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Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736.

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Die Pietisterey
Jungfer Luischen.
Herr Liebmann hat ihrer sehr viel.
Frau Glaubeleichtin.
Wie? der von seinem heiligen Vetter selbst er-
zogen worden ist? Er hat die süsse Milch der Christ-
lichen Sitten-Lehre und Religion schon als ein
Kind eingesogen; und man sagt, daß er die rechte
Krone aller Männer seyn wird? Jst das noch dein
Liebmann?
Jungfer Luischen.
Jn gewissen Verstande kömmt ihm das alles zu.
Frau Glaubeleichtin.
Nun, so will ich dirs sagen, daß ers nicht ist.
Die Mädgens sind doch rechte Tierchen! Wenn
sie einmahl jemanden im Kopfe haben; so dencken
sie, es sey kein anderer mehr in der Welt.
Jungfer Luischen.
Aber liebe Mama - - -
Frau Glaubeleichtin.
Schweig! Der junge Mensch, von dem ich
rede, ist der junge Herr von Muckersdorff.
(Luis-
chen entsetzt sich:)
Es ist dir gewiß nicht recht? Du
Närrin! ist dir der Nahme zuwider? Mit einem
Worte, es ist der Vetter des heiligen Mannes
GOttes, mit dem du den Augenblick geredet hast.
Jungfer Luischen.
Ach, Mama! verzeihen sie: Jch habe mich
schon bedacht.

Frau
Die Pietiſterey
Jungfer Luischen.
Herr Liebmann hat ihrer ſehr viel.
Frau Glaubeleichtin.
Wie? der von ſeinem heiligen Vetter ſelbſt er-
zogen worden iſt? Er hat die ſuͤſſe Milch der Chriſt-
lichen Sitten-Lehre und Religion ſchon als ein
Kind eingeſogen; und man ſagt, daß er die rechte
Krone aller Maͤnner ſeyn wird? Jſt das noch dein
Liebmann?
Jungfer Luischen.
Jn gewiſſen Verſtande koͤmmt ihm das alles zu.
Frau Glaubeleichtin.
Nun, ſo will ich dirs ſagen, daß ers nicht iſt.
Die Maͤdgens ſind doch rechte Tierchen! Wenn
ſie einmahl jemanden im Kopfe haben; ſo dencken
ſie, es ſey kein anderer mehr in der Welt.
Jungfer Luischen.
Aber liebe Mama ‒ ‒ ‒
Frau Glaubeleichtin.
Schweig! Der junge Menſch, von dem ich
rede, iſt der junge Herr von Muckersdorff.
(Luis-
chen entſetzt ſich:)
Es iſt dir gewiß nicht recht? Du
Naͤrrin! iſt dir der Nahme zuwider? Mit einem
Worte, es iſt der Vetter des heiligen Mannes
GOttes, mit dem du den Augenblick geredet haſt.
Jungfer Luischen.
Ach, Mama! verzeihen ſie: Jch habe mich
ſchon bedacht.

Frau
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[58/0078] Die Pietiſterey Jungfer Luischen. Herr Liebmann hat ihrer ſehr viel. Frau Glaubeleichtin. Wie? der von ſeinem heiligen Vetter ſelbſt er- zogen worden iſt? Er hat die ſuͤſſe Milch der Chriſt- lichen Sitten-Lehre und Religion ſchon als ein Kind eingeſogen; und man ſagt, daß er die rechte Krone aller Maͤnner ſeyn wird? Jſt das noch dein Liebmann? Jungfer Luischen. Jn gewiſſen Verſtande koͤmmt ihm das alles zu. Frau Glaubeleichtin. Nun, ſo will ich dirs ſagen, daß ers nicht iſt. Die Maͤdgens ſind doch rechte Tierchen! Wenn ſie einmahl jemanden im Kopfe haben; ſo dencken ſie, es ſey kein anderer mehr in der Welt. Jungfer Luischen. Aber liebe Mama ‒ ‒ ‒ Frau Glaubeleichtin. Schweig! Der junge Menſch, von dem ich rede, iſt der junge Herr von Muckersdorff. (Luis- chen entſetzt ſich:) Es iſt dir gewiß nicht recht? Du Naͤrrin! iſt dir der Nahme zuwider? Mit einem Worte, es iſt der Vetter des heiligen Mannes GOttes, mit dem du den Augenblick geredet haſt. Jungfer Luischen. Ach, Mama! verzeihen ſie: Jch habe mich ſchon bedacht. Frau

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Zitationshilfe: Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/78>, abgerufen am 25.11.2024.