Ulysses so weit als ich gereiset, und soviel Gefährlichkeiten ausgestanden als ich. Gerade als wenn der Africaner von Virgilii und Homeri Schrifften was wissen könnte.
Alonzo, ein Spanier, in seinem Gedichte Araucana ge- nannt, darinn er seine eigene Heldenthaten wieder ein Me- xicanisches Volck, beschrieben, hat sich ebenfalls sehr oft ver- sehen. Z. E. Er marschirt einmahl des Nachts mit seinen Soldaten, um den Feind unversehens zu befallen, und da er- hebt sich zum Zeitvertreibe ein Gespräch unter ihnen, vom Virgil, und sonderlich der Dido. Alonzo ergreift diese Ge- legenheit, aus den alten Geschichten den Poeten zu wiederle- gen, und der armen Dido ihre Ehre zu retten. Und die Ab- handlung einer so wichtigen Sache geräth so lang, daß sie zwey gantze Bücher des Heldengedichtes anfüllet. Ob die- ses Soldatische Unterredungen sind, womit sie sich auf dem Marsche in feindlichen Landen belustigen, mag ein jeder selbst urtheilen. Zum wenigsten müste mehr als ein Don Alonzo bey der Armee gewesen seyn, wenn dieses einige Wahrschein- lichkeit haben sollte.
Tasso, der die beyden vorigen unendlichweit übertrifft, hat nichts destoweniger offt wieder die Wahrscheinlichkeit gesündiget. Der Zauberer Jsmeno, räth im andren Bu- che ein Marienbild in eine Türckische Moschee zu tragen, um dadurch die Ungläubigen unüberwindlich zu machen. Diese Vermischung des Christenthums mit der Türckischen Reli- gion wahrscheinlich zu machen, bemüht sich zwar Tasso sehr, indem er sagt, Jsmeno wäre ein abgefallener Christ gewesen:
Questi hor Macone adora, & fu Christiano, Ma i primi riti ancor lasciar non puote; Anzi sovente in uso empio, & profano Confonde le due leggi a se mal note.
Er schiebt es also auf die Unwissenheit und den Aberglauben des Zauberers, daß er einen so wunderlichen Anschlag giebt. So wahrscheinlich er aber dadurch den Anschlag macht; so unwahrscheinlich bleibt es noch, daß ihm der König Aladin von Jerusalem, nebst der Mahometanischen Priesterschafft Gehör werde gegeben haben. Die Bewegungs-Grün-
de,
Das VI. Capitel
Ulyſſes ſo weit als ich gereiſet, und ſoviel Gefaͤhrlichkeiten ausgeſtanden als ich. Gerade als wenn der Africaner von Virgilii und Homeri Schrifften was wiſſen koͤnnte.
Alonzo, ein Spanier, in ſeinem Gedichte Araucana ge- nannt, darinn er ſeine eigene Heldenthaten wieder ein Me- xicaniſches Volck, beſchrieben, hat ſich ebenfalls ſehr oft ver- ſehen. Z. E. Er marſchirt einmahl des Nachts mit ſeinen Soldaten, um den Feind unverſehens zu befallen, und da er- hebt ſich zum Zeitvertreibe ein Geſpraͤch unter ihnen, vom Virgil, und ſonderlich der Dido. Alonzo ergreift dieſe Ge- legenheit, aus den alten Geſchichten den Poeten zu wiederle- gen, und der armen Dido ihre Ehre zu retten. Und die Ab- handlung einer ſo wichtigen Sache geraͤth ſo lang, daß ſie zwey gantze Buͤcher des Heldengedichtes anfuͤllet. Ob die- ſes Soldatiſche Unterredungen ſind, womit ſie ſich auf dem Marſche in feindlichen Landen beluſtigen, mag ein jeder ſelbſt urtheilen. Zum wenigſten muͤſte mehr als ein Don Alonzo bey der Armee geweſen ſeyn, wenn dieſes einige Wahrſchein- lichkeit haben ſollte.
Taſſo, der die beyden vorigen unendlichweit uͤbertrifft, hat nichts deſtoweniger offt wieder die Wahrſcheinlichkeit geſuͤndiget. Der Zauberer Jſmeno, raͤth im andren Bu- che ein Marienbild in eine Tuͤrckiſche Moſchee zu tragen, um dadurch die Unglaͤubigen unuͤberwindlich zu machen. Dieſe Vermiſchung des Chriſtenthums mit der Tuͤrckiſchen Reli- gion wahrſcheinlich zu machen, bemuͤht ſich zwar Taſſo ſehr, indem er ſagt, Jſmeno waͤre ein abgefallener Chriſt geweſen:
Queſti hor Macone adora, & fu Chriſtiano, Ma i primi riti ancor laſciar non puote; Anzi ſovente in uſo empio, & profano Confonde le due leggi a ſe mal note.
Er ſchiebt es alſo auf die Unwiſſenheit und den Aberglauben des Zauberers, daß er einen ſo wunderlichen Anſchlag giebt. So wahrſcheinlich er aber dadurch den Anſchlag macht; ſo unwahrſcheinlich bleibt es noch, daß ihm der Koͤnig Aladin von Jeruſalem, nebſt der Mahometaniſchen Prieſterſchafft Gehoͤr werde gegeben haben. Die Bewegungs-Gruͤn-
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[172/0200]
Das VI. Capitel
Ulyſſes ſo weit als ich gereiſet, und ſoviel Gefaͤhrlichkeiten
ausgeſtanden als ich. Gerade als wenn der Africaner von
Virgilii und Homeri Schrifften was wiſſen koͤnnte.
Alonzo, ein Spanier, in ſeinem Gedichte Araucana ge-
nannt, darinn er ſeine eigene Heldenthaten wieder ein Me-
xicaniſches Volck, beſchrieben, hat ſich ebenfalls ſehr oft ver-
ſehen. Z. E. Er marſchirt einmahl des Nachts mit ſeinen
Soldaten, um den Feind unverſehens zu befallen, und da er-
hebt ſich zum Zeitvertreibe ein Geſpraͤch unter ihnen, vom
Virgil, und ſonderlich der Dido. Alonzo ergreift dieſe Ge-
legenheit, aus den alten Geſchichten den Poeten zu wiederle-
gen, und der armen Dido ihre Ehre zu retten. Und die Ab-
handlung einer ſo wichtigen Sache geraͤth ſo lang, daß ſie
zwey gantze Buͤcher des Heldengedichtes anfuͤllet. Ob die-
ſes Soldatiſche Unterredungen ſind, womit ſie ſich auf dem
Marſche in feindlichen Landen beluſtigen, mag ein jeder ſelbſt
urtheilen. Zum wenigſten muͤſte mehr als ein Don Alonzo
bey der Armee geweſen ſeyn, wenn dieſes einige Wahrſchein-
lichkeit haben ſollte.
Taſſo, der die beyden vorigen unendlichweit uͤbertrifft,
hat nichts deſtoweniger offt wieder die Wahrſcheinlichkeit
geſuͤndiget. Der Zauberer Jſmeno, raͤth im andren Bu-
che ein Marienbild in eine Tuͤrckiſche Moſchee zu tragen, um
dadurch die Unglaͤubigen unuͤberwindlich zu machen. Dieſe
Vermiſchung des Chriſtenthums mit der Tuͤrckiſchen Reli-
gion wahrſcheinlich zu machen, bemuͤht ſich zwar Taſſo ſehr,
indem er ſagt, Jſmeno waͤre ein abgefallener Chriſt geweſen:
Queſti hor Macone adora, & fu Chriſtiano,
Ma i primi riti ancor laſciar non puote;
Anzi ſovente in uſo empio, & profano
Confonde le due leggi a ſe mal note.
Er ſchiebt es alſo auf die Unwiſſenheit und den Aberglauben
des Zauberers, daß er einen ſo wunderlichen Anſchlag giebt.
So wahrſcheinlich er aber dadurch den Anſchlag macht; ſo
unwahrſcheinlich bleibt es noch, daß ihm der Koͤnig Aladin
von Jeruſalem, nebſt der Mahometaniſchen Prieſterſchafft
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/200>, abgerufen am 16.02.2025.
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