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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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anhängen oder sich den Leib mit bunten Farben tätowiren. Ein phantasiearmer pgo_185.002
Dichter oder Kritiker, dem nur selten die Gunst der Musen ein pgo_185.003
Bildchen schenkt, mag sich besinnen, an welcher Stelle er es wohl am vortheilhaftesten pgo_185.004
anbringt; aber große Dichter, die gewohnt sind in Bildern pgo_185.005
zu denken, wobei der dichterische Gedanke keineswegs an Schärfe pgo_185.006
und Klarheit verliert, können nicht als Zierrath und Schmuck vertheilen, pgo_185.007
was aus dem unerschöpften Born ihres Genius mit innerer Nothwendigkeit pgo_185.008
hervorquillt. Deshalb wird auch der strenge Maaßstab nüchterner pgo_185.009
Korrektheit sich nicht mit Erfolg an eine Ausdrucksweise anlegen lassen, pgo_185.010
dessen eingeborene Bildlichkeit allen Bewegungen und Flügen der dichterischen pgo_185.011
Gestaltungskraft folgen muß! Oder sollte man ein Recht haben, pgo_185.012
es an Shakespeare zu tadeln, wenn in der Sprache der Leidenschaft seine pgo_185.013
Bilder oft in sonst unerlaubten Katachresen zusammenschmelzen, wenn eine pgo_185.014
düst're Rembrandt'sche Beleuchtung den Bildern zwar die plastische Klarheit pgo_185.015
und Bestimmtheit nimmt, aber sie wunderbar in das Stimmungselement pgo_185.016
des Charakters und der Situation versetzt? Sollte man es pgo_185.017
tadeln, wenn er, nach objektiver Wahrheit strebend, albernen Charakteren pgo_185.018
alberne, bombastischen, wie z. B. dem Laertes im Hamlet, bombastische in pgo_185.019
den Mund legt? Man wird für den Geschmack der Gegenwart allerdings pgo_185.020
die Grenzen schärfer ziehen müssen, als sie Shakespeare gezogen; man pgo_185.021
wird hier nicht nur die einzelnen Dichtgattungen, sondern selbst den pgo_185.022
Unterschied des realistischen und idealistischen Styles berücksichtigen müssen; pgo_185.023
aber man wird bei der Beurtheilung jenes großen Genius nicht seine pgo_185.024
einzelnen Bilder nach Art der engherzigen englischen Kritiker, besonders pgo_185.025
eines Home, zerfasern dürfen, ohne gegen höhere Gesichtspunkte ungerecht pgo_185.026
zu werden. Noch weniger darf man freilich vergessen, daß die Bildlichkeit pgo_185.027
des Styles nicht blos dem Genius Shakespeare's, sondern auch pgo_185.028
seiner ganzen Zeit angehörte, daß seine Zeitgenossen Beaumont und pgo_185.029
Fletcher, Massinger u. A. sich derselben bildlichen Ausdrucksweise, wenn pgo_185.030
auch minder großartig und charakteristisch, bedienten, daß ebenso Calderon pgo_185.031
sich in jenen mehr blendenden, als schlagenden Metaphern bewegte, pgo_185.032
welche die ganze spanische Poesie vom Orient geerbt, und die ein geistiger pgo_185.033
Niederschlag der maurischen Eroberung blieben. Und wie weit die orientalische pgo_185.034
Bildlichkeit selbst davon entfernt ist, äußerlicher Zierrath der Dichtung pgo_185.035
zu sein; wie sie im Gegentheil die organische Blüthe der religiösen

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des Styles nicht blos dem Genius Shakespeare's, sondern auch pgo_185.028
seiner ganzen Zeit angehörte, daß seine Zeitgenossen Beaumont und pgo_185.029
Fletcher, Massinger u. A. sich derselben bildlichen Ausdrucksweise, wenn pgo_185.030
auch minder großartig und charakteristisch, bedienten, daß ebenso Calderon pgo_185.031
sich in jenen mehr blendenden, als schlagenden Metaphern bewegte, pgo_185.032
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Niederschlag der maurischen Eroberung blieben. Und wie weit die orientalische pgo_185.034
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/207>, abgerufen am 22.11.2024.