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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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es sich so wohl, bis die Weiber den Braten z'weg ha¬
ben, du würdest uns damit so kurze Zeit machen, darum
gib aufrichtigen Bericht." Noch manchen Schneckentanz
machte der Großvater, ehe er sich dazu verstund; aber
der Vetter und die Weiber ließen nicht nach bis er es
endlich versprach, jedoch unter dem ausdrücklichen Vor¬
behalt, daß ihm dann lieber wäre, was er erzähle, bliebe
unter ihnen und käme nicht weiter. So etwas scheuen
gar viele Leute an einem Hause, und er möchte in sei¬
nen alten Tagen nicht gerne seinen Leuten böses Spiel
machen.

"Allemal wenn ich dieses Holz betrachte", begann
der ehrwürdige Alte, "so muß ich mich verwundern, wie
das wohl zuging, daß aus dem fernen Morgenlande,
wo das Menschengeschlecht entstanden sein soll, Menschen
bis hieher kamen, und diesen Winkel in diesem engen
Graben fanden, und muß denken, was die, welche bis
hieher verschlagen oder gedrängt wurden, alles ausge¬
standen haben werden, und wer sie wohl mögen gewe¬
sen sein. Ich habe viel darüber nachgefragt, aber nichts
erfahren können, als daß diese Gegend schon sehr früh
bewohnt gewesen, ja Sumiswald, noch ehe unser Hei¬
land auf der Welt war, eine Stadt gewesen sein soll;
aber aufgeschrieben steht das Nirgends. Doch das weiß
man, daß es schon mehr als sechshundert Jahre her
ist, daß das Schloß steht, wo jetzt der Spital ist, und
wahrscheinlich um dieselbe Zeit stund auch hier schon
ein Haus, und gehörte sammt einem großen Theil der
Umgegend zu dem Schlosse, mußte dorthin Zehnten und
Bodenzinse geben, Frohndienste leisten, ja die Menschen
waren Leibeigen und nicht eigenen Rechtens, wie jetzt
jeder ist, sobald er zu Jahren kömmt. Gar ungleich
hatten es damals die Menschen, und nahe bei einander

es ſich ſo wohl, bis die Weiber den Braten z’weg ha¬
ben, du würdeſt uns damit ſo kurze Zeit machen, darum
gib aufrichtigen Bericht.“ Noch manchen Schneckentanz
machte der Großvater, ehe er ſich dazu verſtund; aber
der Vetter und die Weiber ließen nicht nach bis er es
endlich verſprach, jedoch unter dem ausdrücklichen Vor¬
behalt, daß ihm dann lieber wäre, was er erzähle, bliebe
unter ihnen und käme nicht weiter. So etwas ſcheuen
gar viele Leute an einem Hauſe, und er möchte in ſei¬
nen alten Tagen nicht gerne ſeinen Leuten böſes Spiel
machen.

„Allemal wenn ich dieſes Holz betrachte“, begann
der ehrwürdige Alte, „ſo muß ich mich verwundern, wie
das wohl zuging, daß aus dem fernen Morgenlande,
wo das Menſchengeſchlecht entſtanden ſein ſoll, Menſchen
bis hieher kamen, und dieſen Winkel in dieſem engen
Graben fanden, und muß denken, was die, welche bis
hieher verſchlagen oder gedrängt wurden, alles ausge¬
ſtanden haben werden, und wer ſie wohl mögen gewe¬
ſen ſein. Ich habe viel darüber nachgefragt, aber nichts
erfahren können, als daß dieſe Gegend ſchon ſehr früh
bewohnt geweſen, ja Sumiswald, noch ehe unſer Hei¬
land auf der Welt war, eine Stadt geweſen ſein ſoll;
aber aufgeſchrieben ſteht das Nirgends. Doch das weiß
man, daß es ſchon mehr als ſechshundert Jahre her
iſt, daß das Schloß ſteht, wo jetzt der Spital iſt, und
wahrſcheinlich um dieſelbe Zeit ſtund auch hier ſchon
ein Haus, und gehörte ſammt einem großen Theil der
Umgegend zu dem Schloſſe, mußte dorthin Zehnten und
Bodenzinſe geben, Frohndienſte leiſten, ja die Menſchen
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[25/0035] es ſich ſo wohl, bis die Weiber den Braten z’weg ha¬ ben, du würdeſt uns damit ſo kurze Zeit machen, darum gib aufrichtigen Bericht.“ Noch manchen Schneckentanz machte der Großvater, ehe er ſich dazu verſtund; aber der Vetter und die Weiber ließen nicht nach bis er es endlich verſprach, jedoch unter dem ausdrücklichen Vor¬ behalt, daß ihm dann lieber wäre, was er erzähle, bliebe unter ihnen und käme nicht weiter. So etwas ſcheuen gar viele Leute an einem Hauſe, und er möchte in ſei¬ nen alten Tagen nicht gerne ſeinen Leuten böſes Spiel machen. „Allemal wenn ich dieſes Holz betrachte“, begann der ehrwürdige Alte, „ſo muß ich mich verwundern, wie das wohl zuging, daß aus dem fernen Morgenlande, wo das Menſchengeſchlecht entſtanden ſein ſoll, Menſchen bis hieher kamen, und dieſen Winkel in dieſem engen Graben fanden, und muß denken, was die, welche bis hieher verſchlagen oder gedrängt wurden, alles ausge¬ ſtanden haben werden, und wer ſie wohl mögen gewe¬ ſen ſein. Ich habe viel darüber nachgefragt, aber nichts erfahren können, als daß dieſe Gegend ſchon ſehr früh bewohnt geweſen, ja Sumiswald, noch ehe unſer Hei¬ land auf der Welt war, eine Stadt geweſen ſein ſoll; aber aufgeſchrieben ſteht das Nirgends. Doch das weiß man, daß es ſchon mehr als ſechshundert Jahre her iſt, daß das Schloß ſteht, wo jetzt der Spital iſt, und wahrſcheinlich um dieſelbe Zeit ſtund auch hier ſchon ein Haus, und gehörte ſammt einem großen Theil der Umgegend zu dem Schloſſe, mußte dorthin Zehnten und Bodenzinſe geben, Frohndienſte leiſten, ja die Menſchen waren Leibeigen und nicht eigenen Rechtens, wie jetzt jeder iſt, ſobald er zu Jahren kömmt. Gar ungleich hatten es damals die Menſchen, und nahe bei einander

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/35>, abgerufen am 22.11.2024.