Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu Staub und Asche, andere werden darin gehärtet wie Stahl und Eisen im Feuer, noch andere geläutert und verklärt dem Golde gleich. Zu welcher Sorte Agnes gehöre, wußte man lange nicht; sie würde für den kundigsten Fachmann schwer zu sortiren gewesen sein; sie war jung ins Leben getreten, ihr Gesicht, zart wie Milch und Blut, schien weich und schnell durchfurcht von Thränen, und eine Weile ging's, bis der innere feste Kern sich zeigte, den das Leben nicht zerreibt, sondern härtet und polirt. In dem Maaße, als ihr Wesen fester ward, versiegten die Thränen, in gleichem Maaße wurde ihr Wille bestimmter, und was sie wollte, wußte sie zu sagen. Es war beinahe, als nehme Frau Grimhilde die Gestaltung ihrer Schwiegertochter mit Behagen wahr, ungefähr wie ein Metzger, der mit Freuden Sohlen an seinen Stiefeln bemerkt, welche sich nicht sobald ablaufen, oder der Gleiche einen guten Stahl am Gürtel, der sich, er mag mit seinen Messern daran herumfahren, wie er will, nicht alsobald abwetzen läßt. Eine, welche der Frau Schwiegermama förmlich die Stange hielt, ward natürlich Agnes nie, dazu fehlte ihr das Bösartige, Giftige, welches in Grimhilde hervorstach. Agnes war gemüthlich, barmherzig, konnte lieben, konnte geben, wozu Grimhilde nie fähig gewesen war; aber je mehr Agnes sich härtete, desto stärker gab es Feuer. Daß es nicht angenehm ist, die Finger zwischen Stahl und Stein zu haben, ist jedem Kinde bekannt, aber noch zu Staub und Asche, andere werden darin gehärtet wie Stahl und Eisen im Feuer, noch andere geläutert und verklärt dem Golde gleich. Zu welcher Sorte Agnes gehöre, wußte man lange nicht; sie würde für den kundigsten Fachmann schwer zu sortiren gewesen sein; sie war jung ins Leben getreten, ihr Gesicht, zart wie Milch und Blut, schien weich und schnell durchfurcht von Thränen, und eine Weile ging's, bis der innere feste Kern sich zeigte, den das Leben nicht zerreibt, sondern härtet und polirt. In dem Maaße, als ihr Wesen fester ward, versiegten die Thränen, in gleichem Maaße wurde ihr Wille bestimmter, und was sie wollte, wußte sie zu sagen. Es war beinahe, als nehme Frau Grimhilde die Gestaltung ihrer Schwiegertochter mit Behagen wahr, ungefähr wie ein Metzger, der mit Freuden Sohlen an seinen Stiefeln bemerkt, welche sich nicht sobald ablaufen, oder der Gleiche einen guten Stahl am Gürtel, der sich, er mag mit seinen Messern daran herumfahren, wie er will, nicht alsobald abwetzen läßt. Eine, welche der Frau Schwiegermama förmlich die Stange hielt, ward natürlich Agnes nie, dazu fehlte ihr das Bösartige, Giftige, welches in Grimhilde hervorstach. Agnes war gemüthlich, barmherzig, konnte lieben, konnte geben, wozu Grimhilde nie fähig gewesen war; aber je mehr Agnes sich härtete, desto stärker gab es Feuer. Daß es nicht angenehm ist, die Finger zwischen Stahl und Stein zu haben, ist jedem Kinde bekannt, aber noch <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0119"/> zu Staub und Asche, andere werden darin gehärtet wie Stahl und Eisen im Feuer, noch andere geläutert und verklärt dem Golde gleich. Zu welcher Sorte Agnes gehöre, wußte man lange nicht; sie würde für den kundigsten Fachmann schwer zu sortiren gewesen sein; sie war jung ins Leben getreten, ihr Gesicht, zart wie Milch und Blut, schien weich und schnell durchfurcht von Thränen, und eine Weile ging's, bis der innere feste Kern sich zeigte, den das Leben nicht zerreibt, sondern härtet und polirt. In dem Maaße, als ihr Wesen fester ward, versiegten die Thränen, in gleichem Maaße wurde ihr Wille bestimmter, und was sie wollte, wußte sie zu sagen. Es war beinahe, als nehme Frau Grimhilde die Gestaltung ihrer Schwiegertochter mit Behagen wahr, ungefähr wie ein Metzger, der mit Freuden Sohlen an seinen Stiefeln bemerkt, welche sich nicht sobald ablaufen, oder der Gleiche einen guten Stahl am Gürtel, der sich, er mag mit seinen Messern daran herumfahren, wie er will, nicht alsobald abwetzen läßt. Eine, welche der Frau Schwiegermama förmlich die Stange hielt, ward natürlich Agnes nie, dazu fehlte ihr das Bösartige, Giftige, welches in Grimhilde hervorstach. Agnes war gemüthlich, barmherzig, konnte lieben, konnte geben, wozu Grimhilde nie fähig gewesen war; aber je mehr Agnes sich härtete, desto stärker gab es Feuer. Daß es nicht angenehm ist, die Finger zwischen Stahl und Stein zu haben, ist jedem Kinde bekannt, aber noch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
zu Staub und Asche, andere werden darin gehärtet wie Stahl und Eisen im Feuer, noch andere geläutert und verklärt dem Golde gleich. Zu welcher Sorte Agnes gehöre, wußte man lange nicht; sie würde für den kundigsten Fachmann schwer zu sortiren gewesen sein; sie war jung ins Leben getreten, ihr Gesicht, zart wie Milch und Blut, schien weich und schnell durchfurcht von Thränen, und eine Weile ging's, bis der innere feste Kern sich zeigte, den das Leben nicht zerreibt, sondern härtet und polirt. In dem Maaße, als ihr Wesen fester ward, versiegten die Thränen, in gleichem Maaße wurde ihr Wille bestimmter, und was sie wollte, wußte sie zu sagen. Es war beinahe, als nehme Frau Grimhilde die Gestaltung ihrer Schwiegertochter mit Behagen wahr, ungefähr wie ein Metzger, der mit Freuden Sohlen an seinen Stiefeln bemerkt, welche sich nicht sobald ablaufen, oder der Gleiche einen guten Stahl am Gürtel, der sich, er mag mit seinen Messern daran herumfahren, wie er will, nicht alsobald abwetzen läßt. Eine, welche der Frau Schwiegermama förmlich die Stange hielt, ward natürlich Agnes nie, dazu fehlte ihr das Bösartige, Giftige, welches in Grimhilde hervorstach. Agnes war gemüthlich, barmherzig, konnte lieben, konnte geben, wozu Grimhilde nie fähig gewesen war; aber je mehr Agnes sich härtete, desto stärker gab es Feuer. Daß es nicht angenehm ist, die Finger zwischen Stahl und Stein zu haben, ist jedem Kinde bekannt, aber noch
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/119>, abgerufen am 27.07.2024. |