Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen Ohr offen ist über allen Menschenkindern, der die Haare zählt auf dem Haupte des Menschen, sie festigt oder ausfallen läßt nach seinem Belieben. Aber wie sie meinte, ging es nicht; ehe ihr Wunsch in Erfüllung gegangen, ward sie zu den Vätern versammelt, welche ihre liebe Noth mit ihr gehabt haben werden. Der Zorn, daß Jürg ihr zum Trotze gestorben, Agnes ihr zum Trotze nicht sterbe, untergrub ihr felsenhartes Gebein, bis es zusammenbrach, fast möchte man sagen auseinanderfiel.

Kurt nahm dies kaltblütig, wie er überhaupt an Allem, was im Hause vorging, gar kein Interesse hatte, weder am Tode der Mutter, noch an der Geburt eines Kindes; es war, als ob ihn dieses Alles nichts anginge. Es nahm ihn bloß ein Fund in Anspruch, welchen man bei Grimhildens Tode machte: eine Menge vergilbter, zusammengehäufter Dinge sonder Zahl und Namen; Sachen aus Kurt's früherem Räuberleben, Sachen aus ihrer Jugend, Sachen, welche sie der Agnes abhanden gebracht; kurz, es mahnte ihre Hinterlassenschaft auffallend an das Nest eines alten Raben, der in einem öden, unbesuchten Thurme gehaus't. Was etwas werth war, verschleppte Kurt, dem Haushalt kam es nicht zu Nutz; den Frieden zwischen den Eheleuten förderte der Alten Tod nicht und störte ihn weiter nicht. Kurt hatte Gewohnheiten angenommen, welche über seine Natur gingen, und Agnes nahm es wie es war, und gewöhnte sich Tag um Tag mehr, ihr Leben so zu

dessen Ohr offen ist über allen Menschenkindern, der die Haare zählt auf dem Haupte des Menschen, sie festigt oder ausfallen läßt nach seinem Belieben. Aber wie sie meinte, ging es nicht; ehe ihr Wunsch in Erfüllung gegangen, ward sie zu den Vätern versammelt, welche ihre liebe Noth mit ihr gehabt haben werden. Der Zorn, daß Jürg ihr zum Trotze gestorben, Agnes ihr zum Trotze nicht sterbe, untergrub ihr felsenhartes Gebein, bis es zusammenbrach, fast möchte man sagen auseinanderfiel.

Kurt nahm dies kaltblütig, wie er überhaupt an Allem, was im Hause vorging, gar kein Interesse hatte, weder am Tode der Mutter, noch an der Geburt eines Kindes; es war, als ob ihn dieses Alles nichts anginge. Es nahm ihn bloß ein Fund in Anspruch, welchen man bei Grimhildens Tode machte: eine Menge vergilbter, zusammengehäufter Dinge sonder Zahl und Namen; Sachen aus Kurt's früherem Räuberleben, Sachen aus ihrer Jugend, Sachen, welche sie der Agnes abhanden gebracht; kurz, es mahnte ihre Hinterlassenschaft auffallend an das Nest eines alten Raben, der in einem öden, unbesuchten Thurme gehaus't. Was etwas werth war, verschleppte Kurt, dem Haushalt kam es nicht zu Nutz; den Frieden zwischen den Eheleuten förderte der Alten Tod nicht und störte ihn weiter nicht. Kurt hatte Gewohnheiten angenommen, welche über seine Natur gingen, und Agnes nahm es wie es war, und gewöhnte sich Tag um Tag mehr, ihr Leben so zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0132"/>
dessen Ohr offen                     ist über allen Menschenkindern, der die Haare zählt auf dem Haupte des Menschen,                     sie festigt oder ausfallen läßt nach seinem Belieben. Aber wie sie meinte, ging                     es nicht; ehe ihr Wunsch in Erfüllung gegangen, ward sie zu den Vätern                     versammelt, welche ihre liebe Noth mit ihr gehabt haben werden. Der Zorn, daß                     Jürg ihr zum Trotze gestorben, Agnes ihr zum Trotze nicht sterbe, untergrub ihr                     felsenhartes Gebein, bis es zusammenbrach, fast möchte man sagen                     auseinanderfiel.</p><lb/>
        <p>Kurt nahm dies kaltblütig, wie er überhaupt an Allem, was im Hause vorging, gar                     kein Interesse hatte, weder am Tode der Mutter, noch an der Geburt eines Kindes;                     es war, als ob ihn dieses Alles nichts anginge. Es nahm ihn bloß ein Fund in                     Anspruch, welchen man bei Grimhildens Tode machte: eine Menge vergilbter,                     zusammengehäufter Dinge sonder Zahl und Namen; Sachen aus Kurt's früherem                     Räuberleben, Sachen aus ihrer Jugend, Sachen, welche sie der Agnes abhanden                     gebracht; kurz, es mahnte ihre Hinterlassenschaft auffallend an das Nest eines                     alten Raben, der in einem öden, unbesuchten Thurme gehaus't. Was etwas werth                     war, verschleppte Kurt, dem Haushalt kam es nicht zu Nutz; den Frieden zwischen                     den Eheleuten förderte der Alten Tod nicht und störte ihn weiter nicht. Kurt                     hatte Gewohnheiten angenommen, welche über seine Natur gingen, und Agnes nahm es                     wie es war, und gewöhnte sich Tag um Tag mehr, ihr Leben so zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] dessen Ohr offen ist über allen Menschenkindern, der die Haare zählt auf dem Haupte des Menschen, sie festigt oder ausfallen läßt nach seinem Belieben. Aber wie sie meinte, ging es nicht; ehe ihr Wunsch in Erfüllung gegangen, ward sie zu den Vätern versammelt, welche ihre liebe Noth mit ihr gehabt haben werden. Der Zorn, daß Jürg ihr zum Trotze gestorben, Agnes ihr zum Trotze nicht sterbe, untergrub ihr felsenhartes Gebein, bis es zusammenbrach, fast möchte man sagen auseinanderfiel. Kurt nahm dies kaltblütig, wie er überhaupt an Allem, was im Hause vorging, gar kein Interesse hatte, weder am Tode der Mutter, noch an der Geburt eines Kindes; es war, als ob ihn dieses Alles nichts anginge. Es nahm ihn bloß ein Fund in Anspruch, welchen man bei Grimhildens Tode machte: eine Menge vergilbter, zusammengehäufter Dinge sonder Zahl und Namen; Sachen aus Kurt's früherem Räuberleben, Sachen aus ihrer Jugend, Sachen, welche sie der Agnes abhanden gebracht; kurz, es mahnte ihre Hinterlassenschaft auffallend an das Nest eines alten Raben, der in einem öden, unbesuchten Thurme gehaus't. Was etwas werth war, verschleppte Kurt, dem Haushalt kam es nicht zu Nutz; den Frieden zwischen den Eheleuten förderte der Alten Tod nicht und störte ihn weiter nicht. Kurt hatte Gewohnheiten angenommen, welche über seine Natur gingen, und Agnes nahm es wie es war, und gewöhnte sich Tag um Tag mehr, ihr Leben so zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/132
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/132>, abgerufen am 05.05.2024.