Virgil und Horatz aber haben sich bey ihren neuen Wörtern sehr vernünftig erwiesen. Ein Mare velivolum, oceanus dissociabilis, emirari, venti deproeliantes und andre solche poe- tische Redensarten mehr kommen bey ihnen vor, die in unge- bundner Schreibart nicht gebräuchlich sind, und doch in den zärtlichen Ohren des güldnen Alters der lateinischen Spra- che nicht wiederwärtig geklungen.
Unsre ersten guten Poeten geben mir eine Menge von Exempeln an die Hand, da sie es glücklich gewagt, neue Wör- ter zu machen.
So legt sich der Phönix nieder, Stirbet und verjüngt sich wieder Durch den Zimmet-Brand verzehrt. S. Dach.
Und man sollte furchtloß stehn? Derselbe.
Deine Marck hat dich besiegt Die von Leid und Angst durchfahren, Blutig und mit freyen Haaren Dir zu sehr für Augen liegt. Derselbe.
Edle Marck, gebrauch dich sein, Eile, daß sein Gnaden-Schein. Bald und satt dich mag begläntzen. Derselbe.
Die gelehrte Castalis Hat mein Flügelroß gewiß Selber wollen baden. Derselbe.
Der, der hier so hoch tritt her, Der ists, den die Ehren-Dienste Und die leichten Hofe-Günste. Machen auf den Schein so schwer. P. Flemming.
Etwa wie ein Tausendschönchen, Das gemahlte Lentzen-Söhnchen, Mit dem frühen Tag entsteht. Derselbe.
Hier stehn die verweinten Alten Beyder Hertzen sind zerstückt. Derselbe.
Die
Das VII. Capitel
Virgil und Horatz aber haben ſich bey ihren neuen Woͤrtern ſehr vernuͤnftig erwieſen. Ein Mare velivolum, oceanus diſſociabilis, emirari, venti deproeliantes und andre ſolche poe- tiſche Redensarten mehr kommen bey ihnen vor, die in unge- bundner Schreibart nicht gebraͤuchlich ſind, und doch in den zaͤrtlichen Ohren des guͤldnen Alters der lateiniſchen Spra- che nicht wiederwaͤrtig geklungen.
Unſre erſten guten Poeten geben mir eine Menge von Exempeln an die Hand, da ſie es gluͤcklich gewagt, neue Woͤr- ter zu machen.
So legt ſich der Phoͤnix nieder, Stirbet und verjuͤngt ſich wieder Durch den Zimmet-Brand verzehrt. S. Dach.
Und man ſollte furchtloß ſtehn? Derſelbe.
Deine Marck hat dich beſiegt Die von Leid und Angſt durchfahren, Blutig und mit freyen Haaren Dir zu ſehr fuͤr Augen liegt. Derſelbe.
Edle Marck, gebrauch dich ſein, Eile, daß ſein Gnaden-Schein. Bald und ſatt dich mag beglaͤntzen. Derſelbe.
Die gelehrte Caſtalis Hat mein Fluͤgelroß gewiß Selber wollen baden. Derſelbe.
Der, der hier ſo hoch tritt her, Der iſts, den die Ehren-Dienſte Und die leichten Hofe-Guͤnſte. Machen auf den Schein ſo ſchwer. P. Flemming.
Etwa wie ein Tauſendſchoͤnchen, Das gemahlte Lentzen-Soͤhnchen, Mit dem fruͤhen Tag entſteht. Derſelbe.
Hier ſtehn die verweinten Alten Beyder Hertzen ſind zerſtuͤckt. Derſelbe.
Die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0228"n="200"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das <hirendition="#aq">VII.</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
Virgil und Horatz aber haben ſich bey ihren neuen Woͤrtern<lb/>ſehr vernuͤnftig erwieſen. Ein <hirendition="#aq">Mare velivolum, oceanus<lb/>
diſſociabilis, emirari, venti deproeliantes</hi> und andre ſolche poe-<lb/>
tiſche Redensarten mehr kommen bey ihnen vor, die in unge-<lb/>
bundner Schreibart nicht gebraͤuchlich ſind, und doch in den<lb/>
zaͤrtlichen Ohren des guͤldnen Alters der lateiniſchen Spra-<lb/>
che nicht wiederwaͤrtig geklungen.</p><lb/><p>Unſre erſten guten Poeten geben mir eine Menge von<lb/>
Exempeln an die Hand, da ſie es gluͤcklich gewagt, neue Woͤr-<lb/>
ter zu machen.</p><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>So legt ſich der Phoͤnix nieder,</l><lb/><l>Stirbet und verjuͤngt ſich wieder</l><lb/><l>Durch den <hirendition="#fr">Zimmet-Brand</hi> verzehrt.</l><lb/><l><hirendition="#fr"><hirendition="#et">S. Dach.</hi></hi></l></lg></quote></cit><lb/><cit><quote>Und man ſollte <hirendition="#fr">furchtloß</hi>ſtehn?<lb/><hirendition="#et">Derſelbe.</hi></quote></cit><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Deine Marck hat dich beſiegt</l><lb/><l>Die von Leid und Angſt <hirendition="#fr">durchfahren,</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Blutig und mit freyen Haaren</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Dir zu ſehr fuͤr Augen liegt.</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr"><hirendition="#et">Derſelbe.</hi></hi></l></lg></quote></cit><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Edle Marck, gebrauch dich ſein,</l><lb/><l>Eile, daß ſein Gnaden-Schein.</l><lb/><l>Bald und ſatt dich mag <hirendition="#fr">beglaͤntzen.</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr"><hirendition="#et">Derſelbe.</hi></hi></l></lg></quote></cit><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Die gelehrte Caſtalis</l><lb/><l>Hat mein <hirendition="#fr">Fluͤgelroß</hi> gewiß</l><lb/><l><hirendition="#fr">Selber wollen baden.</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr"><hirendition="#et">Derſelbe.</hi></hi></l></lg></quote></cit><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Der, der hier ſo hoch tritt her,</l><lb/><l>Der iſts, den die <hirendition="#fr">Ehren-Dienſte</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Und die leichten <hirendition="#fr">Hofe-Guͤnſte.</hi></hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Machen auf den Schein ſo ſchwer.</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr"><hirendition="#et">P. Flemming.</hi></hi></l></lg></quote></cit><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Etwa wie ein Tauſendſchoͤnchen,</l><lb/><l>Das gemahlte <hirendition="#fr">Lentzen-Soͤhnchen,</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Mit dem fruͤhen Tag entſteht.</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr"><hirendition="#et">Derſelbe.</hi></hi></l></lg></quote></cit><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Hier ſtehn die <hirendition="#fr">verweinten</hi> Alten</l><lb/><l><hirendition="#fr">Beyder Hertzen ſind <hirendition="#fr">zerſtuͤckt.</hi></hi></l><lb/><l><hirendition="#fr"><hirendition="#et">Derſelbe.</hi></hi></l></lg></quote></cit><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Die</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[200/0228]
Das VII. Capitel
Virgil und Horatz aber haben ſich bey ihren neuen Woͤrtern
ſehr vernuͤnftig erwieſen. Ein Mare velivolum, oceanus
diſſociabilis, emirari, venti deproeliantes und andre ſolche poe-
tiſche Redensarten mehr kommen bey ihnen vor, die in unge-
bundner Schreibart nicht gebraͤuchlich ſind, und doch in den
zaͤrtlichen Ohren des guͤldnen Alters der lateiniſchen Spra-
che nicht wiederwaͤrtig geklungen.
Unſre erſten guten Poeten geben mir eine Menge von
Exempeln an die Hand, da ſie es gluͤcklich gewagt, neue Woͤr-
ter zu machen.
So legt ſich der Phoͤnix nieder,
Stirbet und verjuͤngt ſich wieder
Durch den Zimmet-Brand verzehrt.
S. Dach.
Und man ſollte furchtloß ſtehn?
Derſelbe.
Deine Marck hat dich beſiegt
Die von Leid und Angſt durchfahren,
Blutig und mit freyen Haaren
Dir zu ſehr fuͤr Augen liegt.
Derſelbe.
Edle Marck, gebrauch dich ſein,
Eile, daß ſein Gnaden-Schein.
Bald und ſatt dich mag beglaͤntzen.
Derſelbe.
Die gelehrte Caſtalis
Hat mein Fluͤgelroß gewiß
Selber wollen baden.
Derſelbe.
Der, der hier ſo hoch tritt her,
Der iſts, den die Ehren-Dienſte
Und die leichten Hofe-Guͤnſte.
Machen auf den Schein ſo ſchwer.
P. Flemming.
Etwa wie ein Tauſendſchoͤnchen,
Das gemahlte Lentzen-Soͤhnchen,
Mit dem fruͤhen Tag entſteht.
Derſelbe.
Hier ſtehn die verweinten Alten
Beyder Hertzen ſind zerſtuͤckt.
Derſelbe.
Die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/228>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.