V. Nein! mein Kind, sage Marien lie- ber, wie es ist, und wie ichs dir gesagt ha- be; so wirst du ihr eine Wohlthat thun. Denn sie weiß es nicht besser, und ist nicht so erzogen, wie du erzogen wirst. Ich will dir aber dabey noch ein Histörchen erzählen. Es war auch einmal ein solches furchtsames aberglänbisches Mädchen, wie Marie ist, das sich des Abends nicht getrauete, auf den Hof zu gehen. Da kömmt eine hungrige Katze, nimmt das brennende Talglicht vom Leuchter, und läuft damit auf den Heuboden. Das Mädchen sieht es, läuft ihr aber, aus Furcht vor Gespenstern, nicht nach auf den Boden, wo es hätte ihr das Licht wieder ab- jagen, oder doch auslöschen können. Was geschieht? Das Heu fängt an zu brennen, und nicht nur das Haus, sondern die halbe Stadt ist abgebrannt. Was sagst du dazu? War daran nicht die dumnie Furcht des Mäd-
chens
V. Nein! mein Kind, ſage Marien lie- ber, wie es iſt, und wie ichs dir geſagt ha- be; ſo wirſt du ihr eine Wohlthat thun. Denn ſie weiß es nicht beſſer, und iſt nicht ſo erzogen, wie du erzogen wirſt. Ich will dir aber dabey noch ein Hiſtoͤrchen erzaͤhlen. Es war auch einmal ein ſolches furchtſames aberglaͤnbiſches Maͤdchen, wie Marie iſt, das ſich des Abends nicht getrauete, auf den Hof zu gehen. Da koͤmmt eine hungrige Katze, nimmt das brennende Talglicht vom Leuchter, und laͤuft damit auf den Heuboden. Das Maͤdchen ſieht es, laͤuft ihr aber, aus Furcht vor Geſpenſtern, nicht nach auf den Boden, wo es haͤtte ihr das Licht wieder ab- jagen, oder doch ausloͤſchen koͤnnen. Was geſchieht? Das Heu faͤngt an zu brennen, und nicht nur das Haus, ſondern die halbe Stadt iſt abgebrannt. Was ſagſt du dazu? War daran nicht die dumnie Furcht des Maͤd-
chens
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0154"n="132"/><p>V. Nein! mein Kind, ſage Marien lie-<lb/>
ber, wie es iſt, und wie ichs dir geſagt ha-<lb/>
be; ſo wirſt du ihr eine Wohlthat thun.<lb/>
Denn ſie weiß es nicht beſſer, und iſt nicht<lb/>ſo erzogen, wie du erzogen wirſt. Ich will<lb/>
dir aber dabey noch ein Hiſtoͤrchen erzaͤhlen.<lb/>
Es war auch einmal ein ſolches furchtſames<lb/>
aberglaͤnbiſches Maͤdchen, wie Marie iſt,<lb/>
das ſich des Abends nicht getrauete, auf den<lb/>
Hof zu gehen. Da koͤmmt eine hungrige<lb/>
Katze, nimmt das brennende Talglicht vom<lb/>
Leuchter, und laͤuft damit auf den Heuboden.<lb/>
Das Maͤdchen ſieht es, laͤuft ihr aber, aus<lb/>
Furcht vor Geſpenſtern, nicht nach auf den<lb/>
Boden, wo es haͤtte ihr das Licht wieder ab-<lb/>
jagen, oder doch ausloͤſchen koͤnnen. Was<lb/>
geſchieht? Das Heu faͤngt an zu brennen,<lb/>
und nicht nur das Haus, ſondern die halbe<lb/>
Stadt iſt abgebrannt. Was ſagſt du dazu?<lb/>
War daran nicht die dumnie Furcht des Maͤd-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">chens</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[132/0154]
V. Nein! mein Kind, ſage Marien lie-
ber, wie es iſt, und wie ichs dir geſagt ha-
be; ſo wirſt du ihr eine Wohlthat thun.
Denn ſie weiß es nicht beſſer, und iſt nicht
ſo erzogen, wie du erzogen wirſt. Ich will
dir aber dabey noch ein Hiſtoͤrchen erzaͤhlen.
Es war auch einmal ein ſolches furchtſames
aberglaͤnbiſches Maͤdchen, wie Marie iſt,
das ſich des Abends nicht getrauete, auf den
Hof zu gehen. Da koͤmmt eine hungrige
Katze, nimmt das brennende Talglicht vom
Leuchter, und laͤuft damit auf den Heuboden.
Das Maͤdchen ſieht es, laͤuft ihr aber, aus
Furcht vor Geſpenſtern, nicht nach auf den
Boden, wo es haͤtte ihr das Licht wieder ab-
jagen, oder doch ausloͤſchen koͤnnen. Was
geſchieht? Das Heu faͤngt an zu brennen,
und nicht nur das Haus, ſondern die halbe
Stadt iſt abgebrannt. Was ſagſt du dazu?
War daran nicht die dumnie Furcht des Maͤd-
chens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib01_1783/154>, abgerufen am 30.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.