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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Schön ist Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht pgo_241.006
Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gemüth, pgo_241.007
Das den großen Gedanken pgo_241.008
Deiner Schöpfung noch einmal denkt.
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Klopstock.

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Die choriambische Grundlage giebt allen diesen Strophen einen pgo_241.011
geflügelten Gang, der aber bedeutend durch die vorn und hinten angehängten pgo_241.012
Gewichte ermäßigt wird. Nur die glykonischen Verse, einzeln pgo_241.013
gebraucht, eignen sich zum leichthinhüpfenden Ausdruck eines heitern pgo_241.014
Jnhaltes. Durch die zwei Choriamben wird der Gedanke immer wieder pgo_241.015
mit einem gewissen Schwung auf sich selbst zurückgeworfen, so daß sich pgo_241.016
die asklepiadäischen Verse eben so für einen schwunghaften, ernsten, ja pgo_241.017
melancholischen Jnhalt eignen. Jch habe auch diese Verse in ihrer verschiedenen pgo_241.018
Form zu reimen versucht, zugleich auf ihrer Grundlage neue pgo_241.019
Strophen aufgebaut, für deren Architektonik der Reim ein willkommener pgo_241.020
Schlußstein ist. Das Festhalten des choriambischen Grundtones ist bei pgo_241.021
dieser Strophenbildung wesentlich:

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Um die Wipfel des Parks dämmert des Mondes Strahl, pgo_241.023
Tief in Schweigen gehüllt schlummert das Schattenthal. pgo_241.024
Längst ist mit Blüthen und Liedern der Lenz entflohn, pgo_241.025
Gelbliche Blätter verstreuen die Winde schon, pgo_241.026
Saat der Vergänglichkeit, welkes Laub pgo_241.027
Raschelt im Staub.

Gottschall.

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Der größere asklepiadäische Vers erhält einen ernsteren Charakter pgo_241.029
durch das Hinzukommen eines Choriambus:

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d. Die großen Odenstrophen.

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Pindar und die chorische Lyrik der attischen Tragödie bildeten die pgo_241.033
Plastik des griechischen Rhythmus zu langen und wechselnden Reihen pgo_241.034
aus, deren Gang eine höchst kunstvolle Zusammensetzung der Versfüße pgo_241.035
enthält. Der daktylische und choriambische Gang wird durch Spondäen

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Klopstock.

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Die choriambische Grundlage giebt allen diesen Strophen einen pgo_241.011
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Gottschall.

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Der größere asklepiadäische Vers erhält einen ernsteren Charakter pgo_241.029
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Plastik des griechischen Rhythmus zu langen und wechselnden Reihen pgo_241.034
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/263>, abgerufen am 11.05.2024.