Herzen wußten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend über sie komme, so sei es mehr als wohlverdient. Als das Gewitter vorüber war, lief die Kunde von Haus zu Haus, wie der Pfarrer das Kindlein zurückgebracht und getauft, aber kein Hans, keine Christine gesehen worden.
"Der grauende Morgen fand lauter bleiche Gesich¬ ter, und die schöne Sonne färbte sie nicht, denn Alle wußten wohl, daß nun erst das Schreckliche kommen werde. Da hörte man, daß mit schwarzen Beulen der Pfarrer gestorben, man fand Hans mit schrecklichem Gesichte, und von der gräßlichen Spinne, in die Chri¬ stine verwandelt worden, hörte man seltsam verwirrte Worte.
"Es war ein schöner Erndtetag, aber keine Hand rührte sich zur Arbeit; die Leute liefen zusammen, wie man es pflegt am Tage nach dem Tage, an welchem ein großes Unglück begegnet ist. Sie fühlten erst jetzt in ihren bebenden Seelen so recht was es heiße, von irdischer Noth und Plage mit einer unsterblichen Seele sich loskaufen zu wollen; fühlten, daß ein Gott im Himmel sei, der alles Unrecht, das armen Kindern, die sich nicht wehren können, angethan wird, fürchterlich räche. So stunden sie bebend zusammen, und jammerten, und wer bei den Andern war, der durfte nicht mehr heim, und doch war Zank und Streit unter ihnen, und Einer gab dem Andern Schuld, und Jeder wollte abgemahnt und gewarnt haben, und Jeder hatte nichts darwieder, daß Strafe die Schuldigen treffe, sich und sein Haus wollte aber Jeder ohne Strafe. Und wenn sie in diesem schrecklichen Harren und Streiten ein neu unschuldig Opfer gewußt hätten, es wäre Keiner gewe¬ sen, der nicht an demselben gefrevelt, in der Hoffnung, sich selbst zu retten.
Herzen wußten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend über ſie komme, ſo ſei es mehr als wohlverdient. Als das Gewitter vorüber war, lief die Kunde von Haus zu Haus, wie der Pfarrer das Kindlein zurückgebracht und getauft, aber kein Hans, keine Chriſtine geſehen worden.
„Der grauende Morgen fand lauter bleiche Geſich¬ ter, und die ſchöne Sonne färbte ſie nicht, denn Alle wußten wohl, daß nun erſt das Schreckliche kommen werde. Da hörte man, daß mit ſchwarzen Beulen der Pfarrer geſtorben, man fand Hans mit ſchrecklichem Geſichte, und von der gräßlichen Spinne, in die Chri¬ ſtine verwandelt worden, hörte man ſeltſam verwirrte Worte.
„Es war ein ſchöner Erndtetag, aber keine Hand rührte ſich zur Arbeit; die Leute liefen zuſammen, wie man es pflegt am Tage nach dem Tage, an welchem ein großes Unglück begegnet iſt. Sie fühlten erſt jetzt in ihren bebenden Seelen ſo recht was es heiße, von irdiſcher Noth und Plage mit einer unſterblichen Seele ſich loskaufen zu wollen; fühlten, daß ein Gott im Himmel ſei, der alles Unrecht, das armen Kindern, die ſich nicht wehren können, angethan wird, fürchterlich räche. So ſtunden ſie bebend zuſammen, und jammerten, und wer bei den Andern war, der durfte nicht mehr heim, und doch war Zank und Streit unter ihnen, und Einer gab dem Andern Schuld, und Jeder wollte abgemahnt und gewarnt haben, und Jeder hatte nichts darwieder, daß Strafe die Schuldigen treffe, ſich und ſein Haus wollte aber Jeder ohne Strafe. Und wenn ſie in dieſem ſchrecklichen Harren und Streiten ein neu unſchuldig Opfer gewußt hätten, es wäre Keiner gewe¬ ſen, der nicht an demſelben gefrevelt, in der Hoffnung, ſich ſelbſt zu retten.
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Herzen wußten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend
über ſie komme, ſo ſei es mehr als wohlverdient. Als
das Gewitter vorüber war, lief die Kunde von Haus
zu Haus, wie der Pfarrer das Kindlein zurückgebracht
und getauft, aber kein Hans, keine Chriſtine geſehen
worden.
„Der grauende Morgen fand lauter bleiche Geſich¬
ter, und die ſchöne Sonne färbte ſie nicht, denn Alle
wußten wohl, daß nun erſt das Schreckliche kommen
werde. Da hörte man, daß mit ſchwarzen Beulen der
Pfarrer geſtorben, man fand Hans mit ſchrecklichem
Geſichte, und von der gräßlichen Spinne, in die Chri¬
ſtine verwandelt worden, hörte man ſeltſam verwirrte
Worte.
„Es war ein ſchöner Erndtetag, aber keine Hand
rührte ſich zur Arbeit; die Leute liefen zuſammen, wie
man es pflegt am Tage nach dem Tage, an welchem
ein großes Unglück begegnet iſt. Sie fühlten erſt jetzt
in ihren bebenden Seelen ſo recht was es heiße, von
irdiſcher Noth und Plage mit einer unſterblichen Seele
ſich loskaufen zu wollen; fühlten, daß ein Gott im
Himmel ſei, der alles Unrecht, das armen Kindern,
die ſich nicht wehren können, angethan wird, fürchterlich
räche. So ſtunden ſie bebend zuſammen, und jammerten,
und wer bei den Andern war, der durfte nicht mehr
heim, und doch war Zank und Streit unter ihnen,
und Einer gab dem Andern Schuld, und Jeder wollte
abgemahnt und gewarnt haben, und Jeder hatte nichts
darwieder, daß Strafe die Schuldigen treffe, ſich und
ſein Haus wollte aber Jeder ohne Strafe. Und wenn
ſie in dieſem ſchrecklichen Harren und Streiten ein neu
unſchuldig Opfer gewußt hätten, es wäre Keiner gewe¬
ſen, der nicht an demſelben gefrevelt, in der Hoffnung,
ſich ſelbſt zu retten.
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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/85>, abgerufen am 26.06.2024.
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