Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.das Leben behielt. Frau Agnes dagegen war der Meinung, sie sei wohl aus Gottes Gnaden hier, aber nicht aus Frau Grimhildens Gnade. Kurt sei froh gewesen, sie zu erhalten, und Frau Grimhilde sollte froh sein, leben zu können aus ihrer Sache. Sie wolle Niemanden was vorrücken, aber leben als eine Bettlerin und doch von ihrer Sache, das wolle sie nicht; sie meinte, sie könnte befehlen, wo sie ihre Sache abgestellt wissen wolle, was die Bauleute bauen, was die Knechte thun sollten, wo man mit ihren Rossen Pflügen und von welchem Samen man säen solle; meinte auch, sie verstände das, und zwar besser als eine alte Frau, welche seit zwanzig Jahren keinen Pflug im Felde gehabt. Indessen, wenn Frau Grimhilde auch keinen Pflug im Felde gehabt, so führte sie doch eine Sprache ins Feld, welche durch Leib und Seele ging, und was sie befahl, das wußte sie durchzusetzen gleich einem alten türkischen Sultan. Man kann sich daher das Leben vorstellen, welches die Beiden mit einander führten, und die süße Zärtlichkeit, welche zwischen ihnen herrschte. Das Zweikammersystem ist nur dann gut, wenn ein gutes Zünglein an der Wage ist und eine starke Hand die Wage hält. Diese Hand hätte eigentlich Kurt ins Feld führen sollen, er sollte des Hauses König sein, das Gleichgewicht herstellen und alle Kräfte einigen unter seinen Willen. Aber Kurt hatte eben ein eigenes Fach ergriffen, war zu sehr mit den auswärtigen Angelegenheiten behaftet, um das Ganze gehörig zu über- das Leben behielt. Frau Agnes dagegen war der Meinung, sie sei wohl aus Gottes Gnaden hier, aber nicht aus Frau Grimhildens Gnade. Kurt sei froh gewesen, sie zu erhalten, und Frau Grimhilde sollte froh sein, leben zu können aus ihrer Sache. Sie wolle Niemanden was vorrücken, aber leben als eine Bettlerin und doch von ihrer Sache, das wolle sie nicht; sie meinte, sie könnte befehlen, wo sie ihre Sache abgestellt wissen wolle, was die Bauleute bauen, was die Knechte thun sollten, wo man mit ihren Rossen Pflügen und von welchem Samen man säen solle; meinte auch, sie verstände das, und zwar besser als eine alte Frau, welche seit zwanzig Jahren keinen Pflug im Felde gehabt. Indessen, wenn Frau Grimhilde auch keinen Pflug im Felde gehabt, so führte sie doch eine Sprache ins Feld, welche durch Leib und Seele ging, und was sie befahl, das wußte sie durchzusetzen gleich einem alten türkischen Sultan. Man kann sich daher das Leben vorstellen, welches die Beiden mit einander führten, und die süße Zärtlichkeit, welche zwischen ihnen herrschte. Das Zweikammersystem ist nur dann gut, wenn ein gutes Zünglein an der Wage ist und eine starke Hand die Wage hält. Diese Hand hätte eigentlich Kurt ins Feld führen sollen, er sollte des Hauses König sein, das Gleichgewicht herstellen und alle Kräfte einigen unter seinen Willen. Aber Kurt hatte eben ein eigenes Fach ergriffen, war zu sehr mit den auswärtigen Angelegenheiten behaftet, um das Ganze gehörig zu über- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0115"/> das Leben behielt. Frau Agnes dagegen war der Meinung, sie sei wohl aus Gottes Gnaden hier, aber nicht aus Frau Grimhildens Gnade. Kurt sei froh gewesen, sie zu erhalten, und Frau Grimhilde sollte froh sein, leben zu können aus ihrer Sache. Sie wolle Niemanden was vorrücken, aber leben als eine Bettlerin und doch von ihrer Sache, das wolle sie nicht; sie meinte, sie könnte befehlen, wo sie ihre Sache abgestellt wissen wolle, was die Bauleute bauen, was die Knechte thun sollten, wo man mit ihren Rossen Pflügen und von welchem Samen man säen solle; meinte auch, sie verstände das, und zwar besser als eine alte Frau, welche seit zwanzig Jahren keinen Pflug im Felde gehabt. Indessen, wenn Frau Grimhilde auch keinen Pflug im Felde gehabt, so führte sie doch eine Sprache ins Feld, welche durch Leib und Seele ging, und was sie befahl, das wußte sie durchzusetzen gleich einem alten türkischen Sultan. Man kann sich daher das Leben vorstellen, welches die Beiden mit einander führten, und die süße Zärtlichkeit, welche zwischen ihnen herrschte. Das Zweikammersystem ist nur dann gut, wenn ein gutes Zünglein an der Wage ist und eine starke Hand die Wage hält. Diese Hand hätte eigentlich Kurt ins Feld führen sollen, er sollte des Hauses König sein, das Gleichgewicht herstellen und alle Kräfte einigen unter seinen Willen. Aber Kurt hatte eben ein eigenes Fach ergriffen, war zu sehr mit den auswärtigen Angelegenheiten behaftet, um das Ganze gehörig zu über-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
das Leben behielt. Frau Agnes dagegen war der Meinung, sie sei wohl aus Gottes Gnaden hier, aber nicht aus Frau Grimhildens Gnade. Kurt sei froh gewesen, sie zu erhalten, und Frau Grimhilde sollte froh sein, leben zu können aus ihrer Sache. Sie wolle Niemanden was vorrücken, aber leben als eine Bettlerin und doch von ihrer Sache, das wolle sie nicht; sie meinte, sie könnte befehlen, wo sie ihre Sache abgestellt wissen wolle, was die Bauleute bauen, was die Knechte thun sollten, wo man mit ihren Rossen Pflügen und von welchem Samen man säen solle; meinte auch, sie verstände das, und zwar besser als eine alte Frau, welche seit zwanzig Jahren keinen Pflug im Felde gehabt. Indessen, wenn Frau Grimhilde auch keinen Pflug im Felde gehabt, so führte sie doch eine Sprache ins Feld, welche durch Leib und Seele ging, und was sie befahl, das wußte sie durchzusetzen gleich einem alten türkischen Sultan. Man kann sich daher das Leben vorstellen, welches die Beiden mit einander führten, und die süße Zärtlichkeit, welche zwischen ihnen herrschte. Das Zweikammersystem ist nur dann gut, wenn ein gutes Zünglein an der Wage ist und eine starke Hand die Wage hält. Diese Hand hätte eigentlich Kurt ins Feld führen sollen, er sollte des Hauses König sein, das Gleichgewicht herstellen und alle Kräfte einigen unter seinen Willen. Aber Kurt hatte eben ein eigenes Fach ergriffen, war zu sehr mit den auswärtigen Angelegenheiten behaftet, um das Ganze gehörig zu über-
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/115>, abgerufen am 27.07.2024. |