Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.Herzen wußten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend "Der grauende Morgen fand lauter bleiche Gesich¬ "Es war ein schöner Erndtetag, aber keine Hand Herzen wußten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend „Der grauende Morgen fand lauter bleiche Geſich¬ „Es war ein ſchöner Erndtetag, aber keine Hand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0085" n="75"/> Herzen wußten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend<lb/> über ſie komme, ſo ſei es mehr als wohlverdient. Als<lb/> das Gewitter vorüber war, lief die Kunde von Haus<lb/> zu Haus, wie der Pfarrer das Kindlein zurückgebracht<lb/> und getauft, aber kein Hans, keine Chriſtine geſehen<lb/> worden.</p><lb/> <p>„Der grauende Morgen fand lauter bleiche Geſich¬<lb/> ter, und die ſchöne Sonne färbte ſie nicht, denn Alle<lb/> wußten wohl, daß nun erſt das Schreckliche kommen<lb/> werde. Da hörte man, daß mit ſchwarzen Beulen der<lb/> Pfarrer geſtorben, man fand Hans mit ſchrecklichem<lb/> Geſichte, und von der gräßlichen Spinne, in die Chri¬<lb/> ſtine verwandelt worden, hörte man ſeltſam verwirrte<lb/> Worte.</p><lb/> <p>„Es war ein ſchöner Erndtetag, aber keine Hand<lb/> rührte ſich zur Arbeit; die Leute liefen zuſammen, wie<lb/> man es pflegt am Tage nach dem Tage, an welchem<lb/> ein großes Unglück begegnet iſt. Sie fühlten erſt jetzt<lb/> in ihren bebenden Seelen ſo recht was es heiße, von<lb/> irdiſcher Noth und Plage mit einer unſterblichen Seele<lb/> ſich loskaufen zu wollen; fühlten, daß ein Gott im<lb/> Himmel ſei, der alles Unrecht, das armen Kindern,<lb/> die ſich nicht wehren können, angethan wird, fürchterlich<lb/> räche. So ſtunden ſie bebend zuſammen, und jammerten,<lb/> und wer bei den Andern war, der durfte nicht mehr<lb/> heim, und doch war Zank und Streit unter ihnen,<lb/> und Einer gab dem Andern Schuld, und Jeder wollte<lb/> abgemahnt und gewarnt haben, und Jeder hatte nichts<lb/> darwieder, daß Strafe die Schuldigen treffe, ſich und<lb/> ſein Haus wollte aber Jeder ohne Strafe. Und wenn<lb/> ſie in dieſem ſchrecklichen Harren und Streiten ein neu<lb/> unſchuldig Opfer gewußt hätten, es wäre Keiner gewe¬<lb/> ſen, der nicht an demſelben gefrevelt, in der Hoffnung,<lb/> ſich ſelbſt zu retten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [75/0085]
Herzen wußten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend
über ſie komme, ſo ſei es mehr als wohlverdient. Als
das Gewitter vorüber war, lief die Kunde von Haus
zu Haus, wie der Pfarrer das Kindlein zurückgebracht
und getauft, aber kein Hans, keine Chriſtine geſehen
worden.
„Der grauende Morgen fand lauter bleiche Geſich¬
ter, und die ſchöne Sonne färbte ſie nicht, denn Alle
wußten wohl, daß nun erſt das Schreckliche kommen
werde. Da hörte man, daß mit ſchwarzen Beulen der
Pfarrer geſtorben, man fand Hans mit ſchrecklichem
Geſichte, und von der gräßlichen Spinne, in die Chri¬
ſtine verwandelt worden, hörte man ſeltſam verwirrte
Worte.
„Es war ein ſchöner Erndtetag, aber keine Hand
rührte ſich zur Arbeit; die Leute liefen zuſammen, wie
man es pflegt am Tage nach dem Tage, an welchem
ein großes Unglück begegnet iſt. Sie fühlten erſt jetzt
in ihren bebenden Seelen ſo recht was es heiße, von
irdiſcher Noth und Plage mit einer unſterblichen Seele
ſich loskaufen zu wollen; fühlten, daß ein Gott im
Himmel ſei, der alles Unrecht, das armen Kindern,
die ſich nicht wehren können, angethan wird, fürchterlich
räche. So ſtunden ſie bebend zuſammen, und jammerten,
und wer bei den Andern war, der durfte nicht mehr
heim, und doch war Zank und Streit unter ihnen,
und Einer gab dem Andern Schuld, und Jeder wollte
abgemahnt und gewarnt haben, und Jeder hatte nichts
darwieder, daß Strafe die Schuldigen treffe, ſich und
ſein Haus wollte aber Jeder ohne Strafe. Und wenn
ſie in dieſem ſchrecklichen Harren und Streiten ein neu
unſchuldig Opfer gewußt hätten, es wäre Keiner gewe¬
ſen, der nicht an demſelben gefrevelt, in der Hoffnung,
ſich ſelbſt zu retten.
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