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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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pgo_206.001
glücklicher begabter Dichter nach mir gewiß mit Erfolg in Anwendung pgo_206.002
bringen wird.

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Der Reim als ein sinnlicher Vollklang ist nur dann schön, wenn pgo_206.004
dieser Klang mit voller Harmonie ausgeprägt ist; daher ist die Reinheit pgo_206.005
des Reimes eines der wesentlichsten Erfordernisse gereimter Dichtung. pgo_206.006
Jede Verkürzung seiner Schönheit macht ihn eigentlich überflüssig pgo_206.007
oder verwandelt ihn in eine Assonanz. Das Beispiel unserer klassischen pgo_206.008
Dichter ist hierin nicht maaßgebend; wir haben in Platen einen Klassiker pgo_206.009
der Form, welchem die jüngere Generation nachstreben soll; denn der pgo_206.010
Fortschritt der Sprache selbst erleichtert die Erfüllung der Forderungen, pgo_206.011
welche die strenge Technik an den Dichter stellt.

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Die Reinheit des Reimes wird erreicht:

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1) Durch die vollkommene Gleichartigkeit der Vokale und Konsonanten. pgo_206.014
Hiergegen wird besonders bei den Diphthongen gefehlt. Reime, wie pgo_206.015
höhlt und fehlt, dräun und Reihn u. dgl. m., sind fehlerhaft, wenn pgo_206.016
sie sich auch bei Schiller finden. Höchstens kann man den Reim eines pgo_206.017
e und eines leicht betonten ä gestatten. Ebenso müssen die Konsonanten pgo_206.018
sowohl in ihrer Aufeinanderfolge als in ihrem harten oder weichen Charakter pgo_206.019
entsprechend sein. Reich und Zweig, eigen und Leichen sind pgo_206.020
unreine und fehlerhafte Reime. Auch darf man nicht einen langen und pgo_206.021
einen kurzen Vokal aufeinanderreimen z. B. Straßen und lassen, pgo_206.022
Bahn
und heran.

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2) Durch die Gleichartigkeit in Bezug auf den Accent. Man pgo_206.024
darf nur Sylben reimen, auf denen der gleiche Accent ruht z. B. nicht: pgo_206.025
Gebet und lebet, verblich und erblich.

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Man theilt die Reime in Bezug auf die Sylbenzahl in männliche pgo_206.027
(einsilbige) z. B. Reim, Keim, weibliche (zweisylbige) z. B. pgo_206.028
Wasser, Prasser, gleitende (dreisylbige) z. B. gleitende, schreitende. pgo_206.029
Außerdem erwähnt man noch den zweisylbigen schwebenden pgo_206.030
Reim, der, wie der gleitende aus Daktylen, so aus Spondäen besteht z. B. pgo_206.031
ehrlos, wehrlos. Der sogenannte reiche Reim d. h. die vollständige pgo_206.032
Wiederholung desselben Wortes in einer anderen oder gar in derselben pgo_206.033
Bedeutung, ein Reim, der von der französischen Poesie in erste pgo_206.034
Reihe gestellt wird, ist im Deutschen wohl ganz zu verwerfen und verdient pgo_206.035
in unserer Sprache eher ein armer genannt zu werden; denn der

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glücklicher begabter Dichter nach mir gewiß mit Erfolg in Anwendung pgo_206.002
bringen wird.

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Der Reim als ein sinnlicher Vollklang ist nur dann schön, wenn pgo_206.004
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Dichter ist hierin nicht maaßgebend; wir haben in Platen einen Klassiker pgo_206.009
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Fortschritt der Sprache selbst erleichtert die Erfüllung der Forderungen, pgo_206.011
welche die strenge Technik an den Dichter stellt.

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Die Reinheit des Reimes wird erreicht:

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1) Durch die vollkommene Gleichartigkeit der Vokale und Konsonanten. pgo_206.014
Hiergegen wird besonders bei den Diphthongen gefehlt. Reime, wie pgo_206.015
höhlt und fehlt, dräun und Reihn u. dgl. m., sind fehlerhaft, wenn pgo_206.016
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e und eines leicht betonten ä gestatten. Ebenso müssen die Konsonanten pgo_206.018
sowohl in ihrer Aufeinanderfolge als in ihrem harten oder weichen Charakter pgo_206.019
entsprechend sein. Reich und Zweig, eigen und Leichen sind pgo_206.020
unreine und fehlerhafte Reime. Auch darf man nicht einen langen und pgo_206.021
einen kurzen Vokal aufeinanderreimen z. B. Straßen und lassen, pgo_206.022
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und heran.

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2) Durch die Gleichartigkeit in Bezug auf den Accent. Man pgo_206.024
darf nur Sylben reimen, auf denen der gleiche Accent ruht z. B. nicht: pgo_206.025
Gĕbēt und lēbĕt, vĕrblīch und ērblĭch.

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Man theilt die Reime in Bezug auf die Sylbenzahl in männliche pgo_206.027
(einsilbige) z. B. Reim, Keim, weibliche (zweisylbige) z. B. pgo_206.028
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[206/0228] pgo_206.001 glücklicher begabter Dichter nach mir gewiß mit Erfolg in Anwendung pgo_206.002 bringen wird. pgo_206.003 Der Reim als ein sinnlicher Vollklang ist nur dann schön, wenn pgo_206.004 dieser Klang mit voller Harmonie ausgeprägt ist; daher ist die Reinheit pgo_206.005 des Reimes eines der wesentlichsten Erfordernisse gereimter Dichtung. pgo_206.006 Jede Verkürzung seiner Schönheit macht ihn eigentlich überflüssig pgo_206.007 oder verwandelt ihn in eine Assonanz. Das Beispiel unserer klassischen pgo_206.008 Dichter ist hierin nicht maaßgebend; wir haben in Platen einen Klassiker pgo_206.009 der Form, welchem die jüngere Generation nachstreben soll; denn der pgo_206.010 Fortschritt der Sprache selbst erleichtert die Erfüllung der Forderungen, pgo_206.011 welche die strenge Technik an den Dichter stellt. pgo_206.012 Die Reinheit des Reimes wird erreicht: pgo_206.013 1) Durch die vollkommene Gleichartigkeit der Vokale und Konsonanten. pgo_206.014 Hiergegen wird besonders bei den Diphthongen gefehlt. Reime, wie pgo_206.015 höhlt und fehlt, dräun und Reihn u. dgl. m., sind fehlerhaft, wenn pgo_206.016 sie sich auch bei Schiller finden. Höchstens kann man den Reim eines pgo_206.017 e und eines leicht betonten ä gestatten. Ebenso müssen die Konsonanten pgo_206.018 sowohl in ihrer Aufeinanderfolge als in ihrem harten oder weichen Charakter pgo_206.019 entsprechend sein. Reich und Zweig, eigen und Leichen sind pgo_206.020 unreine und fehlerhafte Reime. Auch darf man nicht einen langen und pgo_206.021 einen kurzen Vokal aufeinanderreimen z. B. Straßen und lassen, pgo_206.022 Bahn und heran. pgo_206.023 2) Durch die Gleichartigkeit in Bezug auf den Accent. Man pgo_206.024 darf nur Sylben reimen, auf denen der gleiche Accent ruht z. B. nicht: pgo_206.025 Gĕbēt und lēbĕt, vĕrblīch und ērblĭch. pgo_206.026 Man theilt die Reime in Bezug auf die Sylbenzahl in männliche pgo_206.027 (einsilbige) z. B. Reim, Keim, weibliche (zweisylbige) z. B. pgo_206.028 Wasser, Prasser, gleitende (dreisylbige) z. B. gleitende, schreitende. pgo_206.029 Außerdem erwähnt man noch den zweisylbigen schwebenden pgo_206.030 Reim, der, wie der gleitende aus Daktylen, so aus Spondäen besteht z. B. pgo_206.031 ehrlos, wehrlos. Der sogenannte reiche Reim d. h. die vollständige pgo_206.032 Wiederholung desselben Wortes in einer anderen oder gar in derselben pgo_206.033 Bedeutung, ein Reim, der von der französischen Poesie in erste pgo_206.034 Reihe gestellt wird, ist im Deutschen wohl ganz zu verwerfen und verdient pgo_206.035 in unserer Sprache eher ein armer genannt zu werden; denn der

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/228>, abgerufen am 24.11.2024.