auch spielen lassen, imgleichen der Ehgattin Naboths was zu thun geben, so wird die Fabel zu einer Tragödie lang ge- nug werden. Die besondern Regeln des Trauerspiels werden gleichfalls im II Th. in einem eigenen Capitel vor- kommen.
Endlich folgt die Epische Fabel, so sich vor alle Helden- gedichte und Romane schicket. Diese ist das fürtrefflichste, was die gantze Poesie zu Stande bringen kan, wenn sie nur auf gehörige Art eingerichtet wird. Ein Dichter wehlt also dabey in allen Stücken das beste, was er in seinem Vorrathe hat, ein so großes Werck damit auszuschmücken. Die Handlung muß wichtig seyn, das ist nicht einzelne Personen, Häuser oder Städte; sondern gantze Länder und Völcker anbetreffen. Die Personen müssen die Ansehnlichsten von der Welt, nehmlich Könige und Helden und große Staats- leute seyn. Die Fabel muß nicht kurtz sondern lang und weitläuftig werden, und in dieser Absicht mit vielen Zwi- schen-Fabeln erweitert seyn. Alles muß darinn groß, selt- sam und wunderbar klingen, die Characteren, die Gedan- cken, die Neigungen, die Affecten und alle Ausdrückungen, d. i. die Sprache oder die Schreibart. Kurtz dieses wird das Meisterstück der gantzen Poesie. Aus dieser Ursache werde ich also meine obige Fabel so einkleiden: Ein junger Held, in welchem eine unersättliche Ehrbegierde brennet, suchet sich durch die Macht der Waffen einen großen Nah- men zu machen. Er rüstet derowegen ein gewaltiges Heer, überzieht erst die benachbarten kleinern Staaten mit Krieg, bezwingt sie, und wird dadurch immer mächtiger. Durch List und Geld trennet er die Bündnisse seiner stärckern Nach- barn, greift sie darauf einzeln an, und bemeistert sich aller ihrer Länder. Da er nun endlich so groß geworden ist, als es möglich war, aber auch zugleich ein Abscheu aller Welt geworden, fällt seine Hoheit auf eine schmähliche Art und er nimmt ein klägliches Ende. Diese Haupt-Fabel eines Hel- dengedichtes nach den besondern Regeln desselben zu rechtfer- tigen, ist dieses Orts noch nicht. Jch mercke nur dieses an, daß sie nicht zum Lobe der Hauptperson, sondern zur Schan-
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Von den Poetiſchen Nachahmungen.
auch ſpielen laſſen, imgleichen der Ehgattin Naboths was zu thun geben, ſo wird die Fabel zu einer Tragoͤdie lang ge- nug werden. Die beſondern Regeln des Trauerſpiels werden gleichfalls im II Th. in einem eigenen Capitel vor- kommen.
Endlich folgt die Epiſche Fabel, ſo ſich vor alle Helden- gedichte und Romane ſchicket. Dieſe iſt das fuͤrtrefflichſte, was die gantze Poeſie zu Stande bringen kan, wenn ſie nur auf gehoͤrige Art eingerichtet wird. Ein Dichter wehlt alſo dabey in allen Stuͤcken das beſte, was er in ſeinem Vorrathe hat, ein ſo großes Werck damit auszuſchmuͤcken. Die Handlung muß wichtig ſeyn, das iſt nicht einzelne Perſonen, Haͤuſer oder Staͤdte; ſondern gantze Laͤnder und Voͤlcker anbetreffen. Die Perſonen muͤſſen die Anſehnlichſten von der Welt, nehmlich Koͤnige und Helden und große Staats- leute ſeyn. Die Fabel muß nicht kurtz ſondern lang und weitlaͤuftig werden, und in dieſer Abſicht mit vielen Zwi- ſchen-Fabeln erweitert ſeyn. Alles muß darinn groß, ſelt- ſam und wunderbar klingen, die Characteren, die Gedan- cken, die Neigungen, die Affecten und alle Ausdruͤckungen, d. i. die Sprache oder die Schreibart. Kurtz dieſes wird das Meiſterſtuͤck der gantzen Poeſie. Aus dieſer Urſache werde ich alſo meine obige Fabel ſo einkleiden: Ein junger Held, in welchem eine unerſaͤttliche Ehrbegierde brennet, ſuchet ſich durch die Macht der Waffen einen großen Nah- men zu machen. Er ruͤſtet derowegen ein gewaltiges Heer, uͤberzieht erſt die benachbarten kleinern Staaten mit Krieg, bezwingt ſie, und wird dadurch immer maͤchtiger. Durch Liſt und Geld trennet er die Buͤndniſſe ſeiner ſtaͤrckern Nach- barn, greift ſie darauf einzeln an, und bemeiſtert ſich aller ihrer Laͤnder. Da er nun endlich ſo groß geworden iſt, als es moͤglich war, aber auch zugleich ein Abſcheu aller Welt geworden, faͤllt ſeine Hoheit auf eine ſchmaͤhliche Art und er nimmt ein klaͤgliches Ende. Dieſe Haupt-Fabel eines Hel- dengedichtes nach den beſondern Regeln deſſelben zu rechtfer- tigen, iſt dieſes Orts noch nicht. Jch mercke nur dieſes an, daß ſie nicht zum Lobe der Hauptperſon, ſondern zur Schan-
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Von den Poetiſchen Nachahmungen.
auch ſpielen laſſen, imgleichen der Ehgattin Naboths was
zu thun geben, ſo wird die Fabel zu einer Tragoͤdie lang ge-
nug werden. Die beſondern Regeln des Trauerſpiels
werden gleichfalls im II Th. in einem eigenen Capitel vor-
kommen.
Endlich folgt die Epiſche Fabel, ſo ſich vor alle Helden-
gedichte und Romane ſchicket. Dieſe iſt das fuͤrtrefflichſte,
was die gantze Poeſie zu Stande bringen kan, wenn ſie nur
auf gehoͤrige Art eingerichtet wird. Ein Dichter wehlt alſo
dabey in allen Stuͤcken das beſte, was er in ſeinem Vorrathe
hat, ein ſo großes Werck damit auszuſchmuͤcken. Die
Handlung muß wichtig ſeyn, das iſt nicht einzelne Perſonen,
Haͤuſer oder Staͤdte; ſondern gantze Laͤnder und Voͤlcker
anbetreffen. Die Perſonen muͤſſen die Anſehnlichſten von
der Welt, nehmlich Koͤnige und Helden und große Staats-
leute ſeyn. Die Fabel muß nicht kurtz ſondern lang und
weitlaͤuftig werden, und in dieſer Abſicht mit vielen Zwi-
ſchen-Fabeln erweitert ſeyn. Alles muß darinn groß, ſelt-
ſam und wunderbar klingen, die Characteren, die Gedan-
cken, die Neigungen, die Affecten und alle Ausdruͤckungen,
d. i. die Sprache oder die Schreibart. Kurtz dieſes wird
das Meiſterſtuͤck der gantzen Poeſie. Aus dieſer Urſache
werde ich alſo meine obige Fabel ſo einkleiden: Ein junger
Held, in welchem eine unerſaͤttliche Ehrbegierde brennet,
ſuchet ſich durch die Macht der Waffen einen großen Nah-
men zu machen. Er ruͤſtet derowegen ein gewaltiges Heer,
uͤberzieht erſt die benachbarten kleinern Staaten mit Krieg,
bezwingt ſie, und wird dadurch immer maͤchtiger. Durch
Liſt und Geld trennet er die Buͤndniſſe ſeiner ſtaͤrckern Nach-
barn, greift ſie darauf einzeln an, und bemeiſtert ſich aller
ihrer Laͤnder. Da er nun endlich ſo groß geworden iſt, als
es moͤglich war, aber auch zugleich ein Abſcheu aller Welt
geworden, faͤllt ſeine Hoheit auf eine ſchmaͤhliche Art und er
nimmt ein klaͤgliches Ende. Dieſe Haupt-Fabel eines Hel-
dengedichtes nach den beſondern Regeln deſſelben zu rechtfer-
tigen, iſt dieſes Orts noch nicht. Jch mercke nur dieſes an,
daß ſie nicht zum Lobe der Hauptperſon, ſondern zur Schan-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/165>, abgerufen am 21.11.2024.
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