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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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"Als ob die Flamme aus ihrem Dache schlüge eil¬
ten sie heim, aber Hülfe brachten sie keine; hier wie
dort streckte der Tod das Vieh; Wehgeschrei von Men¬
schen und Thieren erfüllten Berge und Thäler, und
die Sonne, welche das Thal so fröhlich verlassen, sah
in entsetzlichem Jammer hinein. Als die Sonne schien,
sahen endlich die Menschen, wie es in den Ställen,
in denen das Vieh gefallen war, wimmle von zahllo¬
sen schwarzen Spinnen. Diese krochen über das Vieh,
das Futter, und was sie berührten, war vergiftet, und
was lebendig war, begann zu toben, ward bald vom
Tode gestreckt. Von diesen Spinnen konnte man kei¬
nen Stall, in dem sie waren, säubern, es war als
wüchsen sie aus dem Boden herauf; konnte keinen Stall,
in dem sie noch nicht waren, vor ihnen behüten, unverse¬
hens krochen sie aus allen Wänden, fielen Haufenweise
von der Diele. Man trieb das Vieh auf die Weiden,
man trieb es nur dem Tode in den Rachen. Denn
wie eine Kuh auf eine Weide den Fuß setzte, so be¬
gann es lebendig zu werden am Boden, schwarze lange
Spinnen sproßten auf, schreckliche Alpenblumen, kro¬
chen auf am Vieh, und ein fürchterlich wehlich Geschrei
erschallt von den Bergen nieder zu Thale. Und alle
diese Spinnen sahen der Spinne auf Christinens Ge¬
sicht ähnlich wie Kinder der Mutter, und solche hatte
man noch keine gesehen.

"Das Geschrei der armen Thiere war auch zum
Schlosse gedrungen, und bald kamen ihm auch Hirten
nach, verkündend, daß ihr Vieh gefallen von den gif¬
tigen Thieren, und in immer höherm Zorne vernahm
der von Stoffeln, wie Herde um Herde verloren ge¬
gangen, vernahm, welchen Pacht man mit dem Grü¬
nen gehabt, wie man ihn zum zweitenmale betrogen

„Als ob die Flamme aus ihrem Dache ſchlüge eil¬
ten ſie heim, aber Hülfe brachten ſie keine; hier wie
dort ſtreckte der Tod das Vieh; Wehgeſchrei von Men¬
ſchen und Thieren erfüllten Berge und Thäler, und
die Sonne, welche das Thal ſo fröhlich verlaſſen, ſah
in entſetzlichem Jammer hinein. Als die Sonne ſchien,
ſahen endlich die Menſchen, wie es in den Ställen,
in denen das Vieh gefallen war, wimmle von zahllo¬
ſen ſchwarzen Spinnen. Dieſe krochen über das Vieh,
das Futter, und was ſie berührten, war vergiftet, und
was lebendig war, begann zu toben, ward bald vom
Tode geſtreckt. Von dieſen Spinnen konnte man kei¬
nen Stall, in dem ſie waren, ſäubern, es war als
wüchſen ſie aus dem Boden herauf; konnte keinen Stall,
in dem ſie noch nicht waren, vor ihnen behüten, unverſe¬
hens krochen ſie aus allen Wänden, fielen Haufenweiſe
von der Diele. Man trieb das Vieh auf die Weiden,
man trieb es nur dem Tode in den Rachen. Denn
wie eine Kuh auf eine Weide den Fuß ſetzte, ſo be¬
gann es lebendig zu werden am Boden, ſchwarze lange
Spinnen ſproßten auf, ſchreckliche Alpenblumen, kro¬
chen auf am Vieh, und ein fürchterlich wehlich Geſchrei
erſchallt von den Bergen nieder zu Thale. Und alle
dieſe Spinnen ſahen der Spinne auf Chriſtinens Ge¬
ſicht ähnlich wie Kinder der Mutter, und ſolche hatte
man noch keine geſehen.

„Das Geſchrei der armen Thiere war auch zum
Schloſſe gedrungen, und bald kamen ihm auch Hirten
nach, verkündend, daß ihr Vieh gefallen von den gif¬
tigen Thieren, und in immer höherm Zorne vernahm
der von Stoffeln, wie Herde um Herde verloren ge¬
gangen, vernahm, welchen Pacht man mit dem Grü¬
nen gehabt, wie man ihn zum zweitenmale betrogen

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[60/0070] „Als ob die Flamme aus ihrem Dache ſchlüge eil¬ ten ſie heim, aber Hülfe brachten ſie keine; hier wie dort ſtreckte der Tod das Vieh; Wehgeſchrei von Men¬ ſchen und Thieren erfüllten Berge und Thäler, und die Sonne, welche das Thal ſo fröhlich verlaſſen, ſah in entſetzlichem Jammer hinein. Als die Sonne ſchien, ſahen endlich die Menſchen, wie es in den Ställen, in denen das Vieh gefallen war, wimmle von zahllo¬ ſen ſchwarzen Spinnen. Dieſe krochen über das Vieh, das Futter, und was ſie berührten, war vergiftet, und was lebendig war, begann zu toben, ward bald vom Tode geſtreckt. Von dieſen Spinnen konnte man kei¬ nen Stall, in dem ſie waren, ſäubern, es war als wüchſen ſie aus dem Boden herauf; konnte keinen Stall, in dem ſie noch nicht waren, vor ihnen behüten, unverſe¬ hens krochen ſie aus allen Wänden, fielen Haufenweiſe von der Diele. Man trieb das Vieh auf die Weiden, man trieb es nur dem Tode in den Rachen. Denn wie eine Kuh auf eine Weide den Fuß ſetzte, ſo be¬ gann es lebendig zu werden am Boden, ſchwarze lange Spinnen ſproßten auf, ſchreckliche Alpenblumen, kro¬ chen auf am Vieh, und ein fürchterlich wehlich Geſchrei erſchallt von den Bergen nieder zu Thale. Und alle dieſe Spinnen ſahen der Spinne auf Chriſtinens Ge¬ ſicht ähnlich wie Kinder der Mutter, und ſolche hatte man noch keine geſehen. „Das Geſchrei der armen Thiere war auch zum Schloſſe gedrungen, und bald kamen ihm auch Hirten nach, verkündend, daß ihr Vieh gefallen von den gif¬ tigen Thieren, und in immer höherm Zorne vernahm der von Stoffeln, wie Herde um Herde verloren ge¬ gangen, vernahm, welchen Pacht man mit dem Grü¬ nen gehabt, wie man ihn zum zweitenmale betrogen

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/70>, abgerufen am 22.11.2024.