Wir hören überall Verführungs-Schlangen pfeifen, Wir wollen hier und da nach fremden Aepfeln greifen, Wie wässert uns der Mund? die Hand wird ausgestreckt.
Amthor beschreibt den Christen-Wandel unter dem Bilde des Jsraelitischen Zuges nach Canaan: p. 308.
Der Proben harter Strich macht seinen Werth bekannt, Man kömmt durchs rothe Meer nur ins gelobte Land, Und muß durch manchen Kampf den Heldenmuth beweisen. Es trägt Arabiens bestaubte Wüsteney, Nur Hunger, Durst und Angst auf allen Wegen bey, Durch die der Wandrer muß nach Zions Höhen reisen.
Es muß aber eine gute Metaphora oder Allegorie (1) eine wahre Aehnlichkeit in sich haben, die in den Sachen und nicht in Worten anzutreffen ist. Z. E. Wenn ich den Himmel ein Engelland nennen wollte, so wäre es nichts: denn hier kä- me es bloß auf das Wort Engel an. Wenn aber Canitz schreibt: Sein Hof wird ihm ein Hof etc. So vergleicht er wircklich den Rittersitz eines Land-Junckers mit einem Hofe, und dieses ist also kein Wortspiel zu nennen. (2) Muß sie nicht von solchen Dingen hergenommen seyn, die eine Sache verächtlich oder lächerlich machen können; es wäre denn, daß man mit Fleiß satirisch schreiben wollte. Cicero tadelt einen Scribenten, weil er gesagt hatte, durch den Tod Catonis wäre die Republic entmannet oder verschnitten wor- den. (3) Muß das Gleichniß nicht gar zu weit hergesucht seyn, so daß man es leicht verstehen kan. Aristoteles ver- wirft in dieser Absicht den Ausdruck eines alten Poeten, der den Xerxes einen Persianischen Jupiter genennet hatte. Und dahin könnte man die prahlerischen Metaphoren der Portu- giesischen Redner rechnen, die in dem II. Th. der vern. Tad- lerinnen XL. St. angeführet worden. Endlich (4) müssen die Metaphoren so viel möglich alles sinnlicher machen, als es im eigentlichen Ausdrucke seyn würde. Daher dienen alle die Redensarten und Wörter sehr, die das Gesicht, Gehör, Gefühl, den Geruch und Geschmack angehen. Vor allen Dingen aber sind die sichtbaren Dinge sehr geschickt lebhaffte Metaphoren zu geben. Die oben schon so häufig angeführ-
ten
Von verbluͤmten Redens-Arten.
Wir hoͤren uͤberall Verfuͤhrungs-Schlangen pfeifen, Wir wollen hier und da nach fremden Aepfeln greifen, Wie waͤſſert uns der Mund? die Hand wird ausgeſtreckt.
Amthor beſchreibt den Chriſten-Wandel unter dem Bilde des Jſraelitiſchen Zuges nach Canaan: p. 308.
Der Proben harter Strich macht ſeinen Werth bekannt, Man koͤmmt durchs rothe Meer nur ins gelobte Land, Und muß durch manchen Kampf den Heldenmuth beweiſen. Es traͤgt Arabiens beſtaubte Wuͤſteney, Nur Hunger, Durſt und Angſt auf allen Wegen bey, Durch die der Wandrer muß nach Zions Hoͤhen reiſen.
Es muß aber eine gute Metaphora oder Allegorie (1) eine wahre Aehnlichkeit in ſich haben, die in den Sachen und nicht in Worten anzutreffen iſt. Z. E. Wenn ich den Himmel ein Engelland nennen wollte, ſo waͤre es nichts: denn hier kaͤ- me es bloß auf das Wort Engel an. Wenn aber Canitz ſchreibt: Sein Hof wird ihm ein Hof ꝛc. So vergleicht er wircklich den Ritterſitz eines Land-Junckers mit einem Hofe, und dieſes iſt alſo kein Wortſpiel zu nennen. (2) Muß ſie nicht von ſolchen Dingen hergenommen ſeyn, die eine Sache veraͤchtlich oder laͤcherlich machen koͤnnen; es waͤre denn, daß man mit Fleiß ſatiriſch ſchreiben wollte. Cicero tadelt einen Scribenten, weil er geſagt hatte, durch den Tod Catonis waͤre die Republic entmannet oder verſchnitten wor- den. (3) Muß das Gleichniß nicht gar zu weit hergeſucht ſeyn, ſo daß man es leicht verſtehen kan. Ariſtoteles ver- wirft in dieſer Abſicht den Ausdruck eines alten Poeten, der den Xerxes einen Perſianiſchen Jupiter genennet hatte. Und dahin koͤnnte man die prahleriſchen Metaphoren der Portu- gieſiſchen Redner rechnen, die in dem II. Th. der vern. Tad- lerinnen XL. St. angefuͤhret worden. Endlich (4) muͤſſen die Metaphoren ſo viel moͤglich alles ſinnlicher machen, als es im eigentlichen Ausdrucke ſeyn wuͤrde. Daher dienen alle die Redensarten und Woͤrter ſehr, die das Geſicht, Gehoͤr, Gefuͤhl, den Geruch und Geſchmack angehen. Vor allen Dingen aber ſind die ſichtbaren Dinge ſehr geſchickt lebhaffte Metaphoren zu geben. Die oben ſchon ſo haͤufig angefuͤhr-
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Von verbluͤmten Redens-Arten.
Wir hoͤren uͤberall Verfuͤhrungs-Schlangen pfeifen,
Wir wollen hier und da nach fremden Aepfeln greifen,
Wie waͤſſert uns der Mund? die Hand wird ausgeſtreckt.
Amthor beſchreibt den Chriſten-Wandel unter dem Bilde
des Jſraelitiſchen Zuges nach Canaan: p. 308.
Der Proben harter Strich macht ſeinen Werth bekannt,
Man koͤmmt durchs rothe Meer nur ins gelobte Land,
Und muß durch manchen Kampf den Heldenmuth beweiſen.
Es traͤgt Arabiens beſtaubte Wuͤſteney,
Nur Hunger, Durſt und Angſt auf allen Wegen bey,
Durch die der Wandrer muß nach Zions Hoͤhen reiſen.
Es muß aber eine gute Metaphora oder Allegorie (1) eine
wahre Aehnlichkeit in ſich haben, die in den Sachen und nicht
in Worten anzutreffen iſt. Z. E. Wenn ich den Himmel
ein Engelland nennen wollte, ſo waͤre es nichts: denn hier kaͤ-
me es bloß auf das Wort Engel an. Wenn aber Canitz
ſchreibt: Sein Hof wird ihm ein Hof ꝛc. So vergleicht
er wircklich den Ritterſitz eines Land-Junckers mit einem
Hofe, und dieſes iſt alſo kein Wortſpiel zu nennen. (2)
Muß ſie nicht von ſolchen Dingen hergenommen ſeyn, die eine
Sache veraͤchtlich oder laͤcherlich machen koͤnnen; es waͤre
denn, daß man mit Fleiß ſatiriſch ſchreiben wollte. Cicero
tadelt einen Scribenten, weil er geſagt hatte, durch den Tod
Catonis waͤre die Republic entmannet oder verſchnitten wor-
den. (3) Muß das Gleichniß nicht gar zu weit hergeſucht
ſeyn, ſo daß man es leicht verſtehen kan. Ariſtoteles ver-
wirft in dieſer Abſicht den Ausdruck eines alten Poeten, der
den Xerxes einen Perſianiſchen Jupiter genennet hatte. Und
dahin koͤnnte man die prahleriſchen Metaphoren der Portu-
gieſiſchen Redner rechnen, die in dem II. Th. der vern. Tad-
lerinnen XL. St. angefuͤhret worden. Endlich (4) muͤſſen
die Metaphoren ſo viel moͤglich alles ſinnlicher machen, als es
im eigentlichen Ausdrucke ſeyn wuͤrde. Daher dienen alle
die Redensarten und Woͤrter ſehr, die das Geſicht, Gehoͤr,
Gefuͤhl, den Geruch und Geſchmack angehen. Vor allen
Dingen aber ſind die ſichtbaren Dinge ſehr geſchickt lebhaffte
Metaphoren zu geben. Die oben ſchon ſo haͤufig angefuͤhr-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/249>, abgerufen am 21.11.2024.
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