Gantz anders wird es sich, meines Erachtens, bey folgen- den Proben von Wortspielen verhalten, die ich aus eben dem Poeten nehmen will. Er setzt z. E.
p. 367. Schaffet, daß sich selbsten müssen Die geküßten Küsse küssen. p. 386. Frey ist freyen wie es heist, Frey will seyn ein freyer Geist, Freyt denn! freyet nach Belieben etc. p. 399. Als der gute Tityrus Denen kaum erwachten Schläfern, Seinen treuen dreyen Schäfern, Brachte seinen lieben Gruß.
Hier glaube ich nun, wird wohl ein jeder begreifen, daß diese Wortspiele nichts als leere Schellen sind, die nur im Gehöre klingen, dem Verstande aber keinen neuen Gedancken ver- anlassen. Denn was soll es heißen, daß sich die geküßten Küsse küssen? Ein Kuß kan ja nicht geküßt werden, weil er im Küssen erst entsteht, und sogleich aufhöret zu seyn. Viel- weniger kan er selber küssen. Dieses sind also Thone ohne Sinn. Und was hat das Freyseyn mit dem freyen zu thun? Wenn gleich das eine Wort von dem andern abstammete; so wäre es doch noch kein Grund, das Freyen der Kinder ih- rem Willkühr zu überlassen. Jn allen diesen Wiederholun- gen ähnlicher Wörter stecket weiter nichts, als die Gleichheit des Thones, die so leicht einen Eckel als Wohlklang erwecken kan. Das dritte Exempel ist vollends eine sehr läppische Art des Spieles. Ein Buchstabe muß durch seine Aehnlichkeit mit dem andern der gantzen Zeile eine vermeynte Schönheit geben. Die obigen Spiele sind mir also eben so lächerlich, als folgende Mißgeburt eines Pegnitzschäfers vorgekommen:
Jhr Matten voll Schatten begrasete Wasen, Jhr närbigt und färbigt geblümete Rasen, Jhr buntlichen Sternen, Jhr Felder-Laternen, Hört wieder die Lieder von Schäfer-Schallmeyen etc. Jhr trägen Goldbächlein, ihr hellen Glas-Quellen, Jhr schwällende Wellen, ihr Silber-Fluth-Zellen, Jhr Pegnitz-Najaden, Jn sümpfigten Pfaden, Nehmt dieses nehmt hiesig erneurende Lieder etc.
Es
Das VII. Capitel
Gantz anders wird es ſich, meines Erachtens, bey folgen- den Proben von Wortſpielen verhalten, die ich aus eben dem Poeten nehmen will. Er ſetzt z. E.
p. 367. Schaffet, daß ſich ſelbſten muͤſſen Die gekuͤßten Kuͤſſe kuͤſſen. p. 386. Frey iſt freyen wie es heiſt, Frey will ſeyn ein freyer Geiſt, Freyt denn! freyet nach Belieben ꝛc. p. 399. Als der gute Tityrus Denen kaum erwachten Schlaͤfern, Seinen treuen dreyen Schaͤfern, Brachte ſeinen lieben Gruß.
Hier glaube ich nun, wird wohl ein jeder begreifen, daß dieſe Wortſpiele nichts als leere Schellen ſind, die nur im Gehoͤre klingen, dem Verſtande aber keinen neuen Gedancken ver- anlaſſen. Denn was ſoll es heißen, daß ſich die gekuͤßten Kuͤſſe kuͤſſen? Ein Kuß kan ja nicht gekuͤßt werden, weil er im Kuͤſſen erſt entſteht, und ſogleich aufhoͤret zu ſeyn. Viel- weniger kan er ſelber kuͤſſen. Dieſes ſind alſo Thone ohne Sinn. Und was hat das Freyſeyn mit dem freyen zu thun? Wenn gleich das eine Wort von dem andern abſtammete; ſo waͤre es doch noch kein Grund, das Freyen der Kinder ih- rem Willkuͤhr zu uͤberlaſſen. Jn allen dieſen Wiederholun- gen aͤhnlicher Woͤrter ſtecket weiter nichts, als die Gleichheit des Thones, die ſo leicht einen Eckel als Wohlklang erwecken kan. Das dritte Exempel iſt vollends eine ſehr laͤppiſche Art des Spieles. Ein Buchſtabe muß durch ſeine Aehnlichkeit mit dem andern der gantzen Zeile eine vermeynte Schoͤnheit geben. Die obigen Spiele ſind mir alſo eben ſo laͤcherlich, als folgende Mißgeburt eines Pegnitzſchaͤfers vorgekommen:
Jhr Matten voll Schatten begraſete Waſen, Jhr naͤrbigt und faͤrbigt gebluͤmete Raſen, Jhr buntlichen Sternen, Jhr Felder-Laternen, Hoͤrt wieder die Lieder von Schaͤfer-Schallmeyen ꝛc. Jhr traͤgen Goldbaͤchlein, ihr hellen Glas-Quellen, Jhr ſchwaͤllende Wellen, ihr Silber-Fluth-Zellen, Jhr Pegnitz-Najaden, Jn ſuͤmpfigten Pfaden, Nehmt dieſes nehmt hieſig erneurende Lieder ꝛc.
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Das VII. Capitel
Gantz anders wird es ſich, meines Erachtens, bey folgen-
den Proben von Wortſpielen verhalten, die ich aus eben dem
Poeten nehmen will. Er ſetzt z. E.
p. 367. Schaffet, daß ſich ſelbſten muͤſſen
Die gekuͤßten Kuͤſſe kuͤſſen.
p. 386. Frey iſt freyen wie es heiſt,
Frey will ſeyn ein freyer Geiſt,
Freyt denn! freyet nach Belieben ꝛc.
p. 399. Als der gute Tityrus
Denen kaum erwachten Schlaͤfern,
Seinen treuen dreyen Schaͤfern,
Brachte ſeinen lieben Gruß.
Hier glaube ich nun, wird wohl ein jeder begreifen, daß dieſe
Wortſpiele nichts als leere Schellen ſind, die nur im Gehoͤre
klingen, dem Verſtande aber keinen neuen Gedancken ver-
anlaſſen. Denn was ſoll es heißen, daß ſich die gekuͤßten
Kuͤſſe kuͤſſen? Ein Kuß kan ja nicht gekuͤßt werden, weil er
im Kuͤſſen erſt entſteht, und ſogleich aufhoͤret zu ſeyn. Viel-
weniger kan er ſelber kuͤſſen. Dieſes ſind alſo Thone ohne
Sinn. Und was hat das Freyſeyn mit dem freyen zu thun?
Wenn gleich das eine Wort von dem andern abſtammete;
ſo waͤre es doch noch kein Grund, das Freyen der Kinder ih-
rem Willkuͤhr zu uͤberlaſſen. Jn allen dieſen Wiederholun-
gen aͤhnlicher Woͤrter ſtecket weiter nichts, als die Gleichheit
des Thones, die ſo leicht einen Eckel als Wohlklang erwecken
kan. Das dritte Exempel iſt vollends eine ſehr laͤppiſche Art
des Spieles. Ein Buchſtabe muß durch ſeine Aehnlichkeit
mit dem andern der gantzen Zeile eine vermeynte Schoͤnheit
geben. Die obigen Spiele ſind mir alſo eben ſo laͤcherlich,
als folgende Mißgeburt eines Pegnitzſchaͤfers vorgekommen:
Jhr Matten voll Schatten begraſete Waſen,
Jhr naͤrbigt und faͤrbigt gebluͤmete Raſen,
Jhr buntlichen Sternen,
Jhr Felder-Laternen,
Hoͤrt wieder die Lieder von Schaͤfer-Schallmeyen ꝛc.
Jhr traͤgen Goldbaͤchlein, ihr hellen Glas-Quellen,
Jhr ſchwaͤllende Wellen, ihr Silber-Fluth-Zellen,
Jhr Pegnitz-Najaden,
Jn ſuͤmpfigten Pfaden,
Nehmt dieſes nehmt hieſig erneurende Lieder ꝛc.
Es
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/236>, abgerufen am 22.07.2024.
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