Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_040.001 Und es wallet und siedet und brauset und zischt, pgo_040.005 Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt; pgo_040.006 Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt pgo_040.007 Und Fluth auf Fluth sich ohn' Ende drängt, pgo_040.008 Und will sich nimmer erschöpfen und leeren, pgo_040.009 Als wollte das Meer noch ein Meer gebären. (Schiller.) pgo_040.010 Als die Natur sich in sich selbst gegründet, pgo_040.014 Da hat sie rein den Erdball abgeründet, pgo_040.015 Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut, pgo_040.016 Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht, pgo_040.017 Die Hügel dann bequem hinabgebildet, pgo_040.018 Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet. (Goethe.) pgo_040.019 pgo_040.001 Und es wallet und siedet und brauset und zischt, pgo_040.005 Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt; pgo_040.006 Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt pgo_040.007 Und Fluth auf Fluth sich ohn' Ende drängt, pgo_040.008 Und will sich nimmer erschöpfen und leeren, pgo_040.009 Als wollte das Meer noch ein Meer gebären. (Schiller.) pgo_040.010 Als die Natur sich in sich selbst gegründet, pgo_040.014 Da hat sie rein den Erdball abgeründet, pgo_040.015 Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut, pgo_040.016 Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht, pgo_040.017 Die Hügel dann bequem hinabgebildet, pgo_040.018 Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet. (Goethe.) pgo_040.019 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0062" n="40"/><lb n="pgo_040.001"/> der Brandung; der Dichter führt die wechselnden Erscheinungen <lb n="pgo_040.002"/> in der Zeitfolge an uns vorüber. Jn dieser Bewe gung der Natur symbolisirt <lb n="pgo_040.003"/> sich von selbst die menschliche Thätigkeit:</p> <lb n="pgo_040.004"/> <lg> <l>Und es wallet und siedet und brauset und zischt,</l> <lb n="pgo_040.005"/> <l>Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt;</l> <lb n="pgo_040.006"/> <l>Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt</l> <lb n="pgo_040.007"/> <l>Und Fluth auf Fluth sich ohn' Ende drängt,</l> <lb n="pgo_040.008"/> <l>Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,</l> <lb n="pgo_040.009"/> <l>Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.</l> </lg> <p>(<hi rendition="#g">Schiller</hi>.)</p> <p><lb n="pgo_040.010"/> Der Maler kann uns nur den moosbewachsenen Felsen, das Gebirge <lb n="pgo_040.011"/> mit seinen Klippen und Schluchten malen; der Dichter zeigt uns die <lb n="pgo_040.012"/> Thätigkeit der Natur, die es erschuf:</p> <lb n="pgo_040.013"/> <lg> <l>Als die Natur sich in sich selbst gegründet,</l> <lb n="pgo_040.014"/> <l>Da hat sie rein den Erdball abgeründet,</l> <lb n="pgo_040.015"/> <l>Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut,</l> <lb n="pgo_040.016"/> <l>Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht,</l> <lb n="pgo_040.017"/> <l>Die Hügel dann bequem hinabgebildet,</l> <lb n="pgo_040.018"/> <l>Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.</l> </lg> <p>(<hi rendition="#g">Goethe</hi>.)</p> <p><lb n="pgo_040.019"/> Noch berechtigter aber wird die Beschreibung, wenn sie die Natur <lb n="pgo_040.020"/> ganz in die Stimmung des Gemüthes auflöst und nur seine Reflexe über <lb n="pgo_040.021"/> das äußerliche Bild ausgießt. Hier hört der Landschaftsmaler auf, wo <lb n="pgo_040.022"/> der Dichter anfängt. Bei jenem geht die <hi rendition="#g">Stimmung</hi> aus dem <hi rendition="#g">Bilde,</hi> <lb n="pgo_040.023"/> bei diesem das <hi rendition="#g">Bild</hi> aus der <hi rendition="#g">Stimmung</hi> hervor. Jean Paul ist <lb n="pgo_040.024"/> Meister darin, auch das umfassendste Landschaftsgemälde in die Farben <lb n="pgo_040.025"/> der Stimmung zu tauchen, die seine Helden beseelt. Bei jener beschreibenden <lb n="pgo_040.026"/> Poesie wandert der Held durch die Landschaft; bei der echten die <lb n="pgo_040.027"/> Landschaft durch den Helden. <hi rendition="#g">Byron's</hi> „<hi rendition="#g">Childe Harold</hi>“ führt <lb n="pgo_040.028"/> uns durch halb Europa, malt uns Lissabon, Venedig, Athen; aber er <lb n="pgo_040.029"/> ist kein in Verse gebrachtes Reisehandbuch. Ueber allen diesen Bildern, <lb n="pgo_040.030"/> mag der Held auf der Seufzerbrücke in Venedig stehen oder dem Donnersturm <lb n="pgo_040.031"/> im Schweizer Jura lauschen, zittert der Hauch seiner eigenen, <lb n="pgo_040.032"/> gebrochenen Seele. Es ist die Elegie eines blasirten, heimatlosen <lb n="pgo_040.033"/> Gemüthes, das in der äußern Welt nur seinen Spiegel sucht und findet! <lb n="pgo_040.034"/> Doch die Beschreibung der Natur wird auch dann dichterisch, wenn wir <lb n="pgo_040.035"/> in ihr gleichsam die Parallelstellen zum Leben des Geistes aufsuchen, <lb n="pgo_040.036"/> wenn sich der dichterische Gedanke unmittelbar an die Schilderung knüpft. <lb n="pgo_040.037"/> Ein Mustergedicht hierfür ist <hi rendition="#g">Schiller's</hi> „Spaziergang,“ der an den </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0062]
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der Brandung; der Dichter führt die wechselnden Erscheinungen pgo_040.002
in der Zeitfolge an uns vorüber. Jn dieser Bewe gung der Natur symbolisirt pgo_040.003
sich von selbst die menschliche Thätigkeit:
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Und es wallet und siedet und brauset und zischt, pgo_040.005
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt; pgo_040.006
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt pgo_040.007
Und Fluth auf Fluth sich ohn' Ende drängt, pgo_040.008
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren, pgo_040.009
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.
(Schiller.)
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Der Maler kann uns nur den moosbewachsenen Felsen, das Gebirge pgo_040.011
mit seinen Klippen und Schluchten malen; der Dichter zeigt uns die pgo_040.012
Thätigkeit der Natur, die es erschuf:
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Als die Natur sich in sich selbst gegründet, pgo_040.014
Da hat sie rein den Erdball abgeründet, pgo_040.015
Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut, pgo_040.016
Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht, pgo_040.017
Die Hügel dann bequem hinabgebildet, pgo_040.018
Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.
(Goethe.)
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Noch berechtigter aber wird die Beschreibung, wenn sie die Natur pgo_040.020
ganz in die Stimmung des Gemüthes auflöst und nur seine Reflexe über pgo_040.021
das äußerliche Bild ausgießt. Hier hört der Landschaftsmaler auf, wo pgo_040.022
der Dichter anfängt. Bei jenem geht die Stimmung aus dem Bilde, pgo_040.023
bei diesem das Bild aus der Stimmung hervor. Jean Paul ist pgo_040.024
Meister darin, auch das umfassendste Landschaftsgemälde in die Farben pgo_040.025
der Stimmung zu tauchen, die seine Helden beseelt. Bei jener beschreibenden pgo_040.026
Poesie wandert der Held durch die Landschaft; bei der echten die pgo_040.027
Landschaft durch den Helden. Byron's „Childe Harold“ führt pgo_040.028
uns durch halb Europa, malt uns Lissabon, Venedig, Athen; aber er pgo_040.029
ist kein in Verse gebrachtes Reisehandbuch. Ueber allen diesen Bildern, pgo_040.030
mag der Held auf der Seufzerbrücke in Venedig stehen oder dem Donnersturm pgo_040.031
im Schweizer Jura lauschen, zittert der Hauch seiner eigenen, pgo_040.032
gebrochenen Seele. Es ist die Elegie eines blasirten, heimatlosen pgo_040.033
Gemüthes, das in der äußern Welt nur seinen Spiegel sucht und findet! pgo_040.034
Doch die Beschreibung der Natur wird auch dann dichterisch, wenn wir pgo_040.035
in ihr gleichsam die Parallelstellen zum Leben des Geistes aufsuchen, pgo_040.036
wenn sich der dichterische Gedanke unmittelbar an die Schilderung knüpft. pgo_040.037
Ein Mustergedicht hierfür ist Schiller's „Spaziergang,“ der an den
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