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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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"Alle, die da waren aber freuten sich höchlich, und
alle Angst war verschwunden, auf immer wie sie mein¬
ten; hätten sie den Grünen einmal angeführt, so könn¬
ten sie es immer thun mit dem gleichen Mittel.

"Ein großes Mahl ward zugerichtet, weit her wur¬
den die Gäste entboten. Umsonst mahnte der Priester
des Herrn von Schmaus und Jubel ab, mahnte zu
zagen und zu beten, denn noch sei der Feind nicht be¬
siegt, Gott nicht gesühnt. Es sei ihm im Geiste, als
dürfe er ihnen keine Buße zur Sühnung auferlegen,
als nahe sich eine Buße gewaltig und schwer aus Got¬
tes selbsteigener Hand. Aber sie hörten ihn nicht, woll¬
ten ihn befriedigen mit Speise und Trank. Er aber ging
betrübt weg, bat für die, welche nicht wüßten, was sie
thäten, und rüstete sich mit Beten und Fasten zu käm¬
pfen als ein getreuer Hirt für die anvertraute Herde.

"Mitten unter den Jubelirenden ist auch Christine
gesessen, aber sonderbar stille mit glühenden Wangen,
düstern Augen, seltsam sah man es zucken in ihrem
Gesichte. Christine war bei der Geburt zugegen ge¬
wesen als erfahrne Wehmutter, war bei der plötzlichen
Taufe zu Gevatter gestanden mit frechem Herzen ohne
Furcht, aber wie der Priester das Wasser sprengte
über das Kind und es taufte in den drei höchsten
Namen, da war es ihr, als drucke man ihr plötzlich
ein feurig Eisen auf die Stelle, wo sie des Grünen
Kuß empfangen. In jähem Schrecken war sie zusam¬
men gezuckt, das Kind fast zur Erde gefallen und seit¬
her hatte der Schmerz nicht abgenommen, sondern ward
glühender von Stunde zu Stunde. Anfangs war sie
stille gesessen, hatte den Schmerz erdrückt und heimlich
die schweren Gedanken gewälzet in ihrer erwachten
Seele, aber immer häufiger fuhr sie mit der Hand nach

„Alle, die da waren aber freuten ſich höchlich, und
alle Angſt war verſchwunden, auf immer wie ſie mein¬
ten; hätten ſie den Grünen einmal angeführt, ſo könn¬
ten ſie es immer thun mit dem gleichen Mittel.

„Ein großes Mahl ward zugerichtet, weit her wur¬
den die Gäſte entboten. Umſonſt mahnte der Prieſter
des Herrn von Schmaus und Jubel ab, mahnte zu
zagen und zu beten, denn noch ſei der Feind nicht be¬
ſiegt, Gott nicht geſühnt. Es ſei ihm im Geiſte, als
dürfe er ihnen keine Buße zur Sühnung auferlegen,
als nahe ſich eine Buße gewaltig und ſchwer aus Got¬
tes ſelbſteigener Hand. Aber ſie hörten ihn nicht, woll¬
ten ihn befriedigen mit Speiſe und Trank. Er aber ging
betrübt weg, bat für die, welche nicht wüßten, was ſie
thäten, und rüſtete ſich mit Beten und Faſten zu käm¬
pfen als ein getreuer Hirt für die anvertraute Herde.

„Mitten unter den Jubelirenden iſt auch Chriſtine
geſeſſen, aber ſonderbar ſtille mit glühenden Wangen,
düſtern Augen, ſeltſam ſah man es zucken in ihrem
Geſichte. Chriſtine war bei der Geburt zugegen ge¬
weſen als erfahrne Wehmutter, war bei der plötzlichen
Taufe zu Gevatter geſtanden mit frechem Herzen ohne
Furcht, aber wie der Prieſter das Waſſer ſprengte
über das Kind und es taufte in den drei höchſten
Namen, da war es ihr, als drucke man ihr plötzlich
ein feurig Eiſen auf die Stelle, wo ſie des Grünen
Kuß empfangen. In jähem Schrecken war ſie zuſam¬
men gezuckt, das Kind faſt zur Erde gefallen und ſeit¬
her hatte der Schmerz nicht abgenommen, ſondern ward
glühender von Stunde zu Stunde. Anfangs war ſie
ſtille geſeſſen, hatte den Schmerz erdrückt und heimlich
die ſchweren Gedanken gewälzet in ihrer erwachten
Seele, aber immer häufiger fuhr ſie mit der Hand nach

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[54/0064] „Alle, die da waren aber freuten ſich höchlich, und alle Angſt war verſchwunden, auf immer wie ſie mein¬ ten; hätten ſie den Grünen einmal angeführt, ſo könn¬ ten ſie es immer thun mit dem gleichen Mittel. „Ein großes Mahl ward zugerichtet, weit her wur¬ den die Gäſte entboten. Umſonſt mahnte der Prieſter des Herrn von Schmaus und Jubel ab, mahnte zu zagen und zu beten, denn noch ſei der Feind nicht be¬ ſiegt, Gott nicht geſühnt. Es ſei ihm im Geiſte, als dürfe er ihnen keine Buße zur Sühnung auferlegen, als nahe ſich eine Buße gewaltig und ſchwer aus Got¬ tes ſelbſteigener Hand. Aber ſie hörten ihn nicht, woll¬ ten ihn befriedigen mit Speiſe und Trank. Er aber ging betrübt weg, bat für die, welche nicht wüßten, was ſie thäten, und rüſtete ſich mit Beten und Faſten zu käm¬ pfen als ein getreuer Hirt für die anvertraute Herde. „Mitten unter den Jubelirenden iſt auch Chriſtine geſeſſen, aber ſonderbar ſtille mit glühenden Wangen, düſtern Augen, ſeltſam ſah man es zucken in ihrem Geſichte. Chriſtine war bei der Geburt zugegen ge¬ weſen als erfahrne Wehmutter, war bei der plötzlichen Taufe zu Gevatter geſtanden mit frechem Herzen ohne Furcht, aber wie der Prieſter das Waſſer ſprengte über das Kind und es taufte in den drei höchſten Namen, da war es ihr, als drucke man ihr plötzlich ein feurig Eiſen auf die Stelle, wo ſie des Grünen Kuß empfangen. In jähem Schrecken war ſie zuſam¬ men gezuckt, das Kind faſt zur Erde gefallen und ſeit¬ her hatte der Schmerz nicht abgenommen, ſondern ward glühender von Stunde zu Stunde. Anfangs war ſie ſtille geſeſſen, hatte den Schmerz erdrückt und heimlich die ſchweren Gedanken gewälzet in ihrer erwachten Seele, aber immer häufiger fuhr ſie mit der Hand nach

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/64>, abgerufen am 22.11.2024.