Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von Poetischen Worten.
Die gestirnten Himmels-Scheiben
Wollen gleichsam stehen bleiben
Uber Euch und eurer Zier.
Derselbe.

Recht, denn soll der Himmelgurt,
Der den Schnee hat zur Geburt,
So viel thun bey Liebes-Sachen.
M. Opitz.

Du hättest mit gelehrter Hand
Das schnelle Ziel gezwungen,
Und sie durch künstlichen Verstand
Vom Grabe weggesungen.
M. Opitz.

Hier wäre mein Palast, hier wollt ich lesen können
Das süsse Himmel-Naß etc.
Derselbe.

Jch bin müde, dergleichen neue Wörter zu suchen, sonst woll-
te ich sie auch in andern Büchern gar häufig finden. Jch
will nur noch dieses erwehnen, daß wenn gute Poeten in ihren
Gedichten den Schall gewisser natürlichen Dinge haben
nachahmen wollen, sie gleichwohl lieber bekannte und ver-
ständliche Worte, als seltsame und neuausgedachte Thöne
dazu gebraucht. Z. E. Wenn Nic. Peucker, seinem Nah-
men zu Ehren, den Pauckenschall liebt, so macht er folgenden
Verß:

Mein Pauckenschlag, das Bomdibidibom
Rufft: Friedrich Wilhelm komm.
Mach uns uns ein Freudenlied, das Bomdibidibum,
Und Taratantara macht schon die Ohren stumm.

Hingegen finde ich, daß Opitz in seinem Gedichte von der
Ruhe des Gemüths den Lerchengesang so ausgedrücket:

Die Lerche schreyet: dir, dir lieber GOtt allein,
Singt alle Welt, dir, dir, dir will ich danckbar seyn.

Und Flemming ahmt den Gesang einer Nachtigal auf eben
so eine vernünftige Art nach, wenn er in der 3ten Ode des
IIIten Buchs schreibt:

Die gelehrten Nachtigallen
Schreyn euch zu mit lautem Schallen,
Glück,
N 5
Von Poetiſchen Worten.
Die geſtirnten Himmels-Scheiben
Wollen gleichſam ſtehen bleiben
Uber Euch und eurer Zier.
Derſelbe.

Recht, denn ſoll der Himmelgurt,
Der den Schnee hat zur Geburt,
So viel thun bey Liebes-Sachen.
M. Opitz.

Du haͤtteſt mit gelehrter Hand
Das ſchnelle Ziel gezwungen,
Und ſie durch kuͤnſtlichen Verſtand
Vom Grabe weggeſungen.
M. Opitz.

Hier waͤre mein Palaſt, hier wollt ich leſen koͤnnen
Das ſuͤſſe Himmel-Naß ꝛc.
Derſelbe.

Jch bin muͤde, dergleichen neue Woͤrter zu ſuchen, ſonſt woll-
te ich ſie auch in andern Buͤchern gar haͤufig finden. Jch
will nur noch dieſes erwehnen, daß wenn gute Poeten in ihren
Gedichten den Schall gewiſſer natuͤrlichen Dinge haben
nachahmen wollen, ſie gleichwohl lieber bekannte und ver-
ſtaͤndliche Worte, als ſeltſame und neuausgedachte Thoͤne
dazu gebraucht. Z. E. Wenn Nic. Peucker, ſeinem Nah-
men zu Ehren, den Pauckenſchall liebt, ſo macht er folgenden
Verß:

Mein Pauckenſchlag, das Bomdibidibom
Rufft: Friedrich Wilhelm komm.
Mach uns uns ein Freudenlied, das Bomdibidibum,
Und Taratantara macht ſchon die Ohren ſtumm.

Hingegen finde ich, daß Opitz in ſeinem Gedichte von der
Ruhe des Gemuͤths den Lerchengeſang ſo ausgedruͤcket:

Die Lerche ſchreyet: dir, dir lieber GOtt allein,
Singt alle Welt, dir, dir, dir will ich danckbar ſeyn.

Und Flemming ahmt den Geſang einer Nachtigal auf eben
ſo eine vernuͤnftige Art nach, wenn er in der 3ten Ode des
IIIten Buchs ſchreibt:

Die gelehrten Nachtigallen
Schreyn euch zu mit lautem Schallen,
Gluͤck,
N 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0229" n="201"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Poeti&#x017F;chen Worten.</hi> </fw><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Die <hi rendition="#fr">ge&#x017F;tirnten Himmels-Scheiben</hi></l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Wollen gleich&#x017F;am &#x017F;tehen bleiben</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Uber Euch und <hi rendition="#fr">eurer</hi> Zier.</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">Der&#x017F;elbe.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Recht, denn &#x017F;oll der <hi rendition="#fr">Himmelgurt,</hi></l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Der den Schnee hat zur Geburt,</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">So viel thun bey Liebes-Sachen.</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">M. Opitz.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Du ha&#x0364;tte&#x017F;t mit gelehrter Hand</l><lb/>
                  <l>Das &#x017F;chnelle Ziel gezwungen,</l><lb/>
                  <l>Und &#x017F;ie durch ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Ver&#x017F;tand</l><lb/>
                  <l>Vom Grabe <hi rendition="#fr">wegge&#x017F;ungen.</hi></l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">M. Opitz.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Hier wa&#x0364;re mein Pala&#x017F;t, hier wollt ich le&#x017F;en ko&#x0364;nnen</l><lb/>
                  <l>Das &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#fr">Himmel-Naß</hi> &#xA75B;c.</l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">Der&#x017F;elbe.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <p>Jch bin mu&#x0364;de, dergleichen neue Wo&#x0364;rter zu &#x017F;uchen, &#x017F;on&#x017F;t woll-<lb/>
te ich &#x017F;ie auch in andern Bu&#x0364;chern gar ha&#x0364;ufig finden. Jch<lb/>
will nur noch die&#x017F;es erwehnen, daß wenn gute Poeten in ihren<lb/>
Gedichten den Schall gewi&#x017F;&#x017F;er natu&#x0364;rlichen Dinge haben<lb/>
nachahmen wollen, &#x017F;ie gleichwohl lieber bekannte und ver-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndliche Worte, als &#x017F;elt&#x017F;ame und neuausgedachte Tho&#x0364;ne<lb/>
dazu gebraucht. Z. E. Wenn Nic. Peucker, &#x017F;einem Nah-<lb/>
men zu Ehren, den Paucken&#x017F;chall liebt, &#x017F;o macht er folgenden<lb/>
Verß:</p><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Mein Paucken&#x017F;chlag, das Bomdibidibom</l><lb/>
                  <l>Rufft: Friedrich Wilhelm komm.</l><lb/>
                  <l>Mach uns uns ein Freudenlied, das Bomdibidibum,</l><lb/>
                  <l>Und Taratantara macht &#x017F;chon die Ohren &#x017F;tumm.</l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <p>Hingegen finde ich, daß Opitz in &#x017F;einem Gedichte von der<lb/>
Ruhe des Gemu&#x0364;ths den Lerchenge&#x017F;ang &#x017F;o ausgedru&#x0364;cket:</p><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Die Lerche &#x017F;chreyet: dir, dir lieber GOtt allein,</l><lb/>
                  <l>Singt alle Welt, dir, dir, dir will ich danckbar &#x017F;eyn.</l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <p>Und Flemming ahmt den Ge&#x017F;ang einer Nachtigal auf eben<lb/>
&#x017F;o eine vernu&#x0364;nftige Art nach, wenn er in der 3ten Ode des<lb/><hi rendition="#aq">III</hi>ten Buchs &#x017F;chreibt:</p><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Die gelehrten Nachtigallen</l><lb/>
                  <l>Schreyn euch zu mit lautem Schallen,</l><lb/>
                  <fw place="bottom" type="sig">N 5</fw>
                  <fw place="bottom" type="catch">Glu&#x0364;ck,</fw><lb/>
                </lg>
              </quote>
            </cit>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0229] Von Poetiſchen Worten. Die geſtirnten Himmels-Scheiben Wollen gleichſam ſtehen bleiben Uber Euch und eurer Zier. Derſelbe. Recht, denn ſoll der Himmelgurt, Der den Schnee hat zur Geburt, So viel thun bey Liebes-Sachen. M. Opitz. Du haͤtteſt mit gelehrter Hand Das ſchnelle Ziel gezwungen, Und ſie durch kuͤnſtlichen Verſtand Vom Grabe weggeſungen. M. Opitz. Hier waͤre mein Palaſt, hier wollt ich leſen koͤnnen Das ſuͤſſe Himmel-Naß ꝛc. Derſelbe. Jch bin muͤde, dergleichen neue Woͤrter zu ſuchen, ſonſt woll- te ich ſie auch in andern Buͤchern gar haͤufig finden. Jch will nur noch dieſes erwehnen, daß wenn gute Poeten in ihren Gedichten den Schall gewiſſer natuͤrlichen Dinge haben nachahmen wollen, ſie gleichwohl lieber bekannte und ver- ſtaͤndliche Worte, als ſeltſame und neuausgedachte Thoͤne dazu gebraucht. Z. E. Wenn Nic. Peucker, ſeinem Nah- men zu Ehren, den Pauckenſchall liebt, ſo macht er folgenden Verß: Mein Pauckenſchlag, das Bomdibidibom Rufft: Friedrich Wilhelm komm. Mach uns uns ein Freudenlied, das Bomdibidibum, Und Taratantara macht ſchon die Ohren ſtumm. Hingegen finde ich, daß Opitz in ſeinem Gedichte von der Ruhe des Gemuͤths den Lerchengeſang ſo ausgedruͤcket: Die Lerche ſchreyet: dir, dir lieber GOtt allein, Singt alle Welt, dir, dir, dir will ich danckbar ſeyn. Und Flemming ahmt den Geſang einer Nachtigal auf eben ſo eine vernuͤnftige Art nach, wenn er in der 3ten Ode des IIIten Buchs ſchreibt: Die gelehrten Nachtigallen Schreyn euch zu mit lautem Schallen, Gluͤck, N 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/229
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/229>, abgerufen am 21.11.2024.