Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_390.001 pgo_390.009 2. Der Zeitroman. pgo_390.010 *) pgo_390.031
Vergl. über den neuesten historischen Roman in Deutschland meine "deutsche pgo_390.032 Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts" Bd. II. p. 509 pgo_390.033 und folgd. pgo_390.001 pgo_390.009 2. Der Zeitroman. pgo_390.010 *) pgo_390.031
Vergl. über den neuesten historischen Roman in Deutschland meine „deutsche pgo_390.032 Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“ Bd. II. p. 509 pgo_390.033 und folgd. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0412" n="390"/><lb n="pgo_390.001"/> Romans in eine stoffartig wirkende, drastisch pikante Memoirenfolge <lb n="pgo_390.002"/> bezeichnet. Von deutschen historischen Romanschriftstellern hat besonders <lb n="pgo_390.003"/> <hi rendition="#g">Rehfues</hi> in „Scipio Cikala“ den epischen Ton in einer oft meisterhaften <lb n="pgo_390.004"/> Darstellungsweise getroffen, während <hi rendition="#g">Spindler</hi> sich durch eine erfindungsreiche <lb n="pgo_390.005"/> Phantasie auszeichnet. Außerdem sind <hi rendition="#g">Wilibald Alexis, <lb n="pgo_390.006"/> Heinrich Laube, Gustav Kühne</hi> und vor Allen <hi rendition="#g">Heinrich König</hi> <lb n="pgo_390.007"/> in seinem dem Socialroman der Gegenwart nahestehenden historischen <lb n="pgo_390.008"/> Romane zu erwähnen<note xml:id="PGO_390_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_390.031"/> Vergl. über den neuesten historischen Roman in Deutschland meine „deutsche <lb n="pgo_390.032"/> Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“ Bd. II. p. 509 <lb n="pgo_390.033"/> und folgd.</note>.</p> </div> <div n="5"> <lb n="pgo_390.009"/> <head> <hi rendition="#c">2. Der Zeitroman.</hi> </head> <p><lb n="pgo_390.010"/> Der <hi rendition="#g">Zeitroman</hi> verlegt die Begebenheiten, die er um einen <lb n="pgo_390.011"/> Mittelpunkt des Gedankens oder um die Persönlichkeit eines Helden <lb n="pgo_390.012"/> gruppirt, in unsere Zeit und schafft, indem er das Leben der Gegenwart <lb n="pgo_390.013"/> nach allen Richtungen hin erfaßt, zugleich für die Zukunft. Seine Berechtigung <lb n="pgo_390.014"/> ist eine ungleich höhere, als die des historischen Romans! <lb n="pgo_390.015"/> Sein Jnhalt ist frei erfunden, seine umfassende epische Form auf diesem <lb n="pgo_390.016"/> Gebiete vollgültig, weil sie die Mannichfaltigkeit geistiger Strömungen <lb n="pgo_390.017"/> und die unerschöpfliche Fülle des realen Lebens bequem und behaglich in <lb n="pgo_390.018"/> sich aufnimmt. Wir dürfen von ihm nicht nur anschauliche Objektivität in <lb n="pgo_390.019"/> Darstellung der Außenwelt verlangen, sondern auch geistigen Reichthum, <lb n="pgo_390.020"/> psychologische Feinheit, Anatomie des Herzens und der Leidenschaft! Er <lb n="pgo_390.021"/> darf ebenso <hi rendition="#g">tief</hi> nach innen, wie <hi rendition="#g">breit</hi> nach außen gehn und muß die <lb n="pgo_390.022"/> Längen seiner Form dazu benutzen, das innere Leben bis in seine geheimsten <lb n="pgo_390.023"/> Abgründe zu verfolgen. Wenn der Dramatiker ein durchgreifendes <lb n="pgo_390.024"/> Motiv wählt, da darf der Romanschreiber jene ganze Kette verschlungener <lb n="pgo_390.025"/> Motive entwickeln, aus denen das Handeln zuletzt in seiner Bestimmtheit <lb n="pgo_390.026"/> hervorgeht, alle Vorstellungen, welche die Schwelle der Seele übersteigen, <lb n="pgo_390.027"/> sich kreuzen, mit einander kämpfen, bis die einen über die andern den Sieg <lb n="pgo_390.028"/> davontragen. Ebenso muß der moderne Romanschriftsteller alle objektiven <lb n="pgo_390.029"/> Lebensverhältnisse kennen — er muß Arzt, Kriminalist, Publicist, <lb n="pgo_390.030"/> Oekonom zugleich sein und mit dem Organismus des menschlichen Leibes </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [390/0412]
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Romans in eine stoffartig wirkende, drastisch pikante Memoirenfolge pgo_390.002
bezeichnet. Von deutschen historischen Romanschriftstellern hat besonders pgo_390.003
Rehfues in „Scipio Cikala“ den epischen Ton in einer oft meisterhaften pgo_390.004
Darstellungsweise getroffen, während Spindler sich durch eine erfindungsreiche pgo_390.005
Phantasie auszeichnet. Außerdem sind Wilibald Alexis, pgo_390.006
Heinrich Laube, Gustav Kühne und vor Allen Heinrich König pgo_390.007
in seinem dem Socialroman der Gegenwart nahestehenden historischen pgo_390.008
Romane zu erwähnen *).
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2. Der Zeitroman. pgo_390.010
Der Zeitroman verlegt die Begebenheiten, die er um einen pgo_390.011
Mittelpunkt des Gedankens oder um die Persönlichkeit eines Helden pgo_390.012
gruppirt, in unsere Zeit und schafft, indem er das Leben der Gegenwart pgo_390.013
nach allen Richtungen hin erfaßt, zugleich für die Zukunft. Seine Berechtigung pgo_390.014
ist eine ungleich höhere, als die des historischen Romans! pgo_390.015
Sein Jnhalt ist frei erfunden, seine umfassende epische Form auf diesem pgo_390.016
Gebiete vollgültig, weil sie die Mannichfaltigkeit geistiger Strömungen pgo_390.017
und die unerschöpfliche Fülle des realen Lebens bequem und behaglich in pgo_390.018
sich aufnimmt. Wir dürfen von ihm nicht nur anschauliche Objektivität in pgo_390.019
Darstellung der Außenwelt verlangen, sondern auch geistigen Reichthum, pgo_390.020
psychologische Feinheit, Anatomie des Herzens und der Leidenschaft! Er pgo_390.021
darf ebenso tief nach innen, wie breit nach außen gehn und muß die pgo_390.022
Längen seiner Form dazu benutzen, das innere Leben bis in seine geheimsten pgo_390.023
Abgründe zu verfolgen. Wenn der Dramatiker ein durchgreifendes pgo_390.024
Motiv wählt, da darf der Romanschreiber jene ganze Kette verschlungener pgo_390.025
Motive entwickeln, aus denen das Handeln zuletzt in seiner Bestimmtheit pgo_390.026
hervorgeht, alle Vorstellungen, welche die Schwelle der Seele übersteigen, pgo_390.027
sich kreuzen, mit einander kämpfen, bis die einen über die andern den Sieg pgo_390.028
davontragen. Ebenso muß der moderne Romanschriftsteller alle objektiven pgo_390.029
Lebensverhältnisse kennen — er muß Arzt, Kriminalist, Publicist, pgo_390.030
Oekonom zugleich sein und mit dem Organismus des menschlichen Leibes
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Vergl. über den neuesten historischen Roman in Deutschland meine „deutsche pgo_390.032
Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“ Bd. II. p. 509 pgo_390.033
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