Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Das XI. Capitel
Sultan hebt der Thracische Bosphor so Asiatisch, oder viel-
mehr übersteigend und schwülstig an zu sprechen:

Befremdets euch, ihr Völcker holder Sitten,
Daß des erzürnten Bosphors Schlund,
Den Strand verläst, wo Thrax und Türcke wüten,
Für des unwirthbarn Meeres Mund,
Der Donau süße Lipp und grüne Fluth zu küssen?
Es ist nichts seltsames mein unterirrdisch Lauf,
Es schleußt ja die Natur des Abgrunds Röhren auf,
Auch Strömen, daß ihr Glas kan unter Meeren flüssen.
Jn Ploten Jnseln trinckt man ein Moreisch Quell,
Und in Sultanien rinnt was zu Mecha quillet,
Des Alfeus Silber ist in Elis nicht so hell
Als wo er seine Brunst mit Arethusen stillet.
Wie soll der Erde Klufft denn mir verschlossen seyn,
Mir, der ich selbst das Röhr bin aller Meere?
Weil Calpens Meerschlund nichts dem Ocean flößt ein,
Was nicht der Meere Brunn das schwarze Meer gebehre. etc.

So fährt nun dieser Vorredner unaufhörlich fort, und treibt
seine Scharfsinnigkeit aufs höchste, wenn er endlich so aus-
bricht:

Mit was vor neu und ungewohnten Strahlen,
Seh aber ich, Burg, Stadt und Land gekrönt?
Ja einen neuen Stuhl mit Purpur aufgethrönt?
Der Donau Haupt mit Myrrthen-Kräntzen prahlen?
Sich ihren Sand in Gold, sein Schilf in Zuckerrohr,
Sein Schmeltz in Diamant, den Schaum in Perlen kehren?
Was leuchtet aus Tyrol vor ein Gestirn hervor?
Kan sein Ertztreich Gebürg auch Sonnen nun gebähren?

Hier sind alle Lohensteinische Schönheiten beysammen zu fin-
den. Strahlen, Purpur, Myrthen, Kränze, Gold, Zu-
cker, Schmeltz, Diamant, Schaum, Perlen, Gestirne,

das sind gewöhnliche Zierrathe seiner Schreibart: hier aber,
damit gar nichts zu einem Phöbus fehlen möchte, hat er uns
auch noch etliche Sonnen aus einem Erzgebürge gebäh-
ren
wollen. Jch weiß wohl, daß es noch hin und wieder
grosse Liebhaber dieser falschen Hoheit giebt; die wohl gar
die Härtigkeit der Lohensteinischen Gedichte mit einer ihrem
Helden anständigen Schreibart, so entschuldigen: Es sey
kein Wunder, daß die perlen-schwangere Lohe in ihrem

Laufe

Das XI. Capitel
Sultan hebt der Thraciſche Bosphor ſo Aſiatiſch, oder viel-
mehr uͤberſteigend und ſchwuͤlſtig an zu ſprechen:

Befremdets euch, ihr Voͤlcker holder Sitten,
Daß des erzuͤrnten Bosphors Schlund,
Den Strand verlaͤſt, wo Thrax und Tuͤrcke wuͤten,
Fuͤr des unwirthbarn Meeres Mund,
Der Donau ſuͤße Lipp und gruͤne Fluth zu kuͤſſen?
Es iſt nichts ſeltſames mein unterirrdiſch Lauf,
Es ſchleußt ja die Natur des Abgrunds Roͤhren auf,
Auch Stroͤmen, daß ihr Glas kan unter Meeren fluͤſſen.
Jn Ploten Jnſeln trinckt man ein Moreiſch Quell,
Und in Sultanien rinnt was zu Mecha quillet,
Des Alfeus Silber iſt in Elis nicht ſo hell
Als wo er ſeine Brunſt mit Arethuſen ſtillet.
Wie ſoll der Erde Klufft denn mir verſchloſſen ſeyn,
Mir, der ich ſelbſt das Roͤhr bin aller Meere?
Weil Calpens Meerſchlund nichts dem Ocean floͤßt ein,
Was nicht der Meere Brunn das ſchwarze Meer gebehre. ꝛc.

So faͤhrt nun dieſer Vorredner unaufhoͤrlich fort, und treibt
ſeine Scharfſinnigkeit aufs hoͤchſte, wenn er endlich ſo aus-
bricht:

Mit was vor neu und ungewohnten Strahlen,
Seh aber ich, Burg, Stadt und Land gekroͤnt?
Ja einen neuen Stuhl mit Purpur aufgethroͤnt?
Der Donau Haupt mit Myrrthen-Kraͤntzen prahlen?
Sich ihren Sand in Gold, ſein Schilf in Zuckerrohr,
Sein Schmeltz in Diamant, den Schaum in Perlen kehren?
Was leuchtet aus Tyrol vor ein Geſtirn hervor?
Kan ſein Ertztreich Gebuͤrg auch Sonnen nun gebaͤhren?

Hier ſind alle Lohenſteiniſche Schoͤnheiten beyſammen zu fin-
den. Strahlen, Purpur, Myrthen, Kraͤnze, Gold, Zu-
cker, Schmeltz, Diamant, Schaum, Perlen, Geſtirne,

das ſind gewoͤhnliche Zierrathe ſeiner Schreibart: hier aber,
damit gar nichts zu einem Phoͤbus fehlen moͤchte, hat er uns
auch noch etliche Sonnen aus einem Erzgebuͤrge gebaͤh-
ren
wollen. Jch weiß wohl, daß es noch hin und wieder
groſſe Liebhaber dieſer falſchen Hoheit giebt; die wohl gar
die Haͤrtigkeit der Lohenſteiniſchen Gedichte mit einer ihrem
Helden anſtaͤndigen Schreibart, ſo entſchuldigen: Es ſey
kein Wunder, daß die perlen-ſchwangere Lohe in ihrem

Laufe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0326" n="298"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">XI.</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
Sultan hebt der Thraci&#x017F;che Bosphor &#x017F;o A&#x017F;iati&#x017F;ch, oder viel-<lb/>
mehr u&#x0364;ber&#x017F;teigend und &#x017F;chwu&#x0364;l&#x017F;tig an zu &#x017F;prechen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Befremdets euch, ihr Vo&#x0364;lcker holder Sitten,</l><lb/>
            <l>Daß des erzu&#x0364;rnten Bosphors Schlund,</l><lb/>
            <l>Den Strand verla&#x0364;&#x017F;t, wo Thrax und Tu&#x0364;rcke wu&#x0364;ten,</l><lb/>
            <l>Fu&#x0364;r des unwirthbarn Meeres Mund,</l><lb/>
            <l>Der Donau &#x017F;u&#x0364;ße Lipp und gru&#x0364;ne Fluth zu ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en?</l><lb/>
            <l>Es i&#x017F;t nichts &#x017F;elt&#x017F;ames mein unterirrdi&#x017F;ch Lauf,</l><lb/>
            <l>Es &#x017F;chleußt ja die Natur des Abgrunds Ro&#x0364;hren auf,</l><lb/>
            <l>Auch Stro&#x0364;men, daß ihr Glas kan unter Meeren flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Jn Ploten Jn&#x017F;eln trinckt man ein Morei&#x017F;ch Quell,</l><lb/>
            <l>Und in Sultanien rinnt was zu Mecha quillet,</l><lb/>
            <l>Des Alfeus Silber i&#x017F;t in Elis nicht &#x017F;o hell</l><lb/>
            <l>Als wo er &#x017F;eine Brun&#x017F;t mit Arethu&#x017F;en &#x017F;tillet.</l><lb/>
            <l>Wie &#x017F;oll der Erde Klufft denn mir ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Mir, der ich &#x017F;elb&#x017F;t das Ro&#x0364;hr bin aller Meere?</l><lb/>
            <l>Weil Calpens Meer&#x017F;chlund nichts dem Ocean flo&#x0364;ßt ein,</l><lb/>
            <l>Was nicht der Meere Brunn das &#x017F;chwarze Meer gebehre. &#xA75B;c.</l>
          </lg><lb/>
          <p>So fa&#x0364;hrt nun die&#x017F;er Vorredner unaufho&#x0364;rlich fort, und treibt<lb/>
&#x017F;eine Scharf&#x017F;innigkeit aufs ho&#x0364;ch&#x017F;te, wenn er endlich &#x017F;o aus-<lb/>
bricht:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Mit was vor neu und ungewohnten Strahlen,</l><lb/>
            <l>Seh aber ich, Burg, Stadt und Land gekro&#x0364;nt?</l><lb/>
            <l>Ja einen neuen Stuhl mit Purpur aufgethro&#x0364;nt?</l><lb/>
            <l>Der Donau Haupt mit Myrrthen-Kra&#x0364;ntzen prahlen?</l><lb/>
            <l>Sich ihren Sand in Gold, &#x017F;ein Schilf in Zuckerrohr,</l><lb/>
            <l>Sein Schmeltz in Diamant, den Schaum in Perlen kehren?</l><lb/>
            <l>Was leuchtet aus Tyrol vor ein Ge&#x017F;tirn hervor?</l><lb/>
            <l>Kan &#x017F;ein Ertztreich Gebu&#x0364;rg auch Sonnen nun geba&#x0364;hren?</l>
          </lg><lb/>
          <p>Hier &#x017F;ind alle Lohen&#x017F;teini&#x017F;che Scho&#x0364;nheiten bey&#x017F;ammen zu fin-<lb/>
den. <hi rendition="#fr">Strahlen, Purpur, Myrthen, Kra&#x0364;nze, Gold, Zu-<lb/>
cker, Schmeltz, Diamant, Schaum, Perlen, Ge&#x017F;tirne,</hi><lb/>
das &#x017F;ind gewo&#x0364;hnliche Zierrathe &#x017F;einer Schreibart: hier aber,<lb/>
damit gar nichts zu einem Pho&#x0364;bus fehlen mo&#x0364;chte, hat er uns<lb/>
auch noch <hi rendition="#fr">etliche Sonnen aus einem Erzgebu&#x0364;rge geba&#x0364;h-<lb/>
ren</hi> wollen. Jch weiß wohl, daß es noch hin und wieder<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Liebhaber die&#x017F;er fal&#x017F;chen Hoheit giebt; die wohl gar<lb/>
die Ha&#x0364;rtigkeit der Lohen&#x017F;teini&#x017F;chen Gedichte mit einer ihrem<lb/>
Helden an&#x017F;ta&#x0364;ndigen Schreibart, &#x017F;o ent&#x017F;chuldigen: <hi rendition="#fr">Es &#x017F;ey<lb/>
kein Wunder, daß die perlen-&#x017F;chwangere Lohe in ihrem</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Laufe</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0326] Das XI. Capitel Sultan hebt der Thraciſche Bosphor ſo Aſiatiſch, oder viel- mehr uͤberſteigend und ſchwuͤlſtig an zu ſprechen: Befremdets euch, ihr Voͤlcker holder Sitten, Daß des erzuͤrnten Bosphors Schlund, Den Strand verlaͤſt, wo Thrax und Tuͤrcke wuͤten, Fuͤr des unwirthbarn Meeres Mund, Der Donau ſuͤße Lipp und gruͤne Fluth zu kuͤſſen? Es iſt nichts ſeltſames mein unterirrdiſch Lauf, Es ſchleußt ja die Natur des Abgrunds Roͤhren auf, Auch Stroͤmen, daß ihr Glas kan unter Meeren fluͤſſen. Jn Ploten Jnſeln trinckt man ein Moreiſch Quell, Und in Sultanien rinnt was zu Mecha quillet, Des Alfeus Silber iſt in Elis nicht ſo hell Als wo er ſeine Brunſt mit Arethuſen ſtillet. Wie ſoll der Erde Klufft denn mir verſchloſſen ſeyn, Mir, der ich ſelbſt das Roͤhr bin aller Meere? Weil Calpens Meerſchlund nichts dem Ocean floͤßt ein, Was nicht der Meere Brunn das ſchwarze Meer gebehre. ꝛc. So faͤhrt nun dieſer Vorredner unaufhoͤrlich fort, und treibt ſeine Scharfſinnigkeit aufs hoͤchſte, wenn er endlich ſo aus- bricht: Mit was vor neu und ungewohnten Strahlen, Seh aber ich, Burg, Stadt und Land gekroͤnt? Ja einen neuen Stuhl mit Purpur aufgethroͤnt? Der Donau Haupt mit Myrrthen-Kraͤntzen prahlen? Sich ihren Sand in Gold, ſein Schilf in Zuckerrohr, Sein Schmeltz in Diamant, den Schaum in Perlen kehren? Was leuchtet aus Tyrol vor ein Geſtirn hervor? Kan ſein Ertztreich Gebuͤrg auch Sonnen nun gebaͤhren? Hier ſind alle Lohenſteiniſche Schoͤnheiten beyſammen zu fin- den. Strahlen, Purpur, Myrthen, Kraͤnze, Gold, Zu- cker, Schmeltz, Diamant, Schaum, Perlen, Geſtirne, das ſind gewoͤhnliche Zierrathe ſeiner Schreibart: hier aber, damit gar nichts zu einem Phoͤbus fehlen moͤchte, hat er uns auch noch etliche Sonnen aus einem Erzgebuͤrge gebaͤh- ren wollen. Jch weiß wohl, daß es noch hin und wieder groſſe Liebhaber dieſer falſchen Hoheit giebt; die wohl gar die Haͤrtigkeit der Lohenſteiniſchen Gedichte mit einer ihrem Helden anſtaͤndigen Schreibart, ſo entſchuldigen: Es ſey kein Wunder, daß die perlen-ſchwangere Lohe in ihrem Laufe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/326
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/326>, abgerufen am 28.11.2024.