Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

"Da schrie mitten im Haufen Einer entsetzlich auf,
es war ihm, als sei er in einen glühenden Dorn ge¬
treten, als nagle man mit glühendem Nagel den Fuß
an den Boden, als ströme Feuer durch das Mark sei¬
ner Gebeine. Der Haufe fuhr auseinander, und alle
Augen sahen nach dem Fuße, gegen den die Hand des
Schreienden fuhr. Auf dem Fuße aber saß schwarz
und groß die Spinne und glotzte giftig und schadenfroh
in die Runde. Da starrte Allen zuerst das Blut in
den Adern, der Athem in der Brust, der Blick im Auge,
und ruhig und schadenfroh glotzte die Spinne umher,
und der Fuß ward schwarz und im Leibe wars, als
kämpfe zischend und wüthend Feuer mit Wasser; die
Angst sprengte die Fesseln des Schreckens, der Haufe
stob auseinander. Aber in wunderbarer Schnelle hatte
die Spinne ihren ersten Sitz verlassen, und kroch die¬
sem über den Fuß und jenem an die Ferse, und Glut
fuhr durch ihren Leib und ihr gräßlich Geschrei jagte
die Fliehenden noch heftiger. In Windeseile, in To¬
desschrecken, wie das gespenstige Wild vor der wilden
Jagd, stoben sie ihren Hütten zu, und Jeder meinte
hinter sich die Spinne, verrammelte die Thüre, und
hörte doch nicht auf zu beben in unsäglicher Angst.

"Und einen Tag war die Spinne verschwunden,
kein neues Todesgeschrei hörte man, die Leute mußten
die verrammelten Häuser verlassen, mußten Speise su¬
chen fürs Vieh und für sich, sie thaten es mit Todes¬
angst. Denn wo war jetzt die Spinne, und konnte
sie nicht hier sein und unversehens auf den Fuß sich
setzen? Und wer am vorsichtigsten niedertrat und mit
den Augen am schärfsten spähte, der sah die Spinne
plötzlich sitzend auf Hand oder Fuß, sie lief ihm übers
Gesicht, saß schwarz und groß ihm auf der Nase, und

„Da ſchrie mitten im Haufen Einer entſetzlich auf,
es war ihm, als ſei er in einen glühenden Dorn ge¬
treten, als nagle man mit glühendem Nagel den Fuß
an den Boden, als ſtröme Feuer durch das Mark ſei¬
ner Gebeine. Der Haufe fuhr auseinander, und alle
Augen ſahen nach dem Fuße, gegen den die Hand des
Schreienden fuhr. Auf dem Fuße aber ſaß ſchwarz
und groß die Spinne und glotzte giftig und ſchadenfroh
in die Runde. Da ſtarrte Allen zuerſt das Blut in
den Adern, der Athem in der Bruſt, der Blick im Auge,
und ruhig und ſchadenfroh glotzte die Spinne umher,
und der Fuß ward ſchwarz und im Leibe wars, als
kämpfe ziſchend und wüthend Feuer mit Waſſer; die
Angſt ſprengte die Feſſeln des Schreckens, der Haufe
ſtob auseinander. Aber in wunderbarer Schnelle hatte
die Spinne ihren erſten Sitz verlaſſen, und kroch die¬
ſem über den Fuß und jenem an die Ferſe, und Glut
fuhr durch ihren Leib und ihr gräßlich Geſchrei jagte
die Fliehenden noch heftiger. In Windeseile, in To¬
desſchrecken, wie das geſpenſtige Wild vor der wilden
Jagd, ſtoben ſie ihren Hütten zu, und Jeder meinte
hinter ſich die Spinne, verrammelte die Thüre, und
hörte doch nicht auf zu beben in unſäglicher Angſt.

„Und einen Tag war die Spinne verſchwunden,
kein neues Todesgeſchrei hörte man, die Leute mußten
die verrammelten Häuſer verlaſſen, mußten Speiſe ſu¬
chen fürs Vieh und für ſich, ſie thaten es mit Todes¬
angſt. Denn wo war jetzt die Spinne, und konnte
ſie nicht hier ſein und unverſehens auf den Fuß ſich
ſetzen? Und wer am vorſichtigſten niedertrat und mit
den Augen am ſchärfſten ſpähte, der ſah die Spinne
plötzlich ſitzend auf Hand oder Fuß, ſie lief ihm übers
Geſicht, ſaß ſchwarz und groß ihm auf der Naſe, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0086" n="76"/>
        <p>&#x201E;Da &#x017F;chrie mitten im Haufen Einer ent&#x017F;etzlich auf,<lb/>
es war ihm, als &#x017F;ei er in einen glühenden Dorn ge¬<lb/>
treten, als nagle man mit glühendem Nagel den Fuß<lb/>
an den Boden, als &#x017F;tröme Feuer durch das Mark &#x017F;ei¬<lb/>
ner Gebeine. Der Haufe fuhr auseinander, und alle<lb/>
Augen &#x017F;ahen nach dem Fuße, gegen den die Hand des<lb/>
Schreienden fuhr. Auf dem Fuße aber &#x017F;&#x017F;chwarz<lb/>
und groß die Spinne und glotzte giftig und &#x017F;chadenfroh<lb/>
in die Runde. Da &#x017F;tarrte Allen zuer&#x017F;t das Blut in<lb/>
den Adern, der Athem in der Bru&#x017F;t, der Blick im Auge,<lb/>
und ruhig und &#x017F;chadenfroh glotzte die Spinne umher,<lb/>
und der Fuß ward &#x017F;chwarz und im Leibe wars, als<lb/>
kämpfe zi&#x017F;chend und wüthend Feuer mit Wa&#x017F;&#x017F;er; die<lb/>
Ang&#x017F;t &#x017F;prengte die Fe&#x017F;&#x017F;eln des Schreckens, der Haufe<lb/>
&#x017F;tob auseinander. Aber in wunderbarer Schnelle hatte<lb/>
die Spinne ihren er&#x017F;ten Sitz verla&#x017F;&#x017F;en, und kroch die¬<lb/>
&#x017F;em über den Fuß und jenem an die Fer&#x017F;e, und Glut<lb/>
fuhr durch ihren Leib und ihr gräßlich Ge&#x017F;chrei jagte<lb/>
die Fliehenden noch heftiger. In Windeseile, in To¬<lb/>
des&#x017F;chrecken, wie das ge&#x017F;pen&#x017F;tige Wild vor der wilden<lb/>
Jagd, &#x017F;toben &#x017F;ie ihren Hütten zu, und Jeder meinte<lb/>
hinter &#x017F;ich die Spinne, verrammelte die Thüre, und<lb/>
hörte doch nicht auf zu beben in un&#x017F;äglicher Ang&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und einen Tag war die Spinne ver&#x017F;chwunden,<lb/>
kein neues Todesge&#x017F;chrei hörte man, die Leute mußten<lb/>
die verrammelten Häu&#x017F;er verla&#x017F;&#x017F;en, mußten Spei&#x017F;e &#x017F;<lb/>
chen fürs Vieh und für &#x017F;ich, &#x017F;ie thaten es mit Todes¬<lb/>
ang&#x017F;t. Denn wo war jetzt die Spinne, und konnte<lb/>
&#x017F;ie nicht hier &#x017F;ein und unver&#x017F;ehens auf den Fuß &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;etzen? Und wer am vor&#x017F;ichtig&#x017F;ten niedertrat und mit<lb/>
den Augen am &#x017F;chärf&#x017F;ten &#x017F;pähte, der &#x017F;ah die Spinne<lb/>
plötzlich &#x017F;itzend auf Hand oder Fuß, &#x017F;ie lief ihm übers<lb/>
Ge&#x017F;icht, &#x017F;&#x017F;chwarz und groß ihm auf der Na&#x017F;e, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0086] „Da ſchrie mitten im Haufen Einer entſetzlich auf, es war ihm, als ſei er in einen glühenden Dorn ge¬ treten, als nagle man mit glühendem Nagel den Fuß an den Boden, als ſtröme Feuer durch das Mark ſei¬ ner Gebeine. Der Haufe fuhr auseinander, und alle Augen ſahen nach dem Fuße, gegen den die Hand des Schreienden fuhr. Auf dem Fuße aber ſaß ſchwarz und groß die Spinne und glotzte giftig und ſchadenfroh in die Runde. Da ſtarrte Allen zuerſt das Blut in den Adern, der Athem in der Bruſt, der Blick im Auge, und ruhig und ſchadenfroh glotzte die Spinne umher, und der Fuß ward ſchwarz und im Leibe wars, als kämpfe ziſchend und wüthend Feuer mit Waſſer; die Angſt ſprengte die Feſſeln des Schreckens, der Haufe ſtob auseinander. Aber in wunderbarer Schnelle hatte die Spinne ihren erſten Sitz verlaſſen, und kroch die¬ ſem über den Fuß und jenem an die Ferſe, und Glut fuhr durch ihren Leib und ihr gräßlich Geſchrei jagte die Fliehenden noch heftiger. In Windeseile, in To¬ desſchrecken, wie das geſpenſtige Wild vor der wilden Jagd, ſtoben ſie ihren Hütten zu, und Jeder meinte hinter ſich die Spinne, verrammelte die Thüre, und hörte doch nicht auf zu beben in unſäglicher Angſt. „Und einen Tag war die Spinne verſchwunden, kein neues Todesgeſchrei hörte man, die Leute mußten die verrammelten Häuſer verlaſſen, mußten Speiſe ſu¬ chen fürs Vieh und für ſich, ſie thaten es mit Todes¬ angſt. Denn wo war jetzt die Spinne, und konnte ſie nicht hier ſein und unverſehens auf den Fuß ſich ſetzen? Und wer am vorſichtigſten niedertrat und mit den Augen am ſchärfſten ſpähte, der ſah die Spinne plötzlich ſitzend auf Hand oder Fuß, ſie lief ihm übers Geſicht, ſaß ſchwarz und groß ihm auf der Naſe, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/86
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/86>, abgerufen am 22.11.2024.