Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Von poetischen Perioden und ihren Zierrathen.
stein die Sonne den Almosenmeister Gottes, den Menschen
eine Mappe dieses grossen Alles nennet, und hernach bald
der göttlichen Vorsehung in die Speichen tritt, bald die
Deichsel dem Vaterlande zukehret;
So sind dieses lauter
unverständliche Rätzel, welche man nicht errathen würde,
wenn nicht theils ausdrücklich darbey stünde, was sie bedeu-
ten sollten, theils aber der Zusammenhang solches zeigte.
S. dessen Rede auf den Herrn v. Hofmannsw. Dieses
alles zeiget meines Erachtens, wie nöthig es sey, bey dem
verblümten Ausdrucke seiner Gedancken vor allen Dingen
auf die Deutlichkeit zu sehen, und sich ja nicht durch den
Schein einer falschen Hoheit in das Phöbus oder Galima-
tias stürtzen zu lassen.

Nichts ist übrig, als daß ich versprochenermaßen noch
zeige, was vor Versetzungen der Wörter in unsrer Spra-
che, der Deutlichkeit unbeschadet, noch möglich sind; und
was vor eine Zierde die poetische Schreibart davon bekom-
me. Man bildet sich insgemein ein, die guten Poeten
folgten der ungebundnen Wortfügung aufs allergenaueste:
allein ich habe das Gegentheil bemercket und wahrgenom-
men, daß sie viele neue und offt recht verwegene Verse-
tzungen machen, die zwar ungewöhnlich aber doch nicht un-
richtig klingen, und also überaus anmuthig zu lesen sind.
Sonderlich habe ich diese Kühnheit an den Meistern in O-
den wahrgenommen, darunter ich Opitzen, Dachen, Flem-
mingen, Tscherningen, Kaldenbachen, Francken, Amthorn
und Günthern nennen kan. Die Exempel, so ich aus ihnen
anführen will, werden sattsam zeigen, wie edel der poetische
Ausdruck dadurch werde: weit gefehlt, daß er entweder
unrichtig oder dunckel davon werden sollte. Wenn Opitz
sagen will: Grüne wohl, du starcke Raute, dieses Gifft
der Zeiten weiche deinen süßen Bitterkeiten, welche nichts
bezwingen soll; so kehrt ers um, und singt II. B. P. W.
viel munterer also:

Starcke Raute, grüne wohl!
Deinen süssen Bitterkeiten,
Welche nichts bezwingen soll,
Weiche dieses Gifft der Zeiten,
Dieses

Von poetiſchen Perioden und ihren Zierrathen.
ſtein die Sonne den Almoſenmeiſter Gottes, den Menſchen
eine Mappe dieſes groſſen Alles nennet, und hernach bald
der goͤttlichen Vorſehung in die Speichen tritt, bald die
Deichſel dem Vaterlande zukehret;
So ſind dieſes lauter
unverſtaͤndliche Raͤtzel, welche man nicht errathen wuͤrde,
wenn nicht theils ausdruͤcklich darbey ſtuͤnde, was ſie bedeu-
ten ſollten, theils aber der Zuſammenhang ſolches zeigte.
S. deſſen Rede auf den Herrn v. Hofmannsw. Dieſes
alles zeiget meines Erachtens, wie noͤthig es ſey, bey dem
verbluͤmten Ausdrucke ſeiner Gedancken vor allen Dingen
auf die Deutlichkeit zu ſehen, und ſich ja nicht durch den
Schein einer falſchen Hoheit in das Phoͤbus oder Galima-
tias ſtuͤrtzen zu laſſen.

Nichts iſt uͤbrig, als daß ich verſprochenermaßen noch
zeige, was vor Verſetzungen der Woͤrter in unſrer Spra-
che, der Deutlichkeit unbeſchadet, noch moͤglich ſind; und
was vor eine Zierde die poetiſche Schreibart davon bekom-
me. Man bildet ſich insgemein ein, die guten Poeten
folgten der ungebundnen Wortfuͤgung aufs allergenaueſte:
allein ich habe das Gegentheil bemercket und wahrgenom-
men, daß ſie viele neue und offt recht verwegene Verſe-
tzungen machen, die zwar ungewoͤhnlich aber doch nicht un-
richtig klingen, und alſo uͤberaus anmuthig zu leſen ſind.
Sonderlich habe ich dieſe Kuͤhnheit an den Meiſtern in O-
den wahrgenommen, darunter ich Opitzen, Dachen, Flem-
mingen, Tſcherningen, Kaldenbachen, Francken, Amthorn
und Guͤnthern nennen kan. Die Exempel, ſo ich aus ihnen
anfuͤhren will, werden ſattſam zeigen, wie edel der poetiſche
Ausdruck dadurch werde: weit gefehlt, daß er entweder
unrichtig oder dunckel davon werden ſollte. Wenn Opitz
ſagen will: Gruͤne wohl, du ſtarcke Raute, dieſes Gifft
der Zeiten weiche deinen ſuͤßen Bitterkeiten, welche nichts
bezwingen ſoll; ſo kehrt ers um, und ſingt II. B. P. W.
viel munterer alſo:

Starcke Raute, gruͤne wohl!
Deinen ſuͤſſen Bitterkeiten,
Welche nichts bezwingen ſoll,
Weiche dieſes Gifft der Zeiten,
Dieſes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0279" n="251"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von poeti&#x017F;chen Perioden und ihren Zierrathen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;tein die Sonne <hi rendition="#fr">den Almo&#x017F;enmei&#x017F;ter Gottes,</hi> den Men&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#fr">eine Mappe die&#x017F;es gro&#x017F;&#x017F;en Alles</hi> nennet, und hernach bald<lb/>
der <hi rendition="#fr">go&#x0364;ttlichen Vor&#x017F;ehung in die Speichen tritt,</hi> bald <hi rendition="#fr">die<lb/>
Deich&#x017F;el dem Vaterlande zukehret;</hi> So &#x017F;ind die&#x017F;es lauter<lb/>
unver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Ra&#x0364;tzel, welche man nicht errathen wu&#x0364;rde,<lb/>
wenn nicht theils ausdru&#x0364;cklich darbey &#x017F;tu&#x0364;nde, was &#x017F;ie bedeu-<lb/>
ten &#x017F;ollten, theils aber der Zu&#x017F;ammenhang &#x017F;olches zeigte.<lb/>
S. de&#x017F;&#x017F;en Rede auf den Herrn v. Hofmannsw. Die&#x017F;es<lb/>
alles zeiget meines Erachtens, wie no&#x0364;thig es &#x017F;ey, bey dem<lb/>
verblu&#x0364;mten Ausdrucke &#x017F;einer Gedancken vor allen Dingen<lb/>
auf die Deutlichkeit zu &#x017F;ehen, und &#x017F;ich ja nicht durch den<lb/>
Schein einer fal&#x017F;chen Hoheit in das Pho&#x0364;bus oder Galima-<lb/>
tias &#x017F;tu&#x0364;rtzen zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Nichts i&#x017F;t u&#x0364;brig, als daß ich ver&#x017F;prochenermaßen noch<lb/>
zeige, was vor Ver&#x017F;etzungen der Wo&#x0364;rter in un&#x017F;rer Spra-<lb/>
che, der Deutlichkeit unbe&#x017F;chadet, noch mo&#x0364;glich &#x017F;ind; und<lb/>
was vor eine Zierde die poeti&#x017F;che Schreibart davon bekom-<lb/>
me. Man bildet &#x017F;ich insgemein ein, die guten Poeten<lb/>
folgten der ungebundnen Wortfu&#x0364;gung aufs allergenaue&#x017F;te:<lb/>
allein ich habe das Gegentheil bemercket und wahrgenom-<lb/>
men, daß &#x017F;ie viele neue und offt recht verwegene Ver&#x017F;e-<lb/>
tzungen machen, die zwar ungewo&#x0364;hnlich aber doch nicht un-<lb/>
richtig klingen, und al&#x017F;o u&#x0364;beraus anmuthig zu le&#x017F;en &#x017F;ind.<lb/>
Sonderlich habe ich die&#x017F;e Ku&#x0364;hnheit an den Mei&#x017F;tern in O-<lb/>
den wahrgenommen, darunter ich Opitzen, Dachen, Flem-<lb/>
mingen, T&#x017F;cherningen, Kaldenbachen, Francken, Amthorn<lb/>
und Gu&#x0364;nthern nennen kan. Die Exempel, &#x017F;o ich aus ihnen<lb/>
anfu&#x0364;hren will, werden &#x017F;att&#x017F;am zeigen, wie edel der poeti&#x017F;che<lb/>
Ausdruck dadurch werde: weit gefehlt, daß er entweder<lb/>
unrichtig oder dunckel davon werden &#x017F;ollte. Wenn Opitz<lb/>
&#x017F;agen will: Gru&#x0364;ne wohl, du &#x017F;tarcke Raute, die&#x017F;es Gifft<lb/>
der Zeiten weiche deinen &#x017F;u&#x0364;ßen Bitterkeiten, welche nichts<lb/>
bezwingen &#x017F;oll; &#x017F;o kehrt ers um, und &#x017F;ingt <hi rendition="#aq">II.</hi> B. P. W.<lb/>
viel munterer al&#x017F;o:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>
              <lg type="poem">
                <l>Starcke Raute, gru&#x0364;ne wohl!</l><lb/>
                <l>Deinen &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Bitterkeiten,</l><lb/>
                <l>Welche nichts bezwingen &#x017F;oll,</l><lb/>
                <l>Weiche die&#x017F;es Gifft der Zeiten,</l><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;es</fw><lb/>
              </lg>
            </quote>
          </cit>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0279] Von poetiſchen Perioden und ihren Zierrathen. ſtein die Sonne den Almoſenmeiſter Gottes, den Menſchen eine Mappe dieſes groſſen Alles nennet, und hernach bald der goͤttlichen Vorſehung in die Speichen tritt, bald die Deichſel dem Vaterlande zukehret; So ſind dieſes lauter unverſtaͤndliche Raͤtzel, welche man nicht errathen wuͤrde, wenn nicht theils ausdruͤcklich darbey ſtuͤnde, was ſie bedeu- ten ſollten, theils aber der Zuſammenhang ſolches zeigte. S. deſſen Rede auf den Herrn v. Hofmannsw. Dieſes alles zeiget meines Erachtens, wie noͤthig es ſey, bey dem verbluͤmten Ausdrucke ſeiner Gedancken vor allen Dingen auf die Deutlichkeit zu ſehen, und ſich ja nicht durch den Schein einer falſchen Hoheit in das Phoͤbus oder Galima- tias ſtuͤrtzen zu laſſen. Nichts iſt uͤbrig, als daß ich verſprochenermaßen noch zeige, was vor Verſetzungen der Woͤrter in unſrer Spra- che, der Deutlichkeit unbeſchadet, noch moͤglich ſind; und was vor eine Zierde die poetiſche Schreibart davon bekom- me. Man bildet ſich insgemein ein, die guten Poeten folgten der ungebundnen Wortfuͤgung aufs allergenaueſte: allein ich habe das Gegentheil bemercket und wahrgenom- men, daß ſie viele neue und offt recht verwegene Verſe- tzungen machen, die zwar ungewoͤhnlich aber doch nicht un- richtig klingen, und alſo uͤberaus anmuthig zu leſen ſind. Sonderlich habe ich dieſe Kuͤhnheit an den Meiſtern in O- den wahrgenommen, darunter ich Opitzen, Dachen, Flem- mingen, Tſcherningen, Kaldenbachen, Francken, Amthorn und Guͤnthern nennen kan. Die Exempel, ſo ich aus ihnen anfuͤhren will, werden ſattſam zeigen, wie edel der poetiſche Ausdruck dadurch werde: weit gefehlt, daß er entweder unrichtig oder dunckel davon werden ſollte. Wenn Opitz ſagen will: Gruͤne wohl, du ſtarcke Raute, dieſes Gifft der Zeiten weiche deinen ſuͤßen Bitterkeiten, welche nichts bezwingen ſoll; ſo kehrt ers um, und ſingt II. B. P. W. viel munterer alſo: Starcke Raute, gruͤne wohl! Deinen ſuͤſſen Bitterkeiten, Welche nichts bezwingen ſoll, Weiche dieſes Gifft der Zeiten, Dieſes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/279
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/279>, abgerufen am 03.05.2024.