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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Vorbericht.
rühmten Herrn Eckardt ins Deutsche übersetzt worden,
und in den poetischen Nebenstunden, so er unter den Buch-
staben H. A. E. G. v. D. herausgegeben, anzutreffen.
Ob ich es nun besser oder schlechter getroffen als derselbe,
mag der geneigte Leser selbst urtheilen. Jch hatte seine
Ubersetzung mehr als einmahl durchgelesen, als ich schlüßig
ward, mich noch einmahl an eben dieselbe Arbeit zu wa-
gen: bildete mir aber nicht ein, daß es mir so viel Mühe
dabey kosten würde, als ich hernach in der That gewahr
wurde. Die nachdrückliche Wortfügung der lateinischen
Sprache, der zuweilen abgebrochene Ausdruck Horatii,
nebst vielerley Kunstwörtern und Alterthümern, die sich
so schwer Deutsch geben lassen, machten mir die Arbeit so
auer, daß ich sie bald wieder hätte liegen lassen, als ich
schon den dritten Theil davon fertig hatte. Doch nach
Jahres frist griff ich es von neuem an, und brachte endlich
das gantze Gedichte in den Stand, darinn ich es hier ans
Licht stelle.

Jch rühme mich nicht daß ich es von Zeile zu Zeile, viel-
weniger von Wort zu Wort gegeben hätte: Denn dieses
ist zum theil unnöthig, theils auch aus oberwehnten Ur-
sachen unmöglich gewesen. Aus fünfhundert lateinischen
Verßen habe ich mich genöthiget gesehen fast 700 deutsche
zu machen; wiewohl ich die Regel stets vor Augen hatte:
Ein Ubersetzer müsse kein Paraphrast oder Ausleger wer-
den. Habe ich nur in hauptsächlichen Dingen nichts ver-
sehen oder geändert; so wird mans verhoffentlich so genau
nicht nehmen, wenn gleich nicht der völlige Nachdruck
aller Horatianischen Sylben und Buchstaben erreichet
worden. Ein prosaischer Ubersetzer muß es hierinn ge-
nauer nehmen; einem poetischen aber muß man in Anse-

hung

Vorbericht.
ruͤhmten Herrn Eckardt ins Deutſche uͤberſetzt worden,
und in den poetiſchen Nebenſtunden, ſo er unter den Buch-
ſtaben H. A. E. G. v. D. herausgegeben, anzutreffen.
Ob ich es nun beſſer oder ſchlechter getroffen als derſelbe,
mag der geneigte Leſer ſelbſt urtheilen. Jch hatte ſeine
Uberſetzung mehr als einmahl durchgeleſen, als ich ſchluͤßig
ward, mich noch einmahl an eben dieſelbe Arbeit zu wa-
gen: bildete mir aber nicht ein, daß es mir ſo viel Muͤhe
dabey koſten wuͤrde, als ich hernach in der That gewahr
wurde. Die nachdruͤckliche Wortfuͤgung der lateiniſchen
Sprache, der zuweilen abgebrochene Ausdruck Horatii,
nebſt vielerley Kunſtwoͤrtern und Alterthuͤmern, die ſich
ſo ſchwer Deutſch geben laſſen, machten mir die Arbeit ſo
auer, daß ich ſie bald wieder haͤtte liegen laſſen, als ich
ſchon den dritten Theil davon fertig hatte. Doch nach
Jahres friſt griff ich es von neuem an, und brachte endlich
das gantze Gedichte in den Stand, darinn ich es hier ans
Licht ſtelle.

Jch ruͤhme mich nicht daß ich es von Zeile zu Zeile, viel-
weniger von Wort zu Wort gegeben haͤtte: Denn dieſes
iſt zum theil unnoͤthig, theils auch aus oberwehnten Ur-
ſachen unmoͤglich geweſen. Aus fuͤnfhundert lateiniſchen
Verßen habe ich mich genoͤthiget geſehen faſt 700 deutſche
zu machen; wiewohl ich die Regel ſtets vor Augen hatte:
Ein Uberſetzer muͤſſe kein Paraphraſt oder Ausleger wer-
den. Habe ich nur in hauptſaͤchlichen Dingen nichts ver-
ſehen oder geaͤndert; ſo wird mans verhoffentlich ſo genau
nicht nehmen, wenn gleich nicht der voͤllige Nachdruck
aller Horatianiſchen Sylben und Buchſtaben erreichet
worden. Ein proſaiſcher Uberſetzer muß es hierinn ge-
nauer nehmen; einem poetiſchen aber muß man in Anſe-

hung
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[6/0034] Vorbericht. ruͤhmten Herrn Eckardt ins Deutſche uͤberſetzt worden, und in den poetiſchen Nebenſtunden, ſo er unter den Buch- ſtaben H. A. E. G. v. D. herausgegeben, anzutreffen. Ob ich es nun beſſer oder ſchlechter getroffen als derſelbe, mag der geneigte Leſer ſelbſt urtheilen. Jch hatte ſeine Uberſetzung mehr als einmahl durchgeleſen, als ich ſchluͤßig ward, mich noch einmahl an eben dieſelbe Arbeit zu wa- gen: bildete mir aber nicht ein, daß es mir ſo viel Muͤhe dabey koſten wuͤrde, als ich hernach in der That gewahr wurde. Die nachdruͤckliche Wortfuͤgung der lateiniſchen Sprache, der zuweilen abgebrochene Ausdruck Horatii, nebſt vielerley Kunſtwoͤrtern und Alterthuͤmern, die ſich ſo ſchwer Deutſch geben laſſen, machten mir die Arbeit ſo auer, daß ich ſie bald wieder haͤtte liegen laſſen, als ich ſchon den dritten Theil davon fertig hatte. Doch nach Jahres friſt griff ich es von neuem an, und brachte endlich das gantze Gedichte in den Stand, darinn ich es hier ans Licht ſtelle. Jch ruͤhme mich nicht daß ich es von Zeile zu Zeile, viel- weniger von Wort zu Wort gegeben haͤtte: Denn dieſes iſt zum theil unnoͤthig, theils auch aus oberwehnten Ur- ſachen unmoͤglich geweſen. Aus fuͤnfhundert lateiniſchen Verßen habe ich mich genoͤthiget geſehen faſt 700 deutſche zu machen; wiewohl ich die Regel ſtets vor Augen hatte: Ein Uberſetzer muͤſſe kein Paraphraſt oder Ausleger wer- den. Habe ich nur in hauptſaͤchlichen Dingen nichts ver- ſehen oder geaͤndert; ſo wird mans verhoffentlich ſo genau nicht nehmen, wenn gleich nicht der voͤllige Nachdruck aller Horatianiſchen Sylben und Buchſtaben erreichet worden. Ein proſaiſcher Uberſetzer muß es hierinn ge- nauer nehmen; einem poetiſchen aber muß man in Anſe- hung

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/34>, abgerufen am 18.12.2024.