Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Herrschenden zu den Dienenden, und wiederum umgekehrt. Und wenn schon namentlich ein Niederer einem Höheren sehr nahe steht, so gleichsam an seiner Brust zu liegen scheint, so werden doch bei gegebenen Fällen unter Zehn Acht den Höheren verrathen, ihn mit Fußtritten regaliren, an ihre Sorte sich wieder anschließen; ähnlich treibt es aber auch die höhere Sorte mit den unteren Sorten und opfert Stück um Stück derselben, besonders wenn das Standesinteresse mit ins Spiel kommt. Gelingt es auch Einem aus den Unteren, an die Höheren sich anzukleben, dort festzuhalten, daß er ihres Gleichen scheint und als solcher wirklich auch behandelt wird, so wird es ihm doch nie vergessen, woher er gekommen; fort und fort muß er merken, daß man es ihm nicht vergessen, und bei der ersten Gelegenheit stößt man ihn wieder hinunter. Wird der Mensch ein Christ, so gestalten die Verhältnisse freilich sich anders, aber das Christenthum war in dieser Hütte ein unbekanntes Ding. Desto mehr andere Dinge barg diese Hütte; was Alles? wußten nur die beiden Alten, Vieles kannten des Wirths Genossen von der niederen Sorte, das Wenigste die junkerlichen Räuber. Es war eine sehr geistreiche Einrichtung; man konnte da erscheinen und verschwinden, sein und nicht sein, accurat wie in einem Zauberschlosse. Mit näherer Beschreibung desselben wollen wir uns jedoch nicht abgeben, sondern es der Einbildungskraft der geistreichen Leser überlassen, sich dasselbe selbst auszu- Herrschenden zu den Dienenden, und wiederum umgekehrt. Und wenn schon namentlich ein Niederer einem Höheren sehr nahe steht, so gleichsam an seiner Brust zu liegen scheint, so werden doch bei gegebenen Fällen unter Zehn Acht den Höheren verrathen, ihn mit Fußtritten regaliren, an ihre Sorte sich wieder anschließen; ähnlich treibt es aber auch die höhere Sorte mit den unteren Sorten und opfert Stück um Stück derselben, besonders wenn das Standesinteresse mit ins Spiel kommt. Gelingt es auch Einem aus den Unteren, an die Höheren sich anzukleben, dort festzuhalten, daß er ihres Gleichen scheint und als solcher wirklich auch behandelt wird, so wird es ihm doch nie vergessen, woher er gekommen; fort und fort muß er merken, daß man es ihm nicht vergessen, und bei der ersten Gelegenheit stößt man ihn wieder hinunter. Wird der Mensch ein Christ, so gestalten die Verhältnisse freilich sich anders, aber das Christenthum war in dieser Hütte ein unbekanntes Ding. Desto mehr andere Dinge barg diese Hütte; was Alles? wußten nur die beiden Alten, Vieles kannten des Wirths Genossen von der niederen Sorte, das Wenigste die junkerlichen Räuber. Es war eine sehr geistreiche Einrichtung; man konnte da erscheinen und verschwinden, sein und nicht sein, accurat wie in einem Zauberschlosse. Mit näherer Beschreibung desselben wollen wir uns jedoch nicht abgeben, sondern es der Einbildungskraft der geistreichen Leser überlassen, sich dasselbe selbst auszu- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0139"/> Herrschenden zu den Dienenden, und wiederum umgekehrt. Und wenn schon namentlich ein Niederer einem Höheren sehr nahe steht, so gleichsam an seiner Brust zu liegen scheint, so werden doch bei gegebenen Fällen unter Zehn Acht den Höheren verrathen, ihn mit Fußtritten regaliren, an ihre Sorte sich wieder anschließen; ähnlich treibt es aber auch die höhere Sorte mit den unteren Sorten und opfert Stück um Stück derselben, besonders wenn das Standesinteresse mit ins Spiel kommt. Gelingt es auch Einem aus den Unteren, an die Höheren sich anzukleben, dort festzuhalten, daß er ihres Gleichen scheint und als solcher wirklich auch behandelt wird, so wird es ihm doch nie vergessen, woher er gekommen; fort und fort muß er merken, daß man es ihm nicht vergessen, und bei der ersten Gelegenheit stößt man ihn wieder hinunter. Wird der Mensch ein Christ, so gestalten die Verhältnisse freilich sich anders, aber das Christenthum war in dieser Hütte ein unbekanntes Ding. Desto mehr andere Dinge barg diese Hütte; was Alles? wußten nur die beiden Alten, Vieles kannten des Wirths Genossen von der niederen Sorte, das Wenigste die junkerlichen Räuber. Es war eine sehr geistreiche Einrichtung; man konnte da erscheinen und verschwinden, sein und nicht sein, accurat wie in einem Zauberschlosse. Mit näherer Beschreibung desselben wollen wir uns jedoch nicht abgeben, sondern es der Einbildungskraft der geistreichen Leser überlassen, sich dasselbe selbst auszu-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0139]
Herrschenden zu den Dienenden, und wiederum umgekehrt. Und wenn schon namentlich ein Niederer einem Höheren sehr nahe steht, so gleichsam an seiner Brust zu liegen scheint, so werden doch bei gegebenen Fällen unter Zehn Acht den Höheren verrathen, ihn mit Fußtritten regaliren, an ihre Sorte sich wieder anschließen; ähnlich treibt es aber auch die höhere Sorte mit den unteren Sorten und opfert Stück um Stück derselben, besonders wenn das Standesinteresse mit ins Spiel kommt. Gelingt es auch Einem aus den Unteren, an die Höheren sich anzukleben, dort festzuhalten, daß er ihres Gleichen scheint und als solcher wirklich auch behandelt wird, so wird es ihm doch nie vergessen, woher er gekommen; fort und fort muß er merken, daß man es ihm nicht vergessen, und bei der ersten Gelegenheit stößt man ihn wieder hinunter. Wird der Mensch ein Christ, so gestalten die Verhältnisse freilich sich anders, aber das Christenthum war in dieser Hütte ein unbekanntes Ding. Desto mehr andere Dinge barg diese Hütte; was Alles? wußten nur die beiden Alten, Vieles kannten des Wirths Genossen von der niederen Sorte, das Wenigste die junkerlichen Räuber. Es war eine sehr geistreiche Einrichtung; man konnte da erscheinen und verschwinden, sein und nicht sein, accurat wie in einem Zauberschlosse. Mit näherer Beschreibung desselben wollen wir uns jedoch nicht abgeben, sondern es der Einbildungskraft der geistreichen Leser überlassen, sich dasselbe selbst auszu-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/139 |
Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/139>, abgerufen am 16.02.2025. |