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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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(damasiphrona khruson), vom männerbeglückenden Reichthum (meganoros pgo_293.002
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liegt vorzugsweise die schwungvolle Kraft des Thebanischen Sängers, pgo_293.005
dessen Vorbild die deutschen Odendichter nacheiferten, die Bildsamkeit pgo_293.006
der Muttersprache zu kühnen Neubildungen benutzend. Freilich stand bei pgo_293.007
ihnen nicht immer der gute Geschmack zu Pathen. Auch im Gebrauch pgo_293.008
der Jnversionen dürfte größeres Maaß anzurathen sein, da allzu häufige pgo_293.009
syntaktische Verrückungen dem Ganzen ein unnöthigerweise verschnörkeltes pgo_293.010
Aussehn geben. Die stürmisch bewegte Begeisterung Klopstock's wird pgo_293.011
auch bisweilen gesucht, offenbart aber in einzelnen Oden alle Schönheiten, pgo_293.012
welche ihre Sprachbändigende Kraft hervorzubringen vermag. Welche pgo_293.013
hinundherflackernde Gluth der Sprache in seiner "Frühlingsfeier!" Mit pgo_293.014
einem hyperbolischen Optativ und einer Jnversion beginnt das Gedicht:

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Nicht in den Ocean der Welten alle pgo_293.016
Will ich mich stürzen -- schweben nicht u. s. f.

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Dann drängen sich Wiederholungen einzelner Worte, Ausrufungen, pgo_293.018
ganzer Sätze aus der Fülle des Herzens heraus; Fragen wechseln mit pgo_293.019
erhabenen Lakonismen des Ausdruckes; wie Blitze des Herrn im geschilderten pgo_293.020
Gewittersturm eilen beflügelte Sätze:

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Und die Gewitterwinde? Sie tragen den Donner! pgo_293.022
Wie sie rauschen, wie sie die Wälder durchrauschen! pgo_293.023
Und nun schweigen sie. Langsam wandelt pgo_293.024
Die schwarze Wolke. pgo_293.025
Seht ihr den neuen Zeichen des Nahen, den fliegenden Strahl? pgo_293.026
Hört ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn? pgo_293.027
Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova! pgo_293.028
Und der geschmetterte Wald dampft!

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Kleinere Sätze nimmt diese wogende Sprachfluth mit syntaktischer pgo_293.030
Licenz in sich auf:

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Nun ist, wie dürstete sie, die Erd' erquickt!

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Oden, die nicht solchen hohen Aufschwung haben, sondern mehr an pgo_293.033
der Grenze des Liedes stehn, können eine minder zerspaltene Architektonik pgo_293.034
und mehr harmonische Getragenheit auch in ihrem sprachlichen Bau zur pgo_293.035
Schau stellen.

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Die Rhythmik der Ode bedient sich, im Einklang mit ihrer Komposition

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(δαμασιφρονα χρὺσον), vom männerbeglückenden Reichthum (μεγανορος pgo_293.002
πλουτον), von erdeschleichender Rede (χαμαιπετέων λόγων)! Jn diesen pgo_293.003
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Nun ist, wie dürstete sie, die Erd' erquickt!

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/315>, abgerufen am 28.11.2024.