Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

pgo_130.001
Wir denken hierbei vorzugsweise an Freiligrath, der diesen pgo_130.002
Fremdlingen noch dadurch eine besondere Auszeichnung zu Theil werden pgo_130.003
läßt, daß er sie zu Reimen verwendet. Jm Gegensatz gegen die abstracte pgo_130.004
Verschwommenheit der philosophischen Fremdwörter geben diese eine pgo_130.005
schärfere Bestimmtheit und haben überdies die Entschuldigung für sich, pgo_130.006
daß die deutsche Sprache keine Worte hat, um sie zu ersetzen. Wenn pgo_130.007
Freiligrath sagt:

pgo_130.008
Und sehet: noch ein Schemen, pgo_130.009
Ein Kämpfer auf dem Nil, pgo_130.010
Ein Führer von Triremen, pgo_130.011
Der unter Cäsar fiel!

pgo_130.012
so bezeichnet dieser Ausdruck in ganz bestimmter Weise und sonst unerreichbarer pgo_130.013
Kürze das römische Ruderschiff; auf der anderen Seite pgo_130.014
bedarf er für das ungelehrte Publikum eines Commentars. Solche Ausdrücke pgo_130.015
lassen sich nur gebrauchen, wo sie sich selbst erklären.

pgo_130.016
Es gehört große Kunst dazu, Worte, die eine Specialität der pgo_130.017
Marine, des Krieges, der Volks- und Erdkunde ausdrücken, so anzuwenden, pgo_130.018
daß der Ausdruck nicht seinen dichterischen Adel einbüßt. Freiligrath pgo_130.019
besitzt meistens diese Kunst. Doch treibt er ebenso oft einen überflüssigen pgo_130.020
Luxus mit Fremdwörtern, wo sie Nichts zur Charakteristik beitragen, nicht pgo_130.021
den Zauber des Kolorits erhöhen, z. B.:

pgo_130.022
nur noch durch diese Schleusse, pgo_130.023
Und deinen Kupferbauch umplätschert das Bassin! pgo_130.024
Wie sich auf dem Verdeck die rüst'gen Lootsen drängen! pgo_130.025
Zur Arbeit singen sie; -- einfach, mit rauhen Klängen pgo_130.026
Schallt über's Wasser der Refrain.

pgo_130.027
Die Länder- und Völkernamen, die Freiligrath in seine Verse gewebt, pgo_130.028
können ebensowenig für bloße Fremdwörter gelten, wie die mythologischen pgo_130.029
Namen, die Goethe's und Schiller's Dichtungen durchranken.

pgo_130.030
Wie Freiligrath ein Muster für den entschuldbaren Gebrauch des pgo_130.031
Fremdworts in der Dichtkunst: so ist es Scherenberg für den verwerflichen. pgo_130.032
Seine Hauptdichtung: Waterloo beginnt mit den Versen:

pgo_130.033
"Jacta est alea -- entweder -- oder!" pgo_130.034
Spricht der gefang'ne Cäsar der Franzosen pgo_130.035
Auf Elba --

pgo_130.001
Wir denken hierbei vorzugsweise an Freiligrath, der diesen pgo_130.002
Fremdlingen noch dadurch eine besondere Auszeichnung zu Theil werden pgo_130.003
läßt, daß er sie zu Reimen verwendet. Jm Gegensatz gegen die abstracte pgo_130.004
Verschwommenheit der philosophischen Fremdwörter geben diese eine pgo_130.005
schärfere Bestimmtheit und haben überdies die Entschuldigung für sich, pgo_130.006
daß die deutsche Sprache keine Worte hat, um sie zu ersetzen. Wenn pgo_130.007
Freiligrath sagt:

pgo_130.008
Und sehet: noch ein Schemen, pgo_130.009
Ein Kämpfer auf dem Nil, pgo_130.010
Ein Führer von Triremen, pgo_130.011
Der unter Cäsar fiel!

pgo_130.012
so bezeichnet dieser Ausdruck in ganz bestimmter Weise und sonst unerreichbarer pgo_130.013
Kürze das römische Ruderschiff; auf der anderen Seite pgo_130.014
bedarf er für das ungelehrte Publikum eines Commentars. Solche Ausdrücke pgo_130.015
lassen sich nur gebrauchen, wo sie sich selbst erklären.

pgo_130.016
Es gehört große Kunst dazu, Worte, die eine Specialität der pgo_130.017
Marine, des Krieges, der Volks- und Erdkunde ausdrücken, so anzuwenden, pgo_130.018
daß der Ausdruck nicht seinen dichterischen Adel einbüßt. Freiligrath pgo_130.019
besitzt meistens diese Kunst. Doch treibt er ebenso oft einen überflüssigen pgo_130.020
Luxus mit Fremdwörtern, wo sie Nichts zur Charakteristik beitragen, nicht pgo_130.021
den Zauber des Kolorits erhöhen, z. B.:

pgo_130.022
nur noch durch diese Schleusse, pgo_130.023
Und deinen Kupferbauch umplätschert das Bassin! pgo_130.024
Wie sich auf dem Verdeck die rüst'gen Lootsen drängen! pgo_130.025
Zur Arbeit singen sie; — einfach, mit rauhen Klängen pgo_130.026
Schallt über's Wasser der Refrain.

pgo_130.027
Die Länder- und Völkernamen, die Freiligrath in seine Verse gewebt, pgo_130.028
können ebensowenig für bloße Fremdwörter gelten, wie die mythologischen pgo_130.029
Namen, die Goethe's und Schiller's Dichtungen durchranken.

pgo_130.030
Wie Freiligrath ein Muster für den entschuldbaren Gebrauch des pgo_130.031
Fremdworts in der Dichtkunst: so ist es Scherenberg für den verwerflichen. pgo_130.032
Seine Hauptdichtung: Waterloo beginnt mit den Versen:

pgo_130.033
Jacta est alea — entweder — oder!“ pgo_130.034
Spricht der gefang'ne Cäsar der Franzosen pgo_130.035
Auf Elba —
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0152" n="130"/><lb n="pgo_130.001"/>
Wir denken hierbei vorzugsweise an Freiligrath, der diesen <lb n="pgo_130.002"/>
Fremdlingen noch dadurch eine besondere Auszeichnung zu Theil werden <lb n="pgo_130.003"/>
läßt, daß er sie zu Reimen verwendet. Jm Gegensatz gegen die abstracte <lb n="pgo_130.004"/>
Verschwommenheit der philosophischen Fremdwörter geben diese eine <lb n="pgo_130.005"/>
schärfere Bestimmtheit und haben überdies die Entschuldigung für sich, <lb n="pgo_130.006"/>
daß die deutsche Sprache keine Worte hat, um sie zu ersetzen. Wenn <lb n="pgo_130.007"/>
Freiligrath sagt:</p>
              <lb n="pgo_130.008"/>
              <lg>
                <l>Und sehet: noch ein Schemen,</l>
                <lb n="pgo_130.009"/>
                <l>Ein Kämpfer auf dem Nil,</l>
                <lb n="pgo_130.010"/>
                <l>Ein Führer von <hi rendition="#g">Triremen,</hi></l>
                <lb n="pgo_130.011"/>
                <l>Der unter Cäsar fiel!</l>
              </lg>
              <p><lb n="pgo_130.012"/>
so bezeichnet dieser Ausdruck in ganz bestimmter Weise und sonst unerreichbarer <lb n="pgo_130.013"/>
Kürze das <hi rendition="#g">römische Ruderschiff;</hi> auf der anderen Seite <lb n="pgo_130.014"/>
bedarf er für das ungelehrte Publikum eines Commentars. Solche Ausdrücke <lb n="pgo_130.015"/>
lassen sich nur gebrauchen, wo sie sich selbst erklären.</p>
              <p><lb n="pgo_130.016"/>
Es gehört große Kunst dazu, Worte, die eine <hi rendition="#g">Specialität</hi> der <lb n="pgo_130.017"/>
Marine, des Krieges, der Volks- und Erdkunde ausdrücken, so anzuwenden, <lb n="pgo_130.018"/>
daß der Ausdruck nicht seinen dichterischen Adel einbüßt. Freiligrath <lb n="pgo_130.019"/>
besitzt meistens diese Kunst. Doch treibt er ebenso oft einen überflüssigen <lb n="pgo_130.020"/>
Luxus mit Fremdwörtern, wo sie Nichts zur Charakteristik beitragen, nicht <lb n="pgo_130.021"/>
den Zauber des Kolorits erhöhen, z. B.:</p>
              <lb n="pgo_130.022"/>
              <lg>
                <l>nur noch durch diese Schleusse,</l>
                <lb n="pgo_130.023"/>
                <l>Und deinen Kupferbauch umplätschert das <hi rendition="#g">Bassin!</hi></l>
                <lb n="pgo_130.024"/>
                <l>Wie sich auf dem Verdeck die rüst'gen Lootsen drängen!</l>
                <lb n="pgo_130.025"/>
                <l>Zur Arbeit singen sie; &#x2014; einfach, mit rauhen Klängen</l>
                <lb n="pgo_130.026"/>
                <l>Schallt über's Wasser der <hi rendition="#g">Refrain</hi>.</l>
              </lg>
              <p><lb n="pgo_130.027"/>
Die Länder- und Völkernamen, die Freiligrath in seine Verse gewebt, <lb n="pgo_130.028"/>
können ebensowenig für bloße Fremdwörter gelten, wie die mythologischen <lb n="pgo_130.029"/>
Namen, die Goethe's und Schiller's Dichtungen durchranken.</p>
              <p><lb n="pgo_130.030"/>
Wie Freiligrath ein Muster für den entschuldbaren Gebrauch des <lb n="pgo_130.031"/>
Fremdworts in der Dichtkunst: so ist es <hi rendition="#g">Scherenberg</hi> für den verwerflichen. <lb n="pgo_130.032"/>
Seine Hauptdichtung: <hi rendition="#g">Waterloo</hi> beginnt mit den Versen:</p>
              <lb n="pgo_130.033"/>
              <lg>
                <l>&#x201E;<hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Jacta est alea</hi></hi> &#x2014; entweder &#x2014; oder!&#x201C;</l>
                <lb n="pgo_130.034"/>
                <l>Spricht der gefang'ne Cäsar der Franzosen</l>
                <lb n="pgo_130.035"/>
                <l>Auf Elba &#x2014;</l>
              </lg>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0152] pgo_130.001 Wir denken hierbei vorzugsweise an Freiligrath, der diesen pgo_130.002 Fremdlingen noch dadurch eine besondere Auszeichnung zu Theil werden pgo_130.003 läßt, daß er sie zu Reimen verwendet. Jm Gegensatz gegen die abstracte pgo_130.004 Verschwommenheit der philosophischen Fremdwörter geben diese eine pgo_130.005 schärfere Bestimmtheit und haben überdies die Entschuldigung für sich, pgo_130.006 daß die deutsche Sprache keine Worte hat, um sie zu ersetzen. Wenn pgo_130.007 Freiligrath sagt: pgo_130.008 Und sehet: noch ein Schemen, pgo_130.009 Ein Kämpfer auf dem Nil, pgo_130.010 Ein Führer von Triremen, pgo_130.011 Der unter Cäsar fiel! pgo_130.012 so bezeichnet dieser Ausdruck in ganz bestimmter Weise und sonst unerreichbarer pgo_130.013 Kürze das römische Ruderschiff; auf der anderen Seite pgo_130.014 bedarf er für das ungelehrte Publikum eines Commentars. Solche Ausdrücke pgo_130.015 lassen sich nur gebrauchen, wo sie sich selbst erklären. pgo_130.016 Es gehört große Kunst dazu, Worte, die eine Specialität der pgo_130.017 Marine, des Krieges, der Volks- und Erdkunde ausdrücken, so anzuwenden, pgo_130.018 daß der Ausdruck nicht seinen dichterischen Adel einbüßt. Freiligrath pgo_130.019 besitzt meistens diese Kunst. Doch treibt er ebenso oft einen überflüssigen pgo_130.020 Luxus mit Fremdwörtern, wo sie Nichts zur Charakteristik beitragen, nicht pgo_130.021 den Zauber des Kolorits erhöhen, z. B.: pgo_130.022 nur noch durch diese Schleusse, pgo_130.023 Und deinen Kupferbauch umplätschert das Bassin! pgo_130.024 Wie sich auf dem Verdeck die rüst'gen Lootsen drängen! pgo_130.025 Zur Arbeit singen sie; — einfach, mit rauhen Klängen pgo_130.026 Schallt über's Wasser der Refrain. pgo_130.027 Die Länder- und Völkernamen, die Freiligrath in seine Verse gewebt, pgo_130.028 können ebensowenig für bloße Fremdwörter gelten, wie die mythologischen pgo_130.029 Namen, die Goethe's und Schiller's Dichtungen durchranken. pgo_130.030 Wie Freiligrath ein Muster für den entschuldbaren Gebrauch des pgo_130.031 Fremdworts in der Dichtkunst: so ist es Scherenberg für den verwerflichen. pgo_130.032 Seine Hauptdichtung: Waterloo beginnt mit den Versen: pgo_130.033 „Jacta est alea — entweder — oder!“ pgo_130.034 Spricht der gefang'ne Cäsar der Franzosen pgo_130.035 Auf Elba —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/152
Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/152>, abgerufen am 28.04.2024.