und seinen Gästen zubereiten. Dieses ist noch eben sowohl eine Esopische Fabel, als die obige.
Wäre ich willens eine comische Fabel daraus zu ma- chen, so müste ich sehen, daß ich das Laster der Ungerechtig- keit als ein lächerliches Laster vorstellen könnte. Denn das Auslachenswürdige gehört eigentlich in die Comödie, das Abscheuliche und Schreckliche hergegen läuft wieder ihre Absicht. Jch müste es also bey einer kleinen Ungerechtigkeit bewenden lassen, deren Unbilligkeit zwar einem jeden in die Augen fiele, aber doch kein gar zu großes Mitleiden erwecken könnte. Die Personen so dabey vorkommen, müssen bür- gerlich seyn, denn Helden und Prinzen gehören in die Tra- gödie. Derjenige aber der das Unrecht thäte, müste endlich darüber zum Spott und Gelächter werden. Die Nahmen werden nur dazu erdacht, und man darf sie nicht aus der Hi- storie nehmen. Jch sage also: Herr Trotzkopf, ein reicher aber wollüstiger und verwegener Jüngling, hat einen halben Tag mit Schmausen und Spielen zugebracht, geräth aber des Abends in ein übelberüchtigtes Haus, wo man ihm nicht nur alle seine Baarschafft nimmt, sondern auch das Kleid vom Leibe zieht, und ihn so bloß auf die Gasse hinausstößt. Er fluchet und poltert eine Weile vergebens, geht aber end- lich mit dem bloßen Degen in der Hand Gasse auf, Gasse nieder, in dem Vorhaben dem ersten dem besten mit Gewalt das Kleid zu nehmen, und also nicht ohne Rock nach Hause zu kommen. Es begegnet ihm Herr Ruhelieb, ein friedfertiger Mensch, der von einem guten Freunde kommt, und etwas spät nach Hause geht. Diesen fällt er an, nöthiget ihn nach dem Degen zu greifen, entwaffnet ja verwundet ihn ein we- nig, und zwinget ihn also das Kleid auszuziehen und ihm zu geben. Kaum hat er selbiges angezogen um damit nach Hause zu gehen, so stehen an der andern Ecke der Straße ein paar tüchtige Kerle, die von Herrn Ruheliebs Feinden er- kauft worden, denselben wichtig auszuprügeln. Diesen fällt Herr Trotzkopf in die Hände, und ob er gleich Leib und Seele schweret daß er nicht derjenige sey, davor sie ihn ansehen, wird er doch wacker abgestraft, so daß er aus Zorn und Un-
gedult
J 4
Von den Poetiſchen Nachahmungen.
und ſeinen Gaͤſten zubereiten. Dieſes iſt noch eben ſowohl eine Eſopiſche Fabel, als die obige.
Waͤre ich willens eine comiſche Fabel daraus zu ma- chen, ſo muͤſte ich ſehen, daß ich das Laſter der Ungerechtig- keit als ein laͤcherliches Laſter vorſtellen koͤnnte. Denn das Auslachenswuͤrdige gehoͤrt eigentlich in die Comoͤdie, das Abſcheuliche und Schreckliche hergegen laͤuft wieder ihre Abſicht. Jch muͤſte es alſo bey einer kleinen Ungerechtigkeit bewenden laſſen, deren Unbilligkeit zwar einem jeden in die Augen fiele, aber doch kein gar zu großes Mitleiden erwecken koͤnnte. Die Perſonen ſo dabey vorkommen, muͤſſen buͤr- gerlich ſeyn, denn Helden und Prinzen gehoͤren in die Tra- goͤdie. Derjenige aber der das Unrecht thaͤte, muͤſte endlich daruͤber zum Spott und Gelaͤchter werden. Die Nahmen werden nur dazu erdacht, und man darf ſie nicht aus der Hi- ſtorie nehmen. Jch ſage alſo: Herr Trotzkopf, ein reicher aber wolluͤſtiger und verwegener Juͤngling, hat einen halben Tag mit Schmauſen und Spielen zugebracht, geraͤth aber des Abends in ein uͤbelberuͤchtigtes Haus, wo man ihm nicht nur alle ſeine Baarſchafft nimmt, ſondern auch das Kleid vom Leibe zieht, und ihn ſo bloß auf die Gaſſe hinausſtoͤßt. Er fluchet und poltert eine Weile vergebens, geht aber end- lich mit dem bloßen Degen in der Hand Gaſſe auf, Gaſſe nieder, in dem Vorhaben dem erſten dem beſten mit Gewalt das Kleid zu nehmen, und alſo nicht ohne Rock nach Hauſe zu kommen. Es begegnet ihm Herr Ruhelieb, ein friedfertiger Menſch, der von einem guten Freunde kommt, und etwas ſpaͤt nach Hauſe geht. Dieſen faͤllt er an, noͤthiget ihn nach dem Degen zu greifen, entwaffnet ja verwundet ihn ein we- nig, und zwinget ihn alſo das Kleid auszuziehen und ihm zu geben. Kaum hat er ſelbiges angezogen um damit nach Hauſe zu gehen, ſo ſtehen an der andern Ecke der Straße ein paar tuͤchtige Kerle, die von Herrn Ruheliebs Feinden er- kauft worden, denſelben wichtig auszupruͤgeln. Dieſen faͤllt Herr Trotzkopf in die Haͤnde, und ob er gleich Leib und Seele ſchweret daß er nicht derjenige ſey, davor ſie ihn anſehen, wird er doch wacker abgeſtraft, ſo daß er aus Zorn und Un-
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Von den Poetiſchen Nachahmungen.
und ſeinen Gaͤſten zubereiten. Dieſes iſt noch eben ſowohl
eine Eſopiſche Fabel, als die obige.
Waͤre ich willens eine comiſche Fabel daraus zu ma-
chen, ſo muͤſte ich ſehen, daß ich das Laſter der Ungerechtig-
keit als ein laͤcherliches Laſter vorſtellen koͤnnte. Denn das
Auslachenswuͤrdige gehoͤrt eigentlich in die Comoͤdie, das
Abſcheuliche und Schreckliche hergegen laͤuft wieder ihre
Abſicht. Jch muͤſte es alſo bey einer kleinen Ungerechtigkeit
bewenden laſſen, deren Unbilligkeit zwar einem jeden in die
Augen fiele, aber doch kein gar zu großes Mitleiden erwecken
koͤnnte. Die Perſonen ſo dabey vorkommen, muͤſſen buͤr-
gerlich ſeyn, denn Helden und Prinzen gehoͤren in die Tra-
goͤdie. Derjenige aber der das Unrecht thaͤte, muͤſte endlich
daruͤber zum Spott und Gelaͤchter werden. Die Nahmen
werden nur dazu erdacht, und man darf ſie nicht aus der Hi-
ſtorie nehmen. Jch ſage alſo: Herr Trotzkopf, ein reicher
aber wolluͤſtiger und verwegener Juͤngling, hat einen halben
Tag mit Schmauſen und Spielen zugebracht, geraͤth aber
des Abends in ein uͤbelberuͤchtigtes Haus, wo man ihm nicht
nur alle ſeine Baarſchafft nimmt, ſondern auch das Kleid
vom Leibe zieht, und ihn ſo bloß auf die Gaſſe hinausſtoͤßt.
Er fluchet und poltert eine Weile vergebens, geht aber end-
lich mit dem bloßen Degen in der Hand Gaſſe auf, Gaſſe
nieder, in dem Vorhaben dem erſten dem beſten mit Gewalt
das Kleid zu nehmen, und alſo nicht ohne Rock nach Hauſe zu
kommen. Es begegnet ihm Herr Ruhelieb, ein friedfertiger
Menſch, der von einem guten Freunde kommt, und etwas
ſpaͤt nach Hauſe geht. Dieſen faͤllt er an, noͤthiget ihn nach
dem Degen zu greifen, entwaffnet ja verwundet ihn ein we-
nig, und zwinget ihn alſo das Kleid auszuziehen und ihm zu
geben. Kaum hat er ſelbiges angezogen um damit nach
Hauſe zu gehen, ſo ſtehen an der andern Ecke der Straße ein
paar tuͤchtige Kerle, die von Herrn Ruheliebs Feinden er-
kauft worden, denſelben wichtig auszupruͤgeln. Dieſen faͤllt
Herr Trotzkopf in die Haͤnde, und ob er gleich Leib und Seele
ſchweret daß er nicht derjenige ſey, davor ſie ihn anſehen,
wird er doch wacker abgeſtraft, ſo daß er aus Zorn und Un-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/163>, abgerufen am 16.02.2025.
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