Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_322.001 pgo_322.005 3. Die moderne Reflexionspoesie. pgo_322.006 pgo_322.022 pgo_322.031 pgo_322.001 pgo_322.005 3. Die moderne Reflexionspoesie. pgo_322.006 pgo_322.022 pgo_322.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0344" n="322"/><lb n="pgo_322.001"/> dessen Reflexion von tiefsinnig brütendem Charakter allerdings oft einen <lb n="pgo_322.002"/> gesuchten und unklaren Ausdruck annahm, so daß der arabische Kunstrichter <lb n="pgo_322.003"/> Tsaâlibi von ihm sagt, er sei eine Braut von blendender Schöne, <lb n="pgo_322.004"/> die aber täglich die fallende Sucht bekomme.</p> </div> <div n="5"> <lb n="pgo_322.005"/> <head> <hi rendition="#c">3. Die moderne Reflexionspoesie.</hi> </head> <p><lb n="pgo_322.006"/> Die neue Zeit hat nach außen hin viele Perspektiven eröffnet, die <lb n="pgo_322.007"/> Welt der Erscheinung in ihrem tieferen Zusammenhang ergründet, ein <lb n="pgo_322.008"/> reiches geschichtliches Material angehäuft, durch die Gedankenarbeit <lb n="pgo_322.009"/> bedeutender Geister metaphysische Tiefen enthüllt, in welche auch die <lb n="pgo_322.010"/> kühnere Jntuition der Dichter herabsteigen konnte. So gewannen die <lb n="pgo_322.011"/> beiden Seiten der Elegie, die <hi rendition="#g">Schilderung</hi> und <hi rendition="#g">Betrachtung,</hi> an <lb n="pgo_322.012"/> Ausbreitung und Gehalt. Sie wurde die Dichtform, welche den ganzen <lb n="pgo_322.013"/> Reichthum eines weltumfassenden Genius in sich aufnehmen konnte. <lb n="pgo_322.014"/> Wohl hat sich gegen ihre Koryphäen, einen <hi rendition="#g">Schiller, Byron</hi> und <lb n="pgo_322.015"/> <hi rendition="#g">Victor Hugo,</hi> oft die einseitige Anklage des Rhetorischen erhoben, die <lb n="pgo_322.016"/> aus der Verkennung des Wesens der Elegie und aus der verkehrten Beschränkung <lb n="pgo_322.017"/> der Lyrik auf <hi rendition="#g">das Lied</hi> hervorging. Die erotische Poesie der <lb n="pgo_322.018"/> Neuzeit hat sich freilich vorzugsweise in <hi rendition="#g">das Lied</hi> geflüchtet. Dagegen <lb n="pgo_322.019"/> hat sich die Elegie gerade für die tieferen Fragen des Gedankens, für alle <lb n="pgo_322.020"/> die Neuzeit bewegenden Probleme, die in Fleisch und Blut, in ihre unmittelbare <lb n="pgo_322.021"/> Begeisterung übergegangen, als die geeignete Kunstform bewiesen.</p> <p><lb n="pgo_322.022"/> Mit dem Wiedererwachen der deutschen Poesie im 17. Jahrhundert <lb n="pgo_322.023"/> wurde auch die <hi rendition="#g">Elegie</hi> alsbald angebaut. <hi rendition="#g">Martin Opitz</hi> dichtete <lb n="pgo_322.024"/> Elegieen „<hi rendition="#g">vom Abwesen seiner Liebsten,</hi>“ <hi rendition="#g">Paul Flemming</hi> „<hi rendition="#g">an <lb n="pgo_322.025"/> sein Vaterland,</hi>“ ein Klagschreiben Germaniens an ihre Söhne, die <lb n="pgo_322.026"/> Kurfürsten und Stände von Deutschland, voll patriotischen Schwunges. <lb n="pgo_322.027"/> <hi rendition="#g">Hofmannswaldau,</hi> eines der Häupter der zweiten schlesischen Dichterschule, <lb n="pgo_322.028"/> folgte in seinen „<hi rendition="#g">Heldenbriefen</hi>“ dem Muster des Ovid; doch <lb n="pgo_322.029"/> ging bei ihm der Ton der Empfindung unter spitzfindigen Wendungen <lb n="pgo_322.030"/> und einem gesuchten Pomp des Ausdrucks verloren.</p> <p><lb n="pgo_322.031"/> Jm 18. Jahrhundert nahm die Elegie einen vorzugsweise idyllischen <lb n="pgo_322.032"/> Charakter an, wofür die englischen Muster tonangebend wurden. <hi rendition="#g">Gray's</hi> <lb n="pgo_322.033"/> († 1772) Elegie „auf einem Dorfkirchhofe“ und <hi rendition="#g">Oliver Goldsmith's</hi> <lb n="pgo_322.034"/> († 1774) Gedicht: „<hi rendition="#g">das verlassene Dorf</hi>“ wirkten auf </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [322/0344]
pgo_322.001
dessen Reflexion von tiefsinnig brütendem Charakter allerdings oft einen pgo_322.002
gesuchten und unklaren Ausdruck annahm, so daß der arabische Kunstrichter pgo_322.003
Tsaâlibi von ihm sagt, er sei eine Braut von blendender Schöne, pgo_322.004
die aber täglich die fallende Sucht bekomme.
pgo_322.005
3. Die moderne Reflexionspoesie. pgo_322.006
Die neue Zeit hat nach außen hin viele Perspektiven eröffnet, die pgo_322.007
Welt der Erscheinung in ihrem tieferen Zusammenhang ergründet, ein pgo_322.008
reiches geschichtliches Material angehäuft, durch die Gedankenarbeit pgo_322.009
bedeutender Geister metaphysische Tiefen enthüllt, in welche auch die pgo_322.010
kühnere Jntuition der Dichter herabsteigen konnte. So gewannen die pgo_322.011
beiden Seiten der Elegie, die Schilderung und Betrachtung, an pgo_322.012
Ausbreitung und Gehalt. Sie wurde die Dichtform, welche den ganzen pgo_322.013
Reichthum eines weltumfassenden Genius in sich aufnehmen konnte. pgo_322.014
Wohl hat sich gegen ihre Koryphäen, einen Schiller, Byron und pgo_322.015
Victor Hugo, oft die einseitige Anklage des Rhetorischen erhoben, die pgo_322.016
aus der Verkennung des Wesens der Elegie und aus der verkehrten Beschränkung pgo_322.017
der Lyrik auf das Lied hervorging. Die erotische Poesie der pgo_322.018
Neuzeit hat sich freilich vorzugsweise in das Lied geflüchtet. Dagegen pgo_322.019
hat sich die Elegie gerade für die tieferen Fragen des Gedankens, für alle pgo_322.020
die Neuzeit bewegenden Probleme, die in Fleisch und Blut, in ihre unmittelbare pgo_322.021
Begeisterung übergegangen, als die geeignete Kunstform bewiesen.
pgo_322.022
Mit dem Wiedererwachen der deutschen Poesie im 17. Jahrhundert pgo_322.023
wurde auch die Elegie alsbald angebaut. Martin Opitz dichtete pgo_322.024
Elegieen „vom Abwesen seiner Liebsten,“ Paul Flemming „an pgo_322.025
sein Vaterland,“ ein Klagschreiben Germaniens an ihre Söhne, die pgo_322.026
Kurfürsten und Stände von Deutschland, voll patriotischen Schwunges. pgo_322.027
Hofmannswaldau, eines der Häupter der zweiten schlesischen Dichterschule, pgo_322.028
folgte in seinen „Heldenbriefen“ dem Muster des Ovid; doch pgo_322.029
ging bei ihm der Ton der Empfindung unter spitzfindigen Wendungen pgo_322.030
und einem gesuchten Pomp des Ausdrucks verloren.
pgo_322.031
Jm 18. Jahrhundert nahm die Elegie einen vorzugsweise idyllischen pgo_322.032
Charakter an, wofür die englischen Muster tonangebend wurden. Gray's pgo_322.033
(† 1772) Elegie „auf einem Dorfkirchhofe“ und Oliver Goldsmith's pgo_322.034
(† 1774) Gedicht: „das verlassene Dorf“ wirkten auf
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |