hat sie in seiner offt gedachten Satire nachdrücklich abge- mahlet.
Wenn nun ein grobes Holtz, ein Eulenspiegels gleichen, Läst einen (Pfui dich an!) mit gutem Willen streichen, Bringt kahle Zoten vor, verschluckt ein gantzes Ey, Und rülzet ins Gelach und schmatzet in den Brey; Wenn er sich lustig macht mit solchen Buben-Possen, Die auch kein Huren-Wirth sollt hören unverdrossen; Da lacht die Unvernunft, daß ihr die Lufft entgeht, Und spricht wohl: Hey, das ist ein lustiger Poet! O allzutheurer Nahm, für solche grobe Hachen! Kan denn ein fauler Stanck so bald Poeten machen? Ein unverschämtes Wort? O! weit vom Ziel gefehlt! Das muß ein ander seyn, der mit will seyn gezehlt Jn diese werthe Zunft. Die keuschen Pierinnen Sind keinem Unflath hold und hassen grobe Sinnen.
Opitz, Dach, die Gryphier, Canitz und andre von unsern besten Poeten, haben wohl niemahls, auch in verliebten Gedichten, ein zartes Ohr geärgert. Hofmanswaldau und Lohenstein aber sind auch in diesem Stücke in die Fußtapfen der geilen Jtaliener getreten, die ihrer Feder so wenig als ihren Be- gierden ein Maaß zu setzen wissen; und diese Vorgänger haben sehr viel angehende Dichter verderbet. Die Franzö- sische Nation verdienet hingegen viel Lob, daß die Schrifften ihrer verliebtesten Poeten so rein von allen Unflätereyen sind, daß man fast keine einzige anstößige Stelle bey ihnen antref- fen wird. Boileau hat auch diese Regel in seiner Dichtkunst so wenig vergessen, daß er sie vielmehr zu verschiedenen mah- len wiederholet hat. Am Ende des III. Gesanges wo er noch von der Comödie handelt, schließt er so:
J'aime sur le Theatre un agreable Auteur, Qui sans se diffamer aux yeux du Spectateur, Plait par la raison seule, & jamais ne la choque; Mais pour un faux Plaisant, a grossiere equivoque, Qui pour me divertir n'a que la salete, Qu'il s'en aille, s'il veut, sur deux tretaux monte, Amusant le Pont-neuf de ses sornettes fades, Aux Laquais assemblez jouer ses Mascarades.
Wie er nun hier in Comödien an statt eines artigen Schertzes
keine
Das II. Capitel
hat ſie in ſeiner offt gedachten Satire nachdruͤcklich abge- mahlet.
Wenn nun ein grobes Holtz, ein Eulenſpiegels gleichen, Laͤſt einen (Pfui dich an!) mit gutem Willen ſtreichen, Bringt kahle Zoten vor, verſchluckt ein gantzes Ey, Und ruͤlzet ins Gelach und ſchmatzet in den Brey; Wenn er ſich luſtig macht mit ſolchen Buben-Poſſen, Die auch kein Huren-Wirth ſollt hoͤren unverdroſſen; Da lacht die Unvernunft, daß ihr die Lufft entgeht, Und ſpricht wohl: Hey, das iſt ein luſtiger Poet! O allzutheurer Nahm, fuͤr ſolche grobe Hachen! Kan denn ein fauler Stanck ſo bald Poeten machen? Ein unverſchaͤmtes Wort? O! weit vom Ziel gefehlt! Das muß ein ander ſeyn, der mit will ſeyn gezehlt Jn dieſe werthe Zunft. Die keuſchen Pierinnen Sind keinem Unflath hold und haſſen grobe Sinnen.
Opitz, Dach, die Gryphier, Canitz und andre von unſern beſten Poeten, haben wohl niemahls, auch in verliebten Gedichten, ein zartes Ohr geaͤrgert. Hofmanswaldau und Lohenſtein aber ſind auch in dieſem Stuͤcke in die Fußtapfen der geilen Jtaliener getreten, die ihrer Feder ſo wenig als ihren Be- gierden ein Maaß zu ſetzen wiſſen; und dieſe Vorgaͤnger haben ſehr viel angehende Dichter verderbet. Die Franzoͤ- ſiſche Nation verdienet hingegen viel Lob, daß die Schrifften ihrer verliebteſten Poeten ſo rein von allen Unflaͤtereyen ſind, daß man faſt keine einzige anſtoͤßige Stelle bey ihnen antref- fen wird. Boileau hat auch dieſe Regel in ſeiner Dichtkunſt ſo wenig vergeſſen, daß er ſie vielmehr zu verſchiedenen mah- len wiederholet hat. Am Ende des III. Geſanges wo er noch von der Comoͤdie handelt, ſchließt er ſo:
J’aime ſur le Theatre un agreable Auteur, Qui ſans ſe diffamer aux yeux du Spectateur, Plait par la raiſon ſeule, & jamais ne la choque; Mais pour un faux Plaiſant, à groſſiere équivoque, Qui pour me divertir n’a que la ſaleté, Qu’il s’en aille, s’il veut, ſur deux tretaux monté, Amuſant le Pont-neuf de ſes ſornettes fades, Aux Laquais aſſemblez jouer ſes Maſcarades.
Wie er nun hier in Comoͤdien an ſtatt eines artigen Schertzes
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Das II. Capitel
hat ſie in ſeiner offt gedachten Satire nachdruͤcklich abge-
mahlet.
Wenn nun ein grobes Holtz, ein Eulenſpiegels gleichen,
Laͤſt einen (Pfui dich an!) mit gutem Willen ſtreichen,
Bringt kahle Zoten vor, verſchluckt ein gantzes Ey,
Und ruͤlzet ins Gelach und ſchmatzet in den Brey;
Wenn er ſich luſtig macht mit ſolchen Buben-Poſſen,
Die auch kein Huren-Wirth ſollt hoͤren unverdroſſen;
Da lacht die Unvernunft, daß ihr die Lufft entgeht,
Und ſpricht wohl: Hey, das iſt ein luſtiger Poet!
O allzutheurer Nahm, fuͤr ſolche grobe Hachen!
Kan denn ein fauler Stanck ſo bald Poeten machen?
Ein unverſchaͤmtes Wort? O! weit vom Ziel gefehlt!
Das muß ein ander ſeyn, der mit will ſeyn gezehlt
Jn dieſe werthe Zunft. Die keuſchen Pierinnen
Sind keinem Unflath hold und haſſen grobe Sinnen.
Opitz, Dach, die Gryphier, Canitz und andre von unſern beſten
Poeten, haben wohl niemahls, auch in verliebten Gedichten,
ein zartes Ohr geaͤrgert. Hofmanswaldau und Lohenſtein
aber ſind auch in dieſem Stuͤcke in die Fußtapfen der geilen
Jtaliener getreten, die ihrer Feder ſo wenig als ihren Be-
gierden ein Maaß zu ſetzen wiſſen; und dieſe Vorgaͤnger
haben ſehr viel angehende Dichter verderbet. Die Franzoͤ-
ſiſche Nation verdienet hingegen viel Lob, daß die Schrifften
ihrer verliebteſten Poeten ſo rein von allen Unflaͤtereyen ſind,
daß man faſt keine einzige anſtoͤßige Stelle bey ihnen antref-
fen wird. Boileau hat auch dieſe Regel in ſeiner Dichtkunſt
ſo wenig vergeſſen, daß er ſie vielmehr zu verſchiedenen mah-
len wiederholet hat. Am Ende des III. Geſanges wo er noch
von der Comoͤdie handelt, ſchließt er ſo:
J’aime ſur le Theatre un agreable Auteur,
Qui ſans ſe diffamer aux yeux du Spectateur,
Plait par la raiſon ſeule, & jamais ne la choque;
Mais pour un faux Plaiſant, à groſſiere équivoque,
Qui pour me divertir n’a que la ſaleté,
Qu’il s’en aille, s’il veut, ſur deux tretaux monté,
Amuſant le Pont-neuf de ſes ſornettes fades,
Aux Laquais aſſemblez jouer ſes Maſcarades.
Wie er nun hier in Comoͤdien an ſtatt eines artigen Schertzes
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/122>, abgerufen am 27.11.2024.
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