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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Erath, der Sohn Odgals, grollte, denn sein
Bruder lag erschlagen von Armar. Er kam in
einen Schiffer verkleidet, schön war sein Nachen
auf der Welle; weiß seine Lokken vor Alter, ru-
hig sein ernstes Gesicht. Schönste der Mädgen,
sagt er, liebliche Tochter von Armin. Dort am
Fels nicht fern in der See, wo die rothe Frucht
vom Baume herblinkt, dort wartet Armar auf
Daura. Jch komme, seine Liebe zu führen über
die rollende See.

Sie folgt ihm, und rief nach Armar. Nichts
antwortete als die Stimme des Felsens. Armar
mein Lieber, mein Lieber, warum ängstest du mich
so? Höre, Sohn Arnats, höre. Daura ist's, die
dich ruft!

Erath, der Verräther, floh lachend zum Lande.
Sie erhub ihre Stimme, rief nach ihrem Vater und
Bruder. Arindal! Armin! Jst keiner, seine Dau-
ra zu retten?

Jhre Stimme kam über die See. Arindal
mein Sohn, stieg vom Hügel herab rauh in der
Beute der Jagd. Seine Pfeile rasselten an seiner
Seite. Seinen Begen trug er in der Hand.

Fünf


Erath, der Sohn Odgals, grollte, denn ſein
Bruder lag erſchlagen von Armar. Er kam in
einen Schiffer verkleidet, ſchoͤn war ſein Nachen
auf der Welle; weiß ſeine Lokken vor Alter, ru-
hig ſein ernſtes Geſicht. Schoͤnſte der Maͤdgen,
ſagt er, liebliche Tochter von Armin. Dort am
Fels nicht fern in der See, wo die rothe Frucht
vom Baume herblinkt, dort wartet Armar auf
Daura. Jch komme, ſeine Liebe zu fuͤhren uͤber
die rollende See.

Sie folgt ihm, und rief nach Armar. Nichts
antwortete als die Stimme des Felſens. Armar
mein Lieber, mein Lieber, warum aͤngſteſt du mich
ſo? Hoͤre, Sohn Arnats, hoͤre. Daura iſt’s, die
dich ruft!

Erath, der Verraͤther, floh lachend zum Lande.
Sie erhub ihre Stimme, rief nach ihrem Vater und
Bruder. Arindal! Armin! Jſt keiner, ſeine Dau-
ra zu retten?

Jhre Stimme kam uͤber die See. Arindal
mein Sohn, ſtieg vom Huͤgel herab rauh in der
Beute der Jagd. Seine Pfeile raſſelten an ſeiner
Seite. Seinen Begen trug er in der Hand.

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[203/0091] Erath, der Sohn Odgals, grollte, denn ſein Bruder lag erſchlagen von Armar. Er kam in einen Schiffer verkleidet, ſchoͤn war ſein Nachen auf der Welle; weiß ſeine Lokken vor Alter, ru- hig ſein ernſtes Geſicht. Schoͤnſte der Maͤdgen, ſagt er, liebliche Tochter von Armin. Dort am Fels nicht fern in der See, wo die rothe Frucht vom Baume herblinkt, dort wartet Armar auf Daura. Jch komme, ſeine Liebe zu fuͤhren uͤber die rollende See. Sie folgt ihm, und rief nach Armar. Nichts antwortete als die Stimme des Felſens. Armar mein Lieber, mein Lieber, warum aͤngſteſt du mich ſo? Hoͤre, Sohn Arnats, hoͤre. Daura iſt’s, die dich ruft! Erath, der Verraͤther, floh lachend zum Lande. Sie erhub ihre Stimme, rief nach ihrem Vater und Bruder. Arindal! Armin! Jſt keiner, ſeine Dau- ra zu retten? Jhre Stimme kam uͤber die See. Arindal mein Sohn, ſtieg vom Huͤgel herab rauh in der Beute der Jagd. Seine Pfeile raſſelten an ſeiner Seite. Seinen Begen trug er in der Hand. Fuͤnf

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/91>, abgerufen am 16.05.2024.