Es ist aber auch nicht nothwendig, daß dieses nur in Oden am Ende jeder Strophe geschehe: Man kan vielmehr auch in langen Versen an bequemen Orten, zum Beschlusse einer kurtzen Rede, zwey oder mehrmahls nach einander ei- nerley Schluß-Worte wiederholen, davon ich Weitläuf- tigkeit zu meiden kein Exempel hersetzen will.
Das Befragen(Communicatio) wird XXV. an die Zu- hörer oder gar an sonst wen gerichtet, und ist also jederzeit mit der Anrede verknüpfet; allein es zieht sie auch allezeit zu Rathe, und giebt es ihnen selbst zu erwegen, ob sich die Sache nicht so und so verhalte, als man gesagt, oder gern haben will. Z. E. Besser läßt den Seladon die Cloris der- gestalt anreden und sie um ihre eigene Meynung befragen.
Ach Cloris, wolltest du, daß ich gewichen wäre? Bedencke doch die Schmach, und deiner Schönheit Ehre. Jch hätte ja die Macht der Lieblichkeit verhöhnt, Wenn ich nicht deine Schooß mit meiner Hand gekrönt.
Eben so redet Günther seine Geliebte im I. Th. p. 261. an: Und nachdem er sie angeredet, Kind, bilde dir einmahl zwo fromme Seelen ein etc. und ihr einen glücklichen Ehstand be- schrieben, setzt er hinzu:
Was meynst du zu der Eh, die solche Früchte bringt? Nicht wahr? die Lebensart ist besser als drey Cronen? Was hilft der güldne Strick, der viel zusammen zwingt, Wenn er und sie hernach bey Basilisken wohnen? Was helfen jenen Freund zehn tausend Schürtzen Geld, Wovon sein tummes Weib ein dutzend Schwäger hält.
Das Geständniß(Consessio) ist die XXVIste Figur, worinn man selbst einen Einwurf macht, und denselben bald eines theils zugiebt; doch aber seine Antwort nicht schuldig bleibt. Rachelius macht sich in seiner Satire, der Poet, diesen Einwurf:
Was soll ich aber machen Mit denen, die so gern den Bettelsack belachen? Wo ein Poete wohnt, da ist ein ledig Haus, Da hängt, spricht Güldengraf, ein armer Teufel aus. Gedult! was will man thun? Man muß es zwar gestehen, Wer zu dem Reichthum eilt, muß anders was ersehen, Als Versemacher-Kunst. etc.
Eben
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Von den Figuren in der Poeſie.
Es iſt aber auch nicht nothwendig, daß dieſes nur in Oden am Ende jeder Strophe geſchehe: Man kan vielmehr auch in langen Verſen an bequemen Orten, zum Beſchluſſe einer kurtzen Rede, zwey oder mehrmahls nach einander ei- nerley Schluß-Worte wiederholen, davon ich Weitlaͤuf- tigkeit zu meiden kein Exempel herſetzen will.
Das Befragen(Communicatio) wird XXV. an die Zu- hoͤrer oder gar an ſonſt wen gerichtet, und iſt alſo jederzeit mit der Anrede verknuͤpfet; allein es zieht ſie auch allezeit zu Rathe, und giebt es ihnen ſelbſt zu erwegen, ob ſich die Sache nicht ſo und ſo verhalte, als man geſagt, oder gern haben will. Z. E. Beſſer laͤßt den Seladon die Cloris der- geſtalt anreden und ſie um ihre eigene Meynung befragen.
Ach Cloris, wollteſt du, daß ich gewichen waͤre? Bedencke doch die Schmach, und deiner Schoͤnheit Ehre. Jch haͤtte ja die Macht der Lieblichkeit verhoͤhnt, Wenn ich nicht deine Schooß mit meiner Hand gekroͤnt.
Eben ſo redet Guͤnther ſeine Geliebte im I. Th. p. 261. an: Und nachdem er ſie angeredet, Kind, bilde dir einmahl zwo fromme Seelen ein ꝛc. und ihr einen gluͤcklichen Ehſtand be- ſchrieben, ſetzt er hinzu:
Was meynſt du zu der Eh, die ſolche Fruͤchte bringt? Nicht wahr? die Lebensart iſt beſſer als drey Cronen? Was hilft der guͤldne Strick, der viel zuſammen zwingt, Wenn er und ſie hernach bey Baſilisken wohnen? Was helfen jenen Freund zehn tauſend Schuͤrtzen Geld, Wovon ſein tummes Weib ein dutzend Schwaͤger haͤlt.
Das Geſtaͤndniß(Conſeſſio) iſt die XXVIſte Figur, worinn man ſelbſt einen Einwurf macht, und denſelben bald eines theils zugiebt; doch aber ſeine Antwort nicht ſchuldig bleibt. Rachelius macht ſich in ſeiner Satire, der Poet, dieſen Einwurf:
Was ſoll ich aber machen Mit denen, die ſo gern den Bettelſack belachen? Wo ein Poete wohnt, da iſt ein ledig Haus, Da haͤngt, ſpricht Guͤldengraf, ein armer Teufel aus. Gedult! was will man thun? Man muß es zwar geſtehen, Wer zu dem Reichthum eilt, muß anders was erſehen, Als Verſemacher-Kunſt. ꝛc.
Eben
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Von den Figuren in der Poeſie.
Es iſt aber auch nicht nothwendig, daß dieſes nur in
Oden am Ende jeder Strophe geſchehe: Man kan vielmehr
auch in langen Verſen an bequemen Orten, zum Beſchluſſe
einer kurtzen Rede, zwey oder mehrmahls nach einander ei-
nerley Schluß-Worte wiederholen, davon ich Weitlaͤuf-
tigkeit zu meiden kein Exempel herſetzen will.
Das Befragen (Communicatio) wird XXV. an die Zu-
hoͤrer oder gar an ſonſt wen gerichtet, und iſt alſo jederzeit
mit der Anrede verknuͤpfet; allein es zieht ſie auch allezeit
zu Rathe, und giebt es ihnen ſelbſt zu erwegen, ob ſich die
Sache nicht ſo und ſo verhalte, als man geſagt, oder gern
haben will. Z. E. Beſſer laͤßt den Seladon die Cloris der-
geſtalt anreden und ſie um ihre eigene Meynung befragen.
Ach Cloris, wollteſt du, daß ich gewichen waͤre?
Bedencke doch die Schmach, und deiner Schoͤnheit Ehre.
Jch haͤtte ja die Macht der Lieblichkeit verhoͤhnt,
Wenn ich nicht deine Schooß mit meiner Hand gekroͤnt.
Eben ſo redet Guͤnther ſeine Geliebte im I. Th. p. 261. an:
Und nachdem er ſie angeredet, Kind, bilde dir einmahl zwo
fromme Seelen ein ꝛc. und ihr einen gluͤcklichen Ehſtand be-
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Was meynſt du zu der Eh, die ſolche Fruͤchte bringt?
Nicht wahr? die Lebensart iſt beſſer als drey Cronen?
Was hilft der guͤldne Strick, der viel zuſammen zwingt,
Wenn er und ſie hernach bey Baſilisken wohnen?
Was helfen jenen Freund zehn tauſend Schuͤrtzen Geld,
Wovon ſein tummes Weib ein dutzend Schwaͤger haͤlt.
Das Geſtaͤndniß (Conſeſſio) iſt die XXVIſte Figur,
worinn man ſelbſt einen Einwurf macht, und denſelben bald
eines theils zugiebt; doch aber ſeine Antwort nicht ſchuldig
bleibt. Rachelius macht ſich in ſeiner Satire, der Poet,
dieſen Einwurf:
Was ſoll ich aber machen
Mit denen, die ſo gern den Bettelſack belachen?
Wo ein Poete wohnt, da iſt ein ledig Haus,
Da haͤngt, ſpricht Guͤldengraf, ein armer Teufel aus.
Gedult! was will man thun? Man muß es zwar geſtehen,
Wer zu dem Reichthum eilt, muß anders was erſehen,
Als Verſemacher-Kunſt. ꝛc.
Eben
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/307>, abgerufen am 24.11.2024.
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