Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_312.001 Dulde denn wohl ausschreitend ein Jeglicher, beide die Füße pgo_312.009 Festaufstemmend im Grund, Zähn' in die Lippen gedrückt, pgo_312.010 Hüften sodann und die Schenkel hinab und die Brust und die Schultern pgo_312.011 Hinter des räumigen Schilds Bauche nach Wunsche gedeckt; pgo_312.012 Und in der Rechten erheb' er zum Schwung den erdröhnenden Schlachtspeer pgo_312.013 Und graunregend daher wehe vom Haupte sein Busch*). pgo_312.014 Sie allein nur ist werth von allen Mädchen, daß Tyrus pgo_312.022 Bringt weich wollenes Vließ, doppelt in Purpur getränkt, pgo_312.023 Sie besitze die duftige Saat, die der Araber ferne pgo_312.024 Jhrem Dienste geweiht pflegt auf den würzigen Au'n, pgo_312.025 Und das Edelgestein, das der schwarze Jnder, der Sonne pgo_312.026 Nachbar, liest an des Meers rothem Korallengestad.**) pgo_312.027 *) pgo_312.034 Weber, die elegischen Dichter der Hellenen. I. p. 18. **) pgo_312.035
Tibull, Eleg. IV., I. 15; nach Gruppe: die röm. Elegie. I. p. 39. pgo_312.001 Dulde denn wohl ausschreitend ein Jeglicher, beide die Füße pgo_312.009 Festaufstemmend im Grund, Zähn' in die Lippen gedrückt, pgo_312.010 Hüften sodann und die Schenkel hinab und die Brust und die Schultern pgo_312.011 Hinter des räumigen Schilds Bauche nach Wunsche gedeckt; pgo_312.012 Und in der Rechten erheb' er zum Schwung den erdröhnenden Schlachtspeer pgo_312.013 Und graunregend daher wehe vom Haupte sein Busch*). pgo_312.014 Sie allein nur ist werth von allen Mädchen, daß Tyrus pgo_312.022 Bringt weich wollenes Vließ, doppelt in Purpur getränkt, pgo_312.023 Sie besitze die duftige Saat, die der Araber ferne pgo_312.024 Jhrem Dienste geweiht pflegt auf den würzigen Au'n, pgo_312.025 Und das Edelgestein, das der schwarze Jnder, der Sonne pgo_312.026 Nachbar, liest an des Meers rothem Korallengestad.**) pgo_312.027 *) pgo_312.034 Weber, die elegischen Dichter der Hellenen. I. p. 18. **) pgo_312.035
Tibull, Eleg. IV., I. 15; nach Gruppe: die röm. Elegie. I. p. 39. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0334" n="312"/><lb n="pgo_312.001"/> in der That nicht für die Elegie; aber sie darf schwunghafter auftreten, <lb n="pgo_312.002"/> als das Epos und das Lied. Vom Epos, von dem sie bei den Alten ja <lb n="pgo_312.003"/> den Hexameter überkommen, überkam sie auch das Recht, ihre Bilder <lb n="pgo_312.004"/> mit verweilender Schilderung auszumalen; vom Liede aber darf sie den <lb n="pgo_312.005"/> musikalischen Schmelz für die Darstellung der Beschauung und Empfindung <lb n="pgo_312.006"/> in Anspruch nehmen. Schon Tyrtäos malt seine Kriegsbilder mit <lb n="pgo_312.007"/> Homerischer Klarheit:</p> <lb n="pgo_312.008"/> <lg> <l>Dulde denn wohl ausschreitend ein Jeglicher, beide die Füße</l> <lb n="pgo_312.009"/> <l>Festaufstemmend im Grund, Zähn' in die Lippen gedrückt,</l> <lb n="pgo_312.010"/> <l>Hüften sodann und die Schenkel hinab und die Brust und die Schultern</l> <lb n="pgo_312.011"/> <l>Hinter des räumigen Schilds Bauche nach Wunsche gedeckt;</l> <lb n="pgo_312.012"/> <l>Und in der Rechten erheb' er zum Schwung den erdröhnenden Schlachtspeer</l> <lb n="pgo_312.013"/> <l>Und graunregend daher wehe vom Haupte sein Busch<note xml:id="PGO_312_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_312.034"/><hi rendition="#g">Weber,</hi> die elegischen Dichter der Hellenen. I. p. 18.</note>.</l> </lg> <p><lb n="pgo_312.014"/> und singt dann erst mit weichtönendem Klang der Gefallenen Ruhm, die <lb n="pgo_312.015"/> Klagen des Volkes, die Ehre der Sieger. Wie lebendig schildert <hi rendition="#g">Tibull</hi> <lb n="pgo_312.016"/> das Jagdleben, in welches die Leidenschaft der glühenden Sulpicia die <lb n="pgo_312.017"/> Freuden der Liebe hineinzaubern möchte! Wie episch wird von diesem <lb n="pgo_312.018"/> Dichter die Schönheit dieser Sulpicia durch den Reichthum des Schmuckes <lb n="pgo_312.019"/> illustrirt, bei dessen Schilderung der Dichter behaglich in fernen Zonen <lb n="pgo_312.020"/> verweilt:</p> <lb n="pgo_312.021"/> <lg> <l>Sie allein nur ist werth von allen Mädchen, daß Tyrus</l> <lb n="pgo_312.022"/> <l>Bringt weich wollenes Vließ, doppelt in Purpur getränkt,</l> <lb n="pgo_312.023"/> <l>Sie besitze die duftige Saat, die der Araber ferne</l> <lb n="pgo_312.024"/> <l>Jhrem Dienste geweiht pflegt auf den würzigen Au'n,</l> <lb n="pgo_312.025"/> <l>Und das Edelgestein, das der schwarze Jnder, der Sonne</l> <lb n="pgo_312.026"/> <l>Nachbar, liest an des Meers rothem Korallengestad.</l> <note xml:id="PGO_312_2" place="foot" n="**)"><lb n="pgo_312.035"/><hi rendition="#g">Tibull, Eleg</hi>. IV., I. 15; nach <hi rendition="#g">Gruppe:</hi> die röm. Elegie. I. p. 39.</note> </lg> <p><lb n="pgo_312.027"/> Solche Ausmalungen entsprechen nicht der „niedrigen“ Schreibart, <lb n="pgo_312.028"/> welche man von der „kleinen“ Elegie verlangt. Wenn dies schon von der <lb n="pgo_312.029"/> antiken Elegie gilt, so noch mehr von der modernen Gedankenpoesie. <lb n="pgo_312.030"/> Das Kolorit der Schilderung kann so glänzend sein, wie es die Phantasie <lb n="pgo_312.031"/> des Dichters nur zu geben vermag; Empfindung und Beschauung so <lb n="pgo_312.032"/> tief und innig, wie es einer reichen Begabung nur immer zu Gebote steht. <lb n="pgo_312.033"/> Die gleichmäßige Wärme Schiller'scher Jdealität, die wohl schwunghaft </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [312/0334]
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in der That nicht für die Elegie; aber sie darf schwunghafter auftreten, pgo_312.002
als das Epos und das Lied. Vom Epos, von dem sie bei den Alten ja pgo_312.003
den Hexameter überkommen, überkam sie auch das Recht, ihre Bilder pgo_312.004
mit verweilender Schilderung auszumalen; vom Liede aber darf sie den pgo_312.005
musikalischen Schmelz für die Darstellung der Beschauung und Empfindung pgo_312.006
in Anspruch nehmen. Schon Tyrtäos malt seine Kriegsbilder mit pgo_312.007
Homerischer Klarheit:
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Dulde denn wohl ausschreitend ein Jeglicher, beide die Füße pgo_312.009
Festaufstemmend im Grund, Zähn' in die Lippen gedrückt, pgo_312.010
Hüften sodann und die Schenkel hinab und die Brust und die Schultern pgo_312.011
Hinter des räumigen Schilds Bauche nach Wunsche gedeckt; pgo_312.012
Und in der Rechten erheb' er zum Schwung den erdröhnenden Schlachtspeer pgo_312.013
Und graunregend daher wehe vom Haupte sein Busch *).
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und singt dann erst mit weichtönendem Klang der Gefallenen Ruhm, die pgo_312.015
Klagen des Volkes, die Ehre der Sieger. Wie lebendig schildert Tibull pgo_312.016
das Jagdleben, in welches die Leidenschaft der glühenden Sulpicia die pgo_312.017
Freuden der Liebe hineinzaubern möchte! Wie episch wird von diesem pgo_312.018
Dichter die Schönheit dieser Sulpicia durch den Reichthum des Schmuckes pgo_312.019
illustrirt, bei dessen Schilderung der Dichter behaglich in fernen Zonen pgo_312.020
verweilt:
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Sie allein nur ist werth von allen Mädchen, daß Tyrus pgo_312.022
Bringt weich wollenes Vließ, doppelt in Purpur getränkt, pgo_312.023
Sie besitze die duftige Saat, die der Araber ferne pgo_312.024
Jhrem Dienste geweiht pflegt auf den würzigen Au'n, pgo_312.025
Und das Edelgestein, das der schwarze Jnder, der Sonne pgo_312.026
Nachbar, liest an des Meers rothem Korallengestad. **)
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Solche Ausmalungen entsprechen nicht der „niedrigen“ Schreibart, pgo_312.028
welche man von der „kleinen“ Elegie verlangt. Wenn dies schon von der pgo_312.029
antiken Elegie gilt, so noch mehr von der modernen Gedankenpoesie. pgo_312.030
Das Kolorit der Schilderung kann so glänzend sein, wie es die Phantasie pgo_312.031
des Dichters nur zu geben vermag; Empfindung und Beschauung so pgo_312.032
tief und innig, wie es einer reichen Begabung nur immer zu Gebote steht. pgo_312.033
Die gleichmäßige Wärme Schiller'scher Jdealität, die wohl schwunghaft
*) pgo_312.034
Weber, die elegischen Dichter der Hellenen. I. p. 18.
**) pgo_312.035
Tibull, Eleg. IV., I. 15; nach Gruppe: die röm. Elegie. I. p. 39.
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