Gryphius unterscheidet hier mit großem Verstande die alten Jtaliener von den neuern, und diese von den Franzosen. Petrarcha ist bey dem guten Geschmacke der alten Römer und Griechen geblieben, und ihn hat sich Opitz unter andern zum Muster genommen. Tasso und Guarini hielten sich noch ziemlich auf der alten Spur, und ob sie wohl schon viel von ihren Concetti oder gleißendem Flittergolde einstreuen, so bleibt doch das meiste in ihren Gedichten gut und untade- lich. Ariost aber und Marino sind von der guten Art gantz und gar abgewichen, wie nicht nur Bouhours in seiner Ma- niere de bien penser dans les ouvrages d'esprit in vielen Exem- peln gewiesen: sondern auch der Herr Geh. Secr. König in seiner Untersuchung vom guten Geschmacke bey den Canitzi- schen Gedichten ausführlich dargethan. Die Marinische Schule nun hat auch in unserm Vaterlande viel Anhänger gefunden, und das hat Gryphius in der angezogenen Stelle schon bedauret. Jch würde die Exempel von solchen Phöbus und Galimatias aus unsern Poeten in großer Menge anfüh- ren können, wenn nicht solches in den Discoursen der Mahler bereits mit so vieler Gründlichkeit als Scharfsinnigkeit ge- schehen wäre. Ja wir hoffen noch verschiedene neue critische Schrifften von Hn. Bodmern, darinn diese und andre Feh- ler unsrer Scribenten nach den Regeln der gesunden Ver- nunft beurtheilet werden sollen.
Damit es meiner Abhandlung aber doch nicht an allen Exempeln von solchen Blümchen fehlen möge, so will ich die- selben aus einem neuern zu Altdorf nur im vorigen Jahre ge- druckten Bogen entlehnen, weil ich in demselben alles bey- sammen finde, was ich sonst mit vieler Mühe würde zusam- men suchen müssen. Folgende Redensarten nun halte ich vor lauter Phöbus, wenn der Poet schreibt: Titans frohes Licht strahle mit neuen Blitzen, und mache die Sapphirne Burg zu Hiacinthen. Ein Trauriger heißt ihm ein solcher, der Egyptens finstre Nacht statt Gosens Sonne küsset. Die Lilie lacht mit reinstem Silber; ihr bemilchter Thron macht die Perlen schamroth, und ihr Atlas sinckt ins Verwesungs- Reich. Auf den Blättern der Blumen-Königin, die von
Cy-
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Von verbluͤmten Redens-Arten.
Gryphius unterſcheidet hier mit großem Verſtande die alten Jtaliener von den neuern, und dieſe von den Franzoſen. Petrarcha iſt bey dem guten Geſchmacke der alten Roͤmer und Griechen geblieben, und ihn hat ſich Opitz unter andern zum Muſter genommen. Taſſo und Guarini hielten ſich noch ziemlich auf der alten Spur, und ob ſie wohl ſchon viel von ihren Concetti oder gleißendem Flittergolde einſtreuen, ſo bleibt doch das meiſte in ihren Gedichten gut und untade- lich. Arioſt aber und Marino ſind von der guten Art gantz und gar abgewichen, wie nicht nur Bouhours in ſeiner Ma- niere de bien penſer dans les ouvrages d’eſprit in vielen Exem- peln gewieſen: ſondern auch der Herr Geh. Secr. Koͤnig in ſeiner Unterſuchung vom guten Geſchmacke bey den Canitzi- ſchen Gedichten ausfuͤhrlich dargethan. Die Mariniſche Schule nun hat auch in unſerm Vaterlande viel Anhaͤnger gefunden, und das hat Gryphius in der angezogenen Stelle ſchon bedauret. Jch wuͤrde die Exempel von ſolchen Phoͤbus und Galimatias aus unſern Poeten in großer Menge anfuͤh- ren koͤnnen, wenn nicht ſolches in den Diſcourſen der Mahler bereits mit ſo vieler Gruͤndlichkeit als Scharfſinnigkeit ge- ſchehen waͤre. Ja wir hoffen noch verſchiedene neue critiſche Schrifften von Hn. Bodmern, darinn dieſe und andre Feh- ler unſrer Scribenten nach den Regeln der geſunden Ver- nunft beurtheilet werden ſollen.
Damit es meiner Abhandlung aber doch nicht an allen Exempeln von ſolchen Bluͤmchen fehlen moͤge, ſo will ich die- ſelben aus einem neuern zu Altdorf nur im vorigen Jahre ge- druckten Bogen entlehnen, weil ich in demſelben alles bey- ſammen finde, was ich ſonſt mit vieler Muͤhe wuͤrde zuſam- men ſuchen muͤſſen. Folgende Redensarten nun halte ich vor lauter Phoͤbus, wenn der Poet ſchreibt: Titans frohes Licht ſtrahle mit neuen Blitzen, und mache die Sapphirne Burg zu Hiacinthen. Ein Trauriger heißt ihm ein ſolcher, der Egyptens finſtre Nacht ſtatt Goſens Sonne kuͤſſet. Die Lilie lacht mit reinſtem Silber; ihr bemilchter Thron macht die Perlen ſchamroth, und ihr Atlas ſinckt ins Verweſungs- Reich. Auf den Blaͤttern der Blumen-Koͤnigin, die von
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Von verbluͤmten Redens-Arten.
Gryphius unterſcheidet hier mit großem Verſtande die
alten Jtaliener von den neuern, und dieſe von den Franzoſen.
Petrarcha iſt bey dem guten Geſchmacke der alten Roͤmer
und Griechen geblieben, und ihn hat ſich Opitz unter andern
zum Muſter genommen. Taſſo und Guarini hielten ſich
noch ziemlich auf der alten Spur, und ob ſie wohl ſchon viel
von ihren Concetti oder gleißendem Flittergolde einſtreuen,
ſo bleibt doch das meiſte in ihren Gedichten gut und untade-
lich. Arioſt aber und Marino ſind von der guten Art gantz
und gar abgewichen, wie nicht nur Bouhours in ſeiner Ma-
niere de bien penſer dans les ouvrages d’eſprit in vielen Exem-
peln gewieſen: ſondern auch der Herr Geh. Secr. Koͤnig in
ſeiner Unterſuchung vom guten Geſchmacke bey den Canitzi-
ſchen Gedichten ausfuͤhrlich dargethan. Die Mariniſche
Schule nun hat auch in unſerm Vaterlande viel Anhaͤnger
gefunden, und das hat Gryphius in der angezogenen Stelle
ſchon bedauret. Jch wuͤrde die Exempel von ſolchen Phoͤbus
und Galimatias aus unſern Poeten in großer Menge anfuͤh-
ren koͤnnen, wenn nicht ſolches in den Diſcourſen der Mahler
bereits mit ſo vieler Gruͤndlichkeit als Scharfſinnigkeit ge-
ſchehen waͤre. Ja wir hoffen noch verſchiedene neue critiſche
Schrifften von Hn. Bodmern, darinn dieſe und andre Feh-
ler unſrer Scribenten nach den Regeln der geſunden Ver-
nunft beurtheilet werden ſollen.
Damit es meiner Abhandlung aber doch nicht an allen
Exempeln von ſolchen Bluͤmchen fehlen moͤge, ſo will ich die-
ſelben aus einem neuern zu Altdorf nur im vorigen Jahre ge-
druckten Bogen entlehnen, weil ich in demſelben alles bey-
ſammen finde, was ich ſonſt mit vieler Muͤhe wuͤrde zuſam-
men ſuchen muͤſſen. Folgende Redensarten nun halte ich
vor lauter Phoͤbus, wenn der Poet ſchreibt: Titans frohes
Licht ſtrahle mit neuen Blitzen, und mache die Sapphirne
Burg zu Hiacinthen. Ein Trauriger heißt ihm ein ſolcher,
der Egyptens finſtre Nacht ſtatt Goſens Sonne kuͤſſet. Die
Lilie lacht mit reinſtem Silber; ihr bemilchter Thron macht
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/257>, abgerufen am 22.11.2024.
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