Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_152.001 pgo_152.021 Kein Mensch ist er, dem Elephanten pgo_152.028 Vergleich' ich diesen niemals Uebermannten. pgo_152.029 pgo_152.001 pgo_152.021 Kein Mensch ist er, dem Elephanten pgo_152.028 Vergleich' ich diesen niemals Uebermannten. pgo_152.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0174" n="152"/><lb n="pgo_152.001"/> der selbstständigen Ausmalung des Bildes. Hermann sieht Dorothea <lb n="pgo_152.002"/> einen Weg in's Getreide verfolgen — das ist das unmittelbare Bild, <lb n="pgo_152.003"/> das uns der Dichter vorführt. Jn dem Bilde der Vergleichung dagegen, <lb n="pgo_152.004"/> das sich daran knüpft, haben wir sogar eine ganz verschiedene Scenerie, <lb n="pgo_152.005"/> dunkle Gebüsche, Felswände; es ist, selbst was den eigentlichen <lb n="pgo_152.006"/> Vergleichungspunkt betrifft, in einer erweiternden Weise ausgeführt; <lb n="pgo_152.007"/> kurz, es ist wie ein zweites Bild an das erste geheftet. Das ist das <lb n="pgo_152.008"/> Wesen der echten, epischen Vergleichung. So vergleicht Homer das <lb n="pgo_152.009"/> Blut, das dem Menelaos über die Schenkel fließt, mit dem Purpur, mit <lb n="pgo_152.010"/> welchem das Elfenbein gefärbt wird; aber er begnügt sich nicht damit, <lb n="pgo_152.011"/> den Vergleichungspunkt der Farbe hinzustellen; er giebt ein vollkommenes, <lb n="pgo_152.012"/> mit vielen einzelnen Zügen ausgestattetes Genrebild. Wir sehen Frauen <lb n="pgo_152.013"/> „aus Mäonien oder Karien“ Elfenbein mit Purpur färben „zum Gebiß <lb n="pgo_152.014"/> der Pferde;“ wir sehen dies Elfenbein verwahrt in der Kammer liegen, <lb n="pgo_152.015"/> obgleich viele Reiter es zu tragen wünschen; verwahrt für einen König <lb n="pgo_152.016"/> als Schmuck dem Roß zur Zierde, dem Reiter zum Ruhme. Jn der <lb n="pgo_152.017"/> That vergessen wir hierüber die Wunde des Menelaos; aber liegt nicht <lb n="pgo_152.018"/> in diesem Vergessen gerade ein eigenthümlicher Reiz, jene echt epische <lb n="pgo_152.019"/> Beruhigung, welche durch einen weiten, Vieles zugleich schauenden Weltblick <lb n="pgo_152.020"/> hervorgerufen wird?</p> <p><lb n="pgo_152.021"/> Die Bilder aus dem Thierreiche liegen einer naiven Weltanschauung <lb n="pgo_152.022"/> am nächsten. Sie glaubt die Vorzüge ihrer kämpfenden Helden zu erheben, <lb n="pgo_152.023"/> wenn sie dieselben mit den Vorzügen der Koryphäen der Thierwelt <lb n="pgo_152.024"/> vergleicht. Jn der That repräsentirt jedes Thier <hi rendition="#g">eine</hi> Eigenschaft in <lb n="pgo_152.025"/> einem so hervorragenden Grade, daß die Fabel es wagen kann, das <lb n="pgo_152.026"/> Thier für diese Eigenschaft zu setzen. Firdusi sagt sehr naiv:</p> <lb n="pgo_152.027"/> <lg> <l><hi rendition="#g">Kein Mensch</hi> ist er, dem <hi rendition="#g">Elephanten</hi></l> <lb n="pgo_152.028"/> <l>Vergleich' ich diesen niemals Uebermannten.</l> </lg> <p><lb n="pgo_152.029"/> Homer vergleicht den Achilleus mit einem <hi rendition="#g">Löwen</hi> u. s. f. Jm <lb n="pgo_152.030"/> Uebrigen aber entnimmt er seine Vergleichungen dem ganzen Kulturleben <lb n="pgo_152.031"/> seiner Zeit, ein nachahmenswerthes Muster für die Epiker aller <lb n="pgo_152.032"/> Zeiten, welche in den Vergleichungen noch ein Mittel finden können, das <lb n="pgo_152.033"/> Kulturgemälde, das zu entrollen ihre Aufgabe ist, zu vervollständigen. <lb n="pgo_152.034"/> Da es indeß der Charakter der epischen Vergleichung mit sich bringt, daß <lb n="pgo_152.035"/> sie sowohl die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Object der Handlung </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0174]
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der selbstständigen Ausmalung des Bildes. Hermann sieht Dorothea pgo_152.002
einen Weg in's Getreide verfolgen — das ist das unmittelbare Bild, pgo_152.003
das uns der Dichter vorführt. Jn dem Bilde der Vergleichung dagegen, pgo_152.004
das sich daran knüpft, haben wir sogar eine ganz verschiedene Scenerie, pgo_152.005
dunkle Gebüsche, Felswände; es ist, selbst was den eigentlichen pgo_152.006
Vergleichungspunkt betrifft, in einer erweiternden Weise ausgeführt; pgo_152.007
kurz, es ist wie ein zweites Bild an das erste geheftet. Das ist das pgo_152.008
Wesen der echten, epischen Vergleichung. So vergleicht Homer das pgo_152.009
Blut, das dem Menelaos über die Schenkel fließt, mit dem Purpur, mit pgo_152.010
welchem das Elfenbein gefärbt wird; aber er begnügt sich nicht damit, pgo_152.011
den Vergleichungspunkt der Farbe hinzustellen; er giebt ein vollkommenes, pgo_152.012
mit vielen einzelnen Zügen ausgestattetes Genrebild. Wir sehen Frauen pgo_152.013
„aus Mäonien oder Karien“ Elfenbein mit Purpur färben „zum Gebiß pgo_152.014
der Pferde;“ wir sehen dies Elfenbein verwahrt in der Kammer liegen, pgo_152.015
obgleich viele Reiter es zu tragen wünschen; verwahrt für einen König pgo_152.016
als Schmuck dem Roß zur Zierde, dem Reiter zum Ruhme. Jn der pgo_152.017
That vergessen wir hierüber die Wunde des Menelaos; aber liegt nicht pgo_152.018
in diesem Vergessen gerade ein eigenthümlicher Reiz, jene echt epische pgo_152.019
Beruhigung, welche durch einen weiten, Vieles zugleich schauenden Weltblick pgo_152.020
hervorgerufen wird?
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Die Bilder aus dem Thierreiche liegen einer naiven Weltanschauung pgo_152.022
am nächsten. Sie glaubt die Vorzüge ihrer kämpfenden Helden zu erheben, pgo_152.023
wenn sie dieselben mit den Vorzügen der Koryphäen der Thierwelt pgo_152.024
vergleicht. Jn der That repräsentirt jedes Thier eine Eigenschaft in pgo_152.025
einem so hervorragenden Grade, daß die Fabel es wagen kann, das pgo_152.026
Thier für diese Eigenschaft zu setzen. Firdusi sagt sehr naiv:
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Kein Mensch ist er, dem Elephanten pgo_152.028
Vergleich' ich diesen niemals Uebermannten.
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Homer vergleicht den Achilleus mit einem Löwen u. s. f. Jm pgo_152.030
Uebrigen aber entnimmt er seine Vergleichungen dem ganzen Kulturleben pgo_152.031
seiner Zeit, ein nachahmenswerthes Muster für die Epiker aller pgo_152.032
Zeiten, welche in den Vergleichungen noch ein Mittel finden können, das pgo_152.033
Kulturgemälde, das zu entrollen ihre Aufgabe ist, zu vervollständigen. pgo_152.034
Da es indeß der Charakter der epischen Vergleichung mit sich bringt, daß pgo_152.035
sie sowohl die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Object der Handlung
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