Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Das XI. Capitel Thöne betäuben das Gehör, und gar zu sehr gewürtzteSpeisen erwecken einen Eckel. Gar zu viel Zierrathe in Gedichten machen einen Leser auch überdrüßig, wenn sie un- aufhörlich in einem Zusammenhange fortgehen. Sollte aber ja noch eine Art seyn, wo sie am meisten brauchbar wäre, so müste es ein Lob-Gedichte seyn, und zumahl eine Helden-Ode. Hier redet der Poet selbst durchgehends, er hat wichtige Dinge vor sich, und kan Leser vermuthen, die seine sinnreiche Sprache verstehen werden. Daher kan er daselbst seine gantze Kunst sehen lassen, wie Pindarus auch und Horatz sehr offt gethan. Das obige Exempel aus Amthor von den drey Land-Plagen gehörte hieher. Ferner kan diese Schreibart in Trauer-Spielen starck gebraucht werden, ausgenommen, wenn irgend eine schlechte Person auftritt; oder ein Affect die pathetische Schreibart erfor- dert. Jn dem Helden-Gedichte dient diese Schreibart nur gleichsam zum Gewürtze, welches theils der Poet, theils seine Helden, die er redend einführet, gantz sparsam mit ein- streuen, wenn es die Umstände an die Hand geben. Jn den Trauer-Spielen geben uns ausser den alten Griechen, die neuern Frantzosen Corneille und Racine die schönsten Exempel; in Helden-Gedichten aber kan nechst Homero und Virgilio auch Voltaire zum Muster dienen. Jn Satiren kan endlich auch zuweilen was scharfsinniges vorkommen, zumahl wenn der Poet ins Moralisiren kommt. Horatz, Juvenal, Boileau, Rachel, Canitz, Neukirch und Gün- ther sind darinne zu Mustern zu nehmen. Statt aller Exempel von der wahren scharfsinnigen Schreibart soll mir Neukirchs Trauer-Gedichte auf die Königin von Preussen Charlotte an die Hand geben. Es herrscht eine richtige Hoheit der Gedancken darinn, und wenn man das eine Wortspiel von Engelland am Ende wegnimmt, so ist es ohne Fehler. Jhr Musen, die ihr mich, der Preußen Haupt zu singen, Offt glücklich angefeurt, helft meine Feder zwingen, Und führt sie von der Höh, nach der ich lüstern bin, Von Friedrichs Siegesbahn zu seinen Thränen hin. Sein
Das XI. Capitel Thoͤne betaͤuben das Gehoͤr, und gar zu ſehr gewuͤrtzteSpeiſen erwecken einen Eckel. Gar zu viel Zierrathe in Gedichten machen einen Leſer auch uͤberdruͤßig, wenn ſie un- aufhoͤrlich in einem Zuſammenhange fortgehen. Sollte aber ja noch eine Art ſeyn, wo ſie am meiſten brauchbar waͤre, ſo muͤſte es ein Lob-Gedichte ſeyn, und zumahl eine Helden-Ode. Hier redet der Poet ſelbſt durchgehends, er hat wichtige Dinge vor ſich, und kan Leſer vermuthen, die ſeine ſinnreiche Sprache verſtehen werden. Daher kan er daſelbſt ſeine gantze Kunſt ſehen laſſen, wie Pindarus auch und Horatz ſehr offt gethan. Das obige Exempel aus Amthor von den drey Land-Plagen gehoͤrte hieher. Ferner kan dieſe Schreibart in Trauer-Spielen ſtarck gebraucht werden, ausgenommen, wenn irgend eine ſchlechte Perſon auftritt; oder ein Affect die pathetiſche Schreibart erfor- dert. Jn dem Helden-Gedichte dient dieſe Schreibart nur gleichſam zum Gewuͤrtze, welches theils der Poet, theils ſeine Helden, die er redend einfuͤhret, gantz ſparſam mit ein- ſtreuen, wenn es die Umſtaͤnde an die Hand geben. Jn den Trauer-Spielen geben uns auſſer den alten Griechen, die neuern Frantzoſen Corneille und Racine die ſchoͤnſten Exempel; in Helden-Gedichten aber kan nechſt Homero und Virgilio auch Voltaire zum Muſter dienen. Jn Satiren kan endlich auch zuweilen was ſcharfſinniges vorkommen, zumahl wenn der Poet ins Moraliſiren kommt. Horatz, Juvenal, Boileau, Rachel, Canitz, Neukirch und Guͤn- ther ſind darinne zu Muſtern zu nehmen. Statt aller Exempel von der wahren ſcharfſinnigen Schreibart ſoll mir Neukirchs Trauer-Gedichte auf die Koͤnigin von Preuſſen Charlotte an die Hand geben. Es herrſcht eine richtige Hoheit der Gedancken darinn, und wenn man das eine Wortſpiel von Engelland am Ende wegnimmt, ſo iſt es ohne Fehler. Jhr Muſen, die ihr mich, der Preußen Haupt zu ſingen, Offt gluͤcklich angefeurt, helft meine Feder zwingen, Und fuͤhrt ſie von der Hoͤh, nach der ich luͤſtern bin, Von Friedrichs Siegesbahn zu ſeinen Thraͤnen hin. Sein
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0322" n="294"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">XI.</hi> Capitel</hi></fw><lb/> Thoͤne betaͤuben das Gehoͤr, und gar zu ſehr gewuͤrtzte<lb/> Speiſen erwecken einen Eckel. Gar zu viel Zierrathe in<lb/> Gedichten machen einen Leſer auch uͤberdruͤßig, wenn ſie un-<lb/> aufhoͤrlich in einem Zuſammenhange fortgehen. Sollte<lb/> aber ja noch eine Art ſeyn, wo ſie am meiſten brauchbar<lb/> waͤre, ſo muͤſte es ein Lob-Gedichte ſeyn, und zumahl eine<lb/> Helden-Ode. Hier redet der Poet ſelbſt durchgehends, er<lb/> hat wichtige Dinge vor ſich, und kan Leſer vermuthen, die<lb/> ſeine ſinnreiche Sprache verſtehen werden. Daher kan er<lb/> daſelbſt ſeine gantze Kunſt ſehen laſſen, wie Pindarus auch<lb/> und Horatz ſehr offt gethan. Das obige Exempel aus<lb/> Amthor von den drey Land-Plagen gehoͤrte hieher. Ferner<lb/> kan dieſe Schreibart in Trauer-Spielen ſtarck gebraucht<lb/> werden, ausgenommen, wenn irgend eine ſchlechte Perſon<lb/> auftritt; oder ein Affect die pathetiſche Schreibart erfor-<lb/> dert. Jn dem Helden-Gedichte dient dieſe Schreibart nur<lb/> gleichſam zum Gewuͤrtze, welches theils der Poet, theils<lb/> ſeine Helden, die er redend einfuͤhret, gantz ſparſam mit ein-<lb/> ſtreuen, wenn es die Umſtaͤnde an die Hand geben. Jn<lb/> den Trauer-Spielen geben uns auſſer den alten Griechen,<lb/> die neuern Frantzoſen Corneille und Racine die ſchoͤnſten<lb/> Exempel; in Helden-Gedichten aber kan nechſt Homero und<lb/> Virgilio auch Voltaire zum Muſter dienen. Jn Satiren<lb/> kan endlich auch zuweilen was ſcharfſinniges vorkommen,<lb/> zumahl wenn der Poet ins Moraliſiren kommt. Horatz,<lb/> Juvenal, Boileau, Rachel, Canitz, Neukirch und Guͤn-<lb/> ther ſind darinne zu Muſtern zu nehmen. Statt aller<lb/> Exempel von der wahren ſcharfſinnigen Schreibart ſoll mir<lb/> Neukirchs Trauer-Gedichte auf die Koͤnigin von Preuſſen<lb/> Charlotte an die Hand geben. Es herrſcht eine richtige<lb/> Hoheit der Gedancken darinn, und wenn man das eine<lb/> Wortſpiel von Engelland am Ende wegnimmt, ſo iſt es<lb/> ohne Fehler.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Jhr Muſen, die ihr mich, der Preußen Haupt zu ſingen,</l><lb/> <l>Offt gluͤcklich angefeurt, helft meine Feder zwingen,</l><lb/> <l>Und fuͤhrt ſie von der Hoͤh, nach der ich luͤſtern bin,</l><lb/> <l>Von Friedrichs Siegesbahn zu ſeinen Thraͤnen hin.</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Sein</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [294/0322]
Das XI. Capitel
Thoͤne betaͤuben das Gehoͤr, und gar zu ſehr gewuͤrtzte
Speiſen erwecken einen Eckel. Gar zu viel Zierrathe in
Gedichten machen einen Leſer auch uͤberdruͤßig, wenn ſie un-
aufhoͤrlich in einem Zuſammenhange fortgehen. Sollte
aber ja noch eine Art ſeyn, wo ſie am meiſten brauchbar
waͤre, ſo muͤſte es ein Lob-Gedichte ſeyn, und zumahl eine
Helden-Ode. Hier redet der Poet ſelbſt durchgehends, er
hat wichtige Dinge vor ſich, und kan Leſer vermuthen, die
ſeine ſinnreiche Sprache verſtehen werden. Daher kan er
daſelbſt ſeine gantze Kunſt ſehen laſſen, wie Pindarus auch
und Horatz ſehr offt gethan. Das obige Exempel aus
Amthor von den drey Land-Plagen gehoͤrte hieher. Ferner
kan dieſe Schreibart in Trauer-Spielen ſtarck gebraucht
werden, ausgenommen, wenn irgend eine ſchlechte Perſon
auftritt; oder ein Affect die pathetiſche Schreibart erfor-
dert. Jn dem Helden-Gedichte dient dieſe Schreibart nur
gleichſam zum Gewuͤrtze, welches theils der Poet, theils
ſeine Helden, die er redend einfuͤhret, gantz ſparſam mit ein-
ſtreuen, wenn es die Umſtaͤnde an die Hand geben. Jn
den Trauer-Spielen geben uns auſſer den alten Griechen,
die neuern Frantzoſen Corneille und Racine die ſchoͤnſten
Exempel; in Helden-Gedichten aber kan nechſt Homero und
Virgilio auch Voltaire zum Muſter dienen. Jn Satiren
kan endlich auch zuweilen was ſcharfſinniges vorkommen,
zumahl wenn der Poet ins Moraliſiren kommt. Horatz,
Juvenal, Boileau, Rachel, Canitz, Neukirch und Guͤn-
ther ſind darinne zu Muſtern zu nehmen. Statt aller
Exempel von der wahren ſcharfſinnigen Schreibart ſoll mir
Neukirchs Trauer-Gedichte auf die Koͤnigin von Preuſſen
Charlotte an die Hand geben. Es herrſcht eine richtige
Hoheit der Gedancken darinn, und wenn man das eine
Wortſpiel von Engelland am Ende wegnimmt, ſo iſt es
ohne Fehler.
Jhr Muſen, die ihr mich, der Preußen Haupt zu ſingen,
Offt gluͤcklich angefeurt, helft meine Feder zwingen,
Und fuͤhrt ſie von der Hoͤh, nach der ich luͤſtern bin,
Von Friedrichs Siegesbahn zu ſeinen Thraͤnen hin.
Sein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |