Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottschalck, Friedrich: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen. Halle, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Spindel einen lichten Faden in die Nacht hinaus, nickte mit dem Haupte gegen Goldnern, und sang:

Der weiße Fink', die goldne Ros',
Die Königskron' im Meeresschooß.

Sie hätte wohl noch weiter gesungen, aber ihr Faden riß, und sie erlosch wie ein Licht. Nun war es ganz Nacht; die Kinder faßte ein Grausen, sie sprangen mit kläglichem Geschrei das eine dahin, das andere dorthin, über Felsen und Klüfte, und verlor eins das andere.

Wohl viele Tage und Nächte irrte Goldner in dem dicken Walde umher, fand auch weder einen seiner Brüder, noch die Hütte seines Vaters, noch sonst die Spur eines Menschen; denn es war der Wald gar dicht verwachsen, ein Berg über den andern gestellt, und eine Kluft unter die andere. Die Brombeeren, welche überall herum rankten, stillten seinen Hunger und löschten seinen

Spindel einen lichten Faden in die Nacht hinaus, nickte mit dem Haupte gegen Goldnern, und sang:

Der weiße Fink’, die goldne Ros’,
Die Königskron’ im Meeresschooß.

Sie hätte wohl noch weiter gesungen, aber ihr Faden riß, und sie erlosch wie ein Licht. Nun war es ganz Nacht; die Kinder faßte ein Grausen, sie sprangen mit kläglichem Geschrei das eine dahin, das andere dorthin, über Felsen und Klüfte, und verlor eins das andere.

Wohl viele Tage und Nächte irrte Goldner in dem dicken Walde umher, fand auch weder einen seiner Brüder, noch die Hütte seines Vaters, noch sonst die Spur eines Menschen; denn es war der Wald gar dicht verwachsen, ein Berg über den andern gestellt, und eine Kluft unter die andere. Die Brombeeren, welche überall herum rankten, stillten seinen Hunger und löschten seinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0327" n="288"/>
Spindel einen lichten Faden in die Nacht hinaus, nickte mit dem Haupte gegen Goldnern, und sang:</p>
        <lg type="poem">
          <l>Der weiße Fink&#x2019;, die goldne Ros&#x2019;,</l><lb/>
          <l>Die Königskron&#x2019; im Meeresschooß.</l><lb/>
        </lg>
        <p>Sie hätte wohl noch weiter gesungen, aber ihr Faden riß, und sie erlosch wie ein Licht. Nun war es ganz Nacht; die Kinder faßte ein Grausen, sie sprangen mit kläglichem Geschrei das eine dahin, das andere dorthin, über Felsen und Klüfte, und verlor eins das andere.</p>
        <p>Wohl viele Tage und Nächte irrte Goldner in dem dicken Walde umher, fand auch weder einen seiner Brüder, noch die Hütte seines Vaters, noch sonst die Spur eines Menschen; denn es war der Wald gar dicht verwachsen, ein Berg über den andern gestellt, und eine Kluft unter die andere. Die Brombeeren, welche überall herum rankten, stillten seinen Hunger und löschten seinen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0327] Spindel einen lichten Faden in die Nacht hinaus, nickte mit dem Haupte gegen Goldnern, und sang: Der weiße Fink’, die goldne Ros’, Die Königskron’ im Meeresschooß. Sie hätte wohl noch weiter gesungen, aber ihr Faden riß, und sie erlosch wie ein Licht. Nun war es ganz Nacht; die Kinder faßte ein Grausen, sie sprangen mit kläglichem Geschrei das eine dahin, das andere dorthin, über Felsen und Klüfte, und verlor eins das andere. Wohl viele Tage und Nächte irrte Goldner in dem dicken Walde umher, fand auch weder einen seiner Brüder, noch die Hütte seines Vaters, noch sonst die Spur eines Menschen; denn es war der Wald gar dicht verwachsen, ein Berg über den andern gestellt, und eine Kluft unter die andere. Die Brombeeren, welche überall herum rankten, stillten seinen Hunger und löschten seinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Überschriebene „e“ über den Vokalen „a“, „o“ und „u“ werden als moderne Umlaute transkribiert.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814/327
Zitationshilfe: Gottschalck, Friedrich: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen. Halle, 1814, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814/327>, abgerufen am 22.11.2024.