Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Das VII. Capitel
Virgil und Horatz aber haben sich bey ihren neuen Wörtern
sehr vernünftig erwiesen. Ein Mare velivolum, oceanus
dissociabilis, emirari, venti deproeliantes
und andre solche poe-
tische Redensarten mehr kommen bey ihnen vor, die in unge-
bundner Schreibart nicht gebräuchlich sind, und doch in den
zärtlichen Ohren des güldnen Alters der lateinischen Spra-
che nicht wiederwärtig geklungen.

Unsre ersten guten Poeten geben mir eine Menge von
Exempeln an die Hand, da sie es glücklich gewagt, neue Wör-
ter zu machen.

So legt sich der Phönix nieder,
Stirbet und verjüngt sich wieder
Durch den Zimmet-Brand verzehrt.
S. Dach.

Und man sollte furchtloß stehn?
Derselbe.

Deine Marck hat dich besiegt
Die von Leid und Angst durchfahren,
Blutig und mit freyen Haaren
Dir zu sehr für Augen liegt.
Derselbe.

Edle Marck, gebrauch dich sein,
Eile, daß sein Gnaden-Schein.
Bald und satt dich mag begläntzen.
Derselbe.

Die gelehrte Castalis
Hat mein Flügelroß gewiß
Selber wollen baden.
Derselbe.

Der, der hier so hoch tritt her,
Der ists, den die Ehren-Dienste
Und die leichten Hofe-Günste.
Machen auf den Schein so schwer.
P. Flemming.

Etwa wie ein Tausendschönchen,
Das gemahlte Lentzen-Söhnchen,
Mit dem frühen Tag entsteht.
Derselbe.

Hier stehn die verweinten Alten
Beyder Hertzen sind zerstückt.
Derselbe.

Die

Das VII. Capitel
Virgil und Horatz aber haben ſich bey ihren neuen Woͤrtern
ſehr vernuͤnftig erwieſen. Ein Mare velivolum, oceanus
diſſociabilis, emirari, venti deproeliantes
und andre ſolche poe-
tiſche Redensarten mehr kommen bey ihnen vor, die in unge-
bundner Schreibart nicht gebraͤuchlich ſind, und doch in den
zaͤrtlichen Ohren des guͤldnen Alters der lateiniſchen Spra-
che nicht wiederwaͤrtig geklungen.

Unſre erſten guten Poeten geben mir eine Menge von
Exempeln an die Hand, da ſie es gluͤcklich gewagt, neue Woͤr-
ter zu machen.

So legt ſich der Phoͤnix nieder,
Stirbet und verjuͤngt ſich wieder
Durch den Zimmet-Brand verzehrt.
S. Dach.

Und man ſollte furchtloß ſtehn?
Derſelbe.

Deine Marck hat dich beſiegt
Die von Leid und Angſt durchfahren,
Blutig und mit freyen Haaren
Dir zu ſehr fuͤr Augen liegt.
Derſelbe.

Edle Marck, gebrauch dich ſein,
Eile, daß ſein Gnaden-Schein.
Bald und ſatt dich mag beglaͤntzen.
Derſelbe.

Die gelehrte Caſtalis
Hat mein Fluͤgelroß gewiß
Selber wollen baden.
Derſelbe.

Der, der hier ſo hoch tritt her,
Der iſts, den die Ehren-Dienſte
Und die leichten Hofe-Guͤnſte.
Machen auf den Schein ſo ſchwer.
P. Flemming.

Etwa wie ein Tauſendſchoͤnchen,
Das gemahlte Lentzen-Soͤhnchen,
Mit dem fruͤhen Tag entſteht.
Derſelbe.

Hier ſtehn die verweinten Alten
Beyder Hertzen ſind zerſtuͤckt.
Derſelbe.

Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0228" n="200"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">VII.</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
Virgil und Horatz aber haben &#x017F;ich bey ihren neuen Wo&#x0364;rtern<lb/>
&#x017F;ehr vernu&#x0364;nftig erwie&#x017F;en. Ein <hi rendition="#aq">Mare velivolum, oceanus<lb/>
di&#x017F;&#x017F;ociabilis, emirari, venti deproeliantes</hi> und andre &#x017F;olche poe-<lb/>
ti&#x017F;che Redensarten mehr kommen bey ihnen vor, die in unge-<lb/>
bundner Schreibart nicht gebra&#x0364;uchlich &#x017F;ind, und doch in den<lb/>
za&#x0364;rtlichen Ohren des gu&#x0364;ldnen Alters der lateini&#x017F;chen Spra-<lb/>
che nicht wiederwa&#x0364;rtig geklungen.</p><lb/>
            <p>Un&#x017F;re er&#x017F;ten guten Poeten geben mir eine Menge von<lb/>
Exempeln an die Hand, da &#x017F;ie es glu&#x0364;cklich gewagt, neue Wo&#x0364;r-<lb/>
ter zu machen.</p><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>So legt &#x017F;ich der Pho&#x0364;nix nieder,</l><lb/>
                  <l>Stirbet und verju&#x0364;ngt &#x017F;ich wieder</l><lb/>
                  <l>Durch den <hi rendition="#fr">Zimmet-Brand</hi> verzehrt.</l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">S. Dach.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>Und man &#x017F;ollte <hi rendition="#fr">furchtloß</hi> &#x017F;tehn?<lb/><hi rendition="#et">Der&#x017F;elbe.</hi></quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Deine Marck hat dich be&#x017F;iegt</l><lb/>
                  <l>Die von Leid und Ang&#x017F;t <hi rendition="#fr">durchfahren,</hi></l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Blutig und mit freyen Haaren</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Dir zu &#x017F;ehr fu&#x0364;r Augen liegt.</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">Der&#x017F;elbe.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Edle Marck, gebrauch dich &#x017F;ein,</l><lb/>
                  <l>Eile, daß &#x017F;ein Gnaden-Schein.</l><lb/>
                  <l>Bald und &#x017F;att dich mag <hi rendition="#fr">begla&#x0364;ntzen.</hi></l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">Der&#x017F;elbe.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Die gelehrte Ca&#x017F;talis</l><lb/>
                  <l>Hat mein <hi rendition="#fr">Flu&#x0364;gelroß</hi> gewiß</l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Selber wollen baden.</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">Der&#x017F;elbe.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Der, der hier &#x017F;o hoch tritt her,</l><lb/>
                  <l>Der i&#x017F;ts, den die <hi rendition="#fr">Ehren-Dien&#x017F;te</hi></l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Und die leichten <hi rendition="#fr">Hofe-Gu&#x0364;n&#x017F;te.</hi></hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Machen auf den Schein &#x017F;o &#x017F;chwer.</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">P. Flemming.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Etwa wie ein Tau&#x017F;end&#x017F;cho&#x0364;nchen,</l><lb/>
                  <l>Das gemahlte <hi rendition="#fr">Lentzen-So&#x0364;hnchen,</hi></l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Mit dem fru&#x0364;hen Tag ent&#x017F;teht.</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">Der&#x017F;elbe.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l>Hier &#x017F;tehn die <hi rendition="#fr">verweinten</hi> Alten</l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr">Beyder Hertzen &#x017F;ind <hi rendition="#fr">zer&#x017F;tu&#x0364;ckt.</hi></hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">Der&#x017F;elbe.</hi> </hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0228] Das VII. Capitel Virgil und Horatz aber haben ſich bey ihren neuen Woͤrtern ſehr vernuͤnftig erwieſen. Ein Mare velivolum, oceanus diſſociabilis, emirari, venti deproeliantes und andre ſolche poe- tiſche Redensarten mehr kommen bey ihnen vor, die in unge- bundner Schreibart nicht gebraͤuchlich ſind, und doch in den zaͤrtlichen Ohren des guͤldnen Alters der lateiniſchen Spra- che nicht wiederwaͤrtig geklungen. Unſre erſten guten Poeten geben mir eine Menge von Exempeln an die Hand, da ſie es gluͤcklich gewagt, neue Woͤr- ter zu machen. So legt ſich der Phoͤnix nieder, Stirbet und verjuͤngt ſich wieder Durch den Zimmet-Brand verzehrt. S. Dach. Und man ſollte furchtloß ſtehn? Derſelbe. Deine Marck hat dich beſiegt Die von Leid und Angſt durchfahren, Blutig und mit freyen Haaren Dir zu ſehr fuͤr Augen liegt. Derſelbe. Edle Marck, gebrauch dich ſein, Eile, daß ſein Gnaden-Schein. Bald und ſatt dich mag beglaͤntzen. Derſelbe. Die gelehrte Caſtalis Hat mein Fluͤgelroß gewiß Selber wollen baden. Derſelbe. Der, der hier ſo hoch tritt her, Der iſts, den die Ehren-Dienſte Und die leichten Hofe-Guͤnſte. Machen auf den Schein ſo ſchwer. P. Flemming. Etwa wie ein Tauſendſchoͤnchen, Das gemahlte Lentzen-Soͤhnchen, Mit dem fruͤhen Tag entſteht. Derſelbe. Hier ſtehn die verweinten Alten Beyder Hertzen ſind zerſtuͤckt. Derſelbe. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/228
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/228>, abgerufen am 21.11.2024.