Doch als er dergestalt die Liebe walten ließ, Sah er, daß man hernach mit Fingern auf ihn wieß. Jhr könntet ja mit Recht, hört er von andern Leuten, Zum wenigsten zugleich mit eurem Buben reiten. Er folgte diesem Rath, und als er weiter kam, Erfuhr er, daß man ihm auch dieß vor übel nahm, Es schrie der gantze Marckt: Jhr thut dem Thiere schaden, Man pflegt nicht so wie ihr sein Vieh zu überladen. Der Alte, der noch nie die Welt so wohl gekannt, Kehrt eilig wieder um, wie ers am besten fand, Und sagte: Sollt ich mich in alle Leute schicken, So packten sie mir gar den Esel auf den Rücken.
Dieses ist nun die poetische Art Fabeln zu erzehlen, de- ren sich im Lateinischen Phädrus als ein Meister bedienet hat. Virgil in seiner Eneis, hat sich eben derselben bedie- net, so offt er selber was erzehlet, und keinen andern redend einführet. Amthor hat in seiner Ubersetzung die edle Ein- falt dieses Lateiners völlig erreichet, darum will ich eine Probe gleich aus dem ersten, wo es heißt: Vrbs antiqua fuit &c. hersetzen:
Ein alter Wunderbau, den man Carthago hieß, Worinn der Tyrier sich häuslich niederließ, Durch Krieg und Frieden groß, lag der berühmten Tyber Und dem Lateinerland zur Seiten gegen über. Man sagt, daß Juno ihn vor allen hochgeschätzt, Ja Samus Götterhaus ihm selber nachgesetzt. Hier ward der Waffenplatz vor ihre Macht ersehen, Hier sollte Spieß und Schild nebst ihrem Wagen stehen, Ja träfe das Geschick mit ihrem Wünschen ein, So sollten Ost und West Carthagen zinsbar seyn. Und dennoch muste sie die trübe Zeitung hören, Es würde Trojens Blut der Tyrer Schlösser stören. Und ein gefürchtet Volck, vor dessen Kronen-Gold Und seiner Waffen Blitz die Welt erschüttern sollt, Auch selbst den Lybier von seinem Thron verdringen: Nichts würde diesen Schluß der strengen Parcen zwingen etc.
Da nun dieses die rechte Schreibart ist, die sich zu ei- nem Helden-Gedichte schickt, welches eine Erzehlung seyn muß: so kan man leicht urtheilen, daß weder Lucan, noch Statius, noch Claudianus in diesem Stücke den rechten Weg gegangen. Alle diese schreiben viel zu hochtrabend,
als
Das XI. Capitel
Doch als er dergeſtalt die Liebe walten ließ, Sah er, daß man hernach mit Fingern auf ihn wieß. Jhr koͤnntet ja mit Recht, hoͤrt er von andern Leuten, Zum wenigſten zugleich mit eurem Buben reiten. Er folgte dieſem Rath, und als er weiter kam, Erfuhr er, daß man ihm auch dieß vor uͤbel nahm, Es ſchrie der gantze Marckt: Jhr thut dem Thiere ſchaden, Man pflegt nicht ſo wie ihr ſein Vieh zu uͤberladen. Der Alte, der noch nie die Welt ſo wohl gekannt, Kehrt eilig wieder um, wie ers am beſten fand, Und ſagte: Sollt ich mich in alle Leute ſchicken, So packten ſie mir gar den Eſel auf den Ruͤcken.
Dieſes iſt nun die poetiſche Art Fabeln zu erzehlen, de- ren ſich im Lateiniſchen Phaͤdrus als ein Meiſter bedienet hat. Virgil in ſeiner Eneis, hat ſich eben derſelben bedie- net, ſo offt er ſelber was erzehlet, und keinen andern redend einfuͤhret. Amthor hat in ſeiner Uberſetzung die edle Ein- falt dieſes Lateiners voͤllig erreichet, darum will ich eine Probe gleich aus dem erſten, wo es heißt: Vrbs antiqua fuit &c. herſetzen:
Ein alter Wunderbau, den man Carthago hieß, Worinn der Tyrier ſich haͤuslich niederließ, Durch Krieg und Frieden groß, lag der beruͤhmten Tyber Und dem Lateinerland zur Seiten gegen uͤber. Man ſagt, daß Juno ihn vor allen hochgeſchaͤtzt, Ja Samus Goͤtterhaus ihm ſelber nachgeſetzt. Hier ward der Waffenplatz vor ihre Macht erſehen, Hier ſollte Spieß und Schild nebſt ihrem Wagen ſtehen, Ja traͤfe das Geſchick mit ihrem Wuͤnſchen ein, So ſollten Oſt und Weſt Carthagen zinsbar ſeyn. Und dennoch muſte ſie die truͤbe Zeitung hoͤren, Es wuͤrde Trojens Blut der Tyrer Schloͤſſer ſtoͤren. Und ein gefuͤrchtet Volck, vor deſſen Kronen-Gold Und ſeiner Waffen Blitz die Welt erſchuͤttern ſollt, Auch ſelbſt den Lybier von ſeinem Thron verdringen: Nichts wuͤrde dieſen Schluß der ſtrengen Parcen zwingen ꝛc.
Da nun dieſes die rechte Schreibart iſt, die ſich zu ei- nem Helden-Gedichte ſchickt, welches eine Erzehlung ſeyn muß: ſo kan man leicht urtheilen, daß weder Lucan, noch Statius, noch Claudianus in dieſem Stuͤcke den rechten Weg gegangen. Alle dieſe ſchreiben viel zu hochtrabend,
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Das XI. Capitel
Doch als er dergeſtalt die Liebe walten ließ,
Sah er, daß man hernach mit Fingern auf ihn wieß.
Jhr koͤnntet ja mit Recht, hoͤrt er von andern Leuten,
Zum wenigſten zugleich mit eurem Buben reiten.
Er folgte dieſem Rath, und als er weiter kam,
Erfuhr er, daß man ihm auch dieß vor uͤbel nahm,
Es ſchrie der gantze Marckt: Jhr thut dem Thiere ſchaden,
Man pflegt nicht ſo wie ihr ſein Vieh zu uͤberladen.
Der Alte, der noch nie die Welt ſo wohl gekannt,
Kehrt eilig wieder um, wie ers am beſten fand,
Und ſagte: Sollt ich mich in alle Leute ſchicken,
So packten ſie mir gar den Eſel auf den Ruͤcken.
Dieſes iſt nun die poetiſche Art Fabeln zu erzehlen, de-
ren ſich im Lateiniſchen Phaͤdrus als ein Meiſter bedienet
hat. Virgil in ſeiner Eneis, hat ſich eben derſelben bedie-
net, ſo offt er ſelber was erzehlet, und keinen andern redend
einfuͤhret. Amthor hat in ſeiner Uberſetzung die edle Ein-
falt dieſes Lateiners voͤllig erreichet, darum will ich eine
Probe gleich aus dem erſten, wo es heißt: Vrbs antiqua
fuit &c. herſetzen:
Ein alter Wunderbau, den man Carthago hieß,
Worinn der Tyrier ſich haͤuslich niederließ,
Durch Krieg und Frieden groß, lag der beruͤhmten Tyber
Und dem Lateinerland zur Seiten gegen uͤber.
Man ſagt, daß Juno ihn vor allen hochgeſchaͤtzt,
Ja Samus Goͤtterhaus ihm ſelber nachgeſetzt.
Hier ward der Waffenplatz vor ihre Macht erſehen,
Hier ſollte Spieß und Schild nebſt ihrem Wagen ſtehen,
Ja traͤfe das Geſchick mit ihrem Wuͤnſchen ein,
So ſollten Oſt und Weſt Carthagen zinsbar ſeyn.
Und dennoch muſte ſie die truͤbe Zeitung hoͤren,
Es wuͤrde Trojens Blut der Tyrer Schloͤſſer ſtoͤren.
Und ein gefuͤrchtet Volck, vor deſſen Kronen-Gold
Und ſeiner Waffen Blitz die Welt erſchuͤttern ſollt,
Auch ſelbſt den Lybier von ſeinem Thron verdringen:
Nichts wuͤrde dieſen Schluß der ſtrengen Parcen zwingen ꝛc.
Da nun dieſes die rechte Schreibart iſt, die ſich zu ei-
nem Helden-Gedichte ſchickt, welches eine Erzehlung ſeyn
muß: ſo kan man leicht urtheilen, daß weder Lucan, noch
Statius, noch Claudianus in dieſem Stuͤcke den rechten
Weg gegangen. Alle dieſe ſchreiben viel zu hochtrabend,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/318>, abgerufen am 24.11.2024.
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