Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Das VIII. Capitel
Cytherens-Blut den Ursprung haben soll, blühet Rubin und
Purpur. Die klare Lufft schneyt ambrirte Perlen. Man
soll uns einst in Edens güldnen Auen mit buntgefärbtem
Pracht als helle Sterne schauen. u. d. m. Das Galimatias
will ich aus dem Schlusse dieses Gedichtes hernehmen, und
da es Gryphius gar wohl ein Mischmasch genennet, so will
ich einen jeden fragen, ob man wohl mehr verschiedene Dinge
in 6 Zeilen hätte durcheinander mengen, oder dem Schei-
ne nach mit einander reimen können, als dieser Poet wircklich
gethan. Denn da finde ich Canaan, güldne Blumen, Ti-
tans Strahlen, der Thetis Wellen, Wetter, Orcan, Pur-
pur, Regengüsse, Schmuck, Lentz, Sonne, Schmaragdne
Felder, Perlenwasser, Schnee und Eis, holde Blumen, Ro-
senblut, Frost, Dornen, bittre Aloe, der Myrrhen herbes
Pech, öde Coloquinten, das gelobte Land des Himmels,
Nesseln, die Sternen-Höhe, Zuckerbrodt, Ambrosin, Ne-
ctar, diamantne Auen, Honigseim und Alicant, ja damit
nichts vergessen würde, so kommt zuletzt auch Ambra und Zi-
beth noch nach. Wir müssen nunmehro die Stelle selbst
sehen.

Hier ist das Canaan, das güldne Blumen trägt,
Wo Titans Strahlen nie in Thetis Wellen steigen.
Kein Wetter, kein Orcan darf ihren Purpur bleichen,
Hier ist kein Regenguß der ihren Schmuck zerschlägt.
Hier ist kein solcher Lentz, der bald die Sonne zeigt,
Und das Schmaragdne Feld mit Perlenwasser träncket,
Bald aber Schnee und Eis statt holder Blumen schencket,
Hier wird der Rosenblut durch keinen Frost gebleicht.
Von Dornen weiß man nichts; die bittre Alce,
Der Myrrhen herbes Pech, die öden Coloquinten,
Sind im gelobten Land des Himmels nicht zu finden,
Die Nesseln sind verbannt von dieser Sternen Höh.
Hier ist nun Zuckerbrodt und süßer Ambrosin,
Der Nectar fließet hier durch diamantne Auen,
Hier ist nur Honigseim und Alicant zu schauen,
Weil Ambra und Zibeth die Blumen überziehn.

Dieß ist nun ein rechtes Meisterstück durcheinander gewirr-
ter Metaphoren und andrer übelausgesonnener verblümten
Ausdrückungen; Kurtz ein rechtes Galimatias mit etlichen
Phöbus durchflochten.

Nichts

Das VIII. Capitel
Cytherens-Blut den Urſprung haben ſoll, bluͤhet Rubin und
Purpur. Die klare Lufft ſchneyt ambrirte Perlen. Man
ſoll uns einſt in Edens guͤldnen Auen mit buntgefaͤrbtem
Pracht als helle Sterne ſchauen. u. d. m. Das Galimatias
will ich aus dem Schluſſe dieſes Gedichtes hernehmen, und
da es Gryphius gar wohl ein Miſchmaſch genennet, ſo will
ich einen jeden fragen, ob man wohl mehr verſchiedene Dinge
in 6 Zeilen haͤtte durcheinander mengen, oder dem Schei-
ne nach mit einander reimen koͤnnen, als dieſer Poet wircklich
gethan. Denn da finde ich Canaan, guͤldne Blumen, Ti-
tans Strahlen, der Thetis Wellen, Wetter, Orcan, Pur-
pur, Regenguͤſſe, Schmuck, Lentz, Sonne, Schmaragdne
Felder, Perlenwaſſer, Schnee und Eis, holde Blumen, Ro-
ſenblut, Froſt, Dornen, bittre Aloe, der Myrrhen herbes
Pech, oͤde Coloquinten, das gelobte Land des Himmels,
Neſſeln, die Sternen-Hoͤhe, Zuckerbrodt, Ambroſin, Ne-
ctar, diamantne Auen, Honigſeim und Alicant, ja damit
nichts vergeſſen wuͤrde, ſo kommt zuletzt auch Ambra und Zi-
beth noch nach. Wir muͤſſen nunmehro die Stelle ſelbſt
ſehen.

Hier iſt das Canaan, das guͤldne Blumen traͤgt,
Wo Titans Strahlen nie in Thetis Wellen ſteigen.
Kein Wetter, kein Orcan darf ihren Purpur bleichen,
Hier iſt kein Regenguß der ihren Schmuck zerſchlaͤgt.
Hier iſt kein ſolcher Lentz, der bald die Sonne zeigt,
Und das Schmaragdne Feld mit Perlenwaſſer traͤncket,
Bald aber Schnee und Eis ſtatt holder Blumen ſchencket,
Hier wird der Roſenblut durch keinen Froſt gebleicht.
Von Dornen weiß man nichts; die bittre Alce,
Der Myrrhen herbes Pech, die oͤden Coloquinten,
Sind im gelobten Land des Himmels nicht zu finden,
Die Neſſeln ſind verbannt von dieſer Sternen Hoͤh.
Hier iſt nun Zuckerbrodt und ſuͤßer Ambroſin,
Der Nectar fließet hier durch diamantne Auen,
Hier iſt nur Honigſeim und Alicant zu ſchauen,
Weil Ambra und Zibeth die Blumen uͤberziehn.

Dieß iſt nun ein rechtes Meiſterſtuͤck durcheinander gewirr-
ter Metaphoren und andrer uͤbelausgeſonnener verbluͤmten
Ausdruͤckungen; Kurtz ein rechtes Galimatias mit etlichen
Phoͤbus durchflochten.

Nichts
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0258" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
Cytherens-Blut den Ur&#x017F;prung haben &#x017F;oll, blu&#x0364;het Rubin und<lb/>
Purpur. Die klare Lufft &#x017F;chneyt ambrirte Perlen. Man<lb/>
&#x017F;oll uns ein&#x017F;t in Edens gu&#x0364;ldnen Auen mit buntgefa&#x0364;rbtem<lb/>
Pracht als helle Sterne &#x017F;chauen. u. d. m. Das Galimatias<lb/>
will ich aus dem Schlu&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;es Gedichtes hernehmen, und<lb/>
da es Gryphius gar wohl ein Mi&#x017F;chma&#x017F;ch genennet, &#x017F;o will<lb/>
ich einen jeden fragen, ob man wohl mehr ver&#x017F;chiedene Dinge<lb/>
in 6 Zeilen ha&#x0364;tte durcheinander mengen, oder dem Schei-<lb/>
ne nach mit einander reimen ko&#x0364;nnen, als die&#x017F;er Poet wircklich<lb/>
gethan. Denn da finde ich Canaan, gu&#x0364;ldne Blumen, Ti-<lb/>
tans Strahlen, der Thetis Wellen, Wetter, Orcan, Pur-<lb/>
pur, Regengu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Schmuck, Lentz, Sonne, Schmaragdne<lb/>
Felder, Perlenwa&#x017F;&#x017F;er, Schnee und Eis, holde Blumen, Ro-<lb/>
&#x017F;enblut, Fro&#x017F;t, Dornen, bittre Aloe, der Myrrhen herbes<lb/>
Pech, o&#x0364;de Coloquinten, das gelobte Land des Himmels,<lb/>
Ne&#x017F;&#x017F;eln, die Sternen-Ho&#x0364;he, Zuckerbrodt, Ambro&#x017F;in, Ne-<lb/>
ctar, diamantne Auen, Honig&#x017F;eim und Alicant, ja damit<lb/>
nichts verge&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde, &#x017F;o kommt zuletzt auch Ambra und Zi-<lb/>
beth noch nach. Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nunmehro die Stelle &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Hier i&#x017F;t das Canaan, das gu&#x0364;ldne Blumen tra&#x0364;gt,</l><lb/>
            <l>Wo Titans Strahlen nie in Thetis Wellen &#x017F;teigen.</l><lb/>
            <l>Kein Wetter, kein Orcan darf ihren Purpur bleichen,</l><lb/>
            <l>Hier i&#x017F;t kein Regenguß der ihren Schmuck zer&#x017F;chla&#x0364;gt.</l><lb/>
            <l>Hier i&#x017F;t kein &#x017F;olcher Lentz, der bald die Sonne zeigt,</l><lb/>
            <l>Und das Schmaragdne Feld mit Perlenwa&#x017F;&#x017F;er tra&#x0364;ncket,</l><lb/>
            <l>Bald aber Schnee und Eis &#x017F;tatt holder Blumen &#x017F;chencket,</l><lb/>
            <l>Hier wird der Ro&#x017F;enblut durch keinen Fro&#x017F;t gebleicht.</l><lb/>
            <l>Von Dornen weiß man nichts; die bittre Alce,</l><lb/>
            <l>Der Myrrhen herbes Pech, die o&#x0364;den Coloquinten,</l><lb/>
            <l>Sind im gelobten Land des Himmels nicht zu finden,</l><lb/>
            <l>Die Ne&#x017F;&#x017F;eln &#x017F;ind verbannt von die&#x017F;er Sternen Ho&#x0364;h.</l><lb/>
            <l>Hier i&#x017F;t nun Zuckerbrodt und &#x017F;u&#x0364;ßer Ambro&#x017F;in,</l><lb/>
            <l>Der Nectar fließet hier durch diamantne Auen,</l><lb/>
            <l>Hier i&#x017F;t nur Honig&#x017F;eim und Alicant zu &#x017F;chauen,</l><lb/>
            <l>Weil Ambra und Zibeth die Blumen u&#x0364;berziehn.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Dieß i&#x017F;t nun ein rechtes Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;ck durcheinander gewirr-<lb/>
ter Metaphoren und andrer u&#x0364;belausge&#x017F;onnener verblu&#x0364;mten<lb/>
Ausdru&#x0364;ckungen; Kurtz ein rechtes Galimatias mit etlichen<lb/>
Pho&#x0364;bus durchflochten.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Nichts</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0258] Das VIII. Capitel Cytherens-Blut den Urſprung haben ſoll, bluͤhet Rubin und Purpur. Die klare Lufft ſchneyt ambrirte Perlen. Man ſoll uns einſt in Edens guͤldnen Auen mit buntgefaͤrbtem Pracht als helle Sterne ſchauen. u. d. m. Das Galimatias will ich aus dem Schluſſe dieſes Gedichtes hernehmen, und da es Gryphius gar wohl ein Miſchmaſch genennet, ſo will ich einen jeden fragen, ob man wohl mehr verſchiedene Dinge in 6 Zeilen haͤtte durcheinander mengen, oder dem Schei- ne nach mit einander reimen koͤnnen, als dieſer Poet wircklich gethan. Denn da finde ich Canaan, guͤldne Blumen, Ti- tans Strahlen, der Thetis Wellen, Wetter, Orcan, Pur- pur, Regenguͤſſe, Schmuck, Lentz, Sonne, Schmaragdne Felder, Perlenwaſſer, Schnee und Eis, holde Blumen, Ro- ſenblut, Froſt, Dornen, bittre Aloe, der Myrrhen herbes Pech, oͤde Coloquinten, das gelobte Land des Himmels, Neſſeln, die Sternen-Hoͤhe, Zuckerbrodt, Ambroſin, Ne- ctar, diamantne Auen, Honigſeim und Alicant, ja damit nichts vergeſſen wuͤrde, ſo kommt zuletzt auch Ambra und Zi- beth noch nach. Wir muͤſſen nunmehro die Stelle ſelbſt ſehen. Hier iſt das Canaan, das guͤldne Blumen traͤgt, Wo Titans Strahlen nie in Thetis Wellen ſteigen. Kein Wetter, kein Orcan darf ihren Purpur bleichen, Hier iſt kein Regenguß der ihren Schmuck zerſchlaͤgt. Hier iſt kein ſolcher Lentz, der bald die Sonne zeigt, Und das Schmaragdne Feld mit Perlenwaſſer traͤncket, Bald aber Schnee und Eis ſtatt holder Blumen ſchencket, Hier wird der Roſenblut durch keinen Froſt gebleicht. Von Dornen weiß man nichts; die bittre Alce, Der Myrrhen herbes Pech, die oͤden Coloquinten, Sind im gelobten Land des Himmels nicht zu finden, Die Neſſeln ſind verbannt von dieſer Sternen Hoͤh. Hier iſt nun Zuckerbrodt und ſuͤßer Ambroſin, Der Nectar fließet hier durch diamantne Auen, Hier iſt nur Honigſeim und Alicant zu ſchauen, Weil Ambra und Zibeth die Blumen uͤberziehn. Dieß iſt nun ein rechtes Meiſterſtuͤck durcheinander gewirr- ter Metaphoren und andrer uͤbelausgeſonnener verbluͤmten Ausdruͤckungen; Kurtz ein rechtes Galimatias mit etlichen Phoͤbus durchflochten. Nichts

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/258
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/258>, abgerufen am 22.11.2024.