey
Zeilen darzwiſchen zu ſchieben iſt hoͤchſtens in Recitativen
erlaubt, anderwerts wuͤrde es nicht klingen, weil man die
Reime ſonſt gar verlieren wuͤrde. Wenn man ſie aber
nicht mehr hoͤren kan, iſt es eben ſo viel, als ob ſie gar nicht
mehr da waͤren.
Unſre Alten haben faſt lauter maͤnnliche Reime ge-
macht, wie in Hans Sachſen zu ſehen iſt. Aber in Ott-
frieden finde ich doch auch uͤberaus viel weibliche; alſo ſind
wohl beyde gleich lange in Beſitz ihrer Rechte geweſen.
Wir koͤnnen zwar gantze Gedichte in einer Art von Rei-
men verfertigen: allein die Wahrheit zu ſagen, ſo ſind lau-
ter maͤnnliche in unſrer Sprache zu hart; und lauter weib-
liche zu zart. Die Englaͤnder haben eine geſchwinde und
ſcharfe Ausſprache, daher beiſſen ſie auch den Reim-Woͤr-
tern, die bey uns weiblich lauten wuͤrden, den Schwantz
ab, und machen alſo aus zweyſylbigten Reimen lau-
ter einſylbigte. Die Jtaliaͤner hingegen ſind zur Weich-
lichkeit gleichſam gebohren, und koͤnnen alſo die beſtaͤndige
Zaͤrtlichkeit weiblicher Reime auch in gantzen Helden-Ge-
dichten, als z. E. des Taſſo ſeinem, gar wohl leiden. Es
ſcheint, daß ſich die Pohlen nach ihnen hauptſaͤchlich gerich-
tet haben muͤſſen: weil die poetiſche Uberſetzung der Arge-
nis bey ihnen gleichfalls keinen einzigen maͤnnlichen Reim
hat.
Gemeiniglich reimen ſich bey uns nur zwey und zwey
Verſe, auſſer daß in Recitativen und Arien zuweilen drey,
in Sonneten aber vier aͤhnliche Reime erlaubt ſind. Die
Jtaliaͤner hergegen reimen ſehr offt drey Zeilen auf einan-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/344>, abgerufen am 28.11.2024.
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