Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.o du, der du ehe so gros wärst! Vier Steine mit mosigen Häuptern sind dein einzig Gedächt- niß. Ein entblätterter Baum, lang Gras; das wispelt im Winde, deutet dem Auge des Jägers das Grab des mächtigen Morars. Keine Mut- ter hast du, dich zu beweinen, kein Mädgen mit Thränen der Liebe. Todt ist, die dich gebahr. Gefallen die Tochter von Morglan. Wer auf seinem Stabe ist das? Wer ist's, Lebe wohl, edelster der Menschen, du Eroberer nimmer
o du, der du ehe ſo gros waͤrſt! Vier Steine mit moſigen Haͤuptern ſind dein einzig Gedaͤcht- niß. Ein entblaͤtterter Baum, lang Gras; das wiſpelt im Winde, deutet dem Auge des Jaͤgers das Grab des maͤchtigen Morars. Keine Mut- ter haſt du, dich zu beweinen, kein Maͤdgen mit Thraͤnen der Liebe. Todt iſt, die dich gebahr. Gefallen die Tochter von Morglan. Wer auf ſeinem Stabe iſt das? Wer iſt’s, Lebe wohl, edelſter der Menſchen, du Eroberer nimmer
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o du, der du ehe ſo gros waͤrſt! Vier Steine
mit moſigen Haͤuptern ſind dein einzig Gedaͤcht-
niß. Ein entblaͤtterter Baum, lang Gras; das
wiſpelt im Winde, deutet dem Auge des Jaͤgers
das Grab des maͤchtigen Morars. Keine Mut-
ter haſt du, dich zu beweinen, kein Maͤdgen mit
Thraͤnen der Liebe. Todt iſt, die dich gebahr.
Gefallen die Tochter von Morglan.
Wer auf ſeinem Stabe iſt das? Wer iſt’s,
deſſen Haupt weis iſt vor Alter, deſſen Augen
roth ſind von Thraͤnen? — Es iſt dein Vater,
o Morar! Der Vater keines Sohns auſſer dir!
Er hoͤrte von deinem Rufe in der Schlacht; er
hoͤrte von zerſtobenen Feinden. Er hoͤrte Mo-
rars Ruhm! Ach nichts von ſeiner Wunde?
Weine, Vater Morars! Weine! aber dein Sohn
hoͤrt dich nicht. Tief iſt der Schlaf der Todten,
niedrig ihr Kuͤſſen von Staub. Nimmer achtet
er auf die Stimme, nie erwacht er auf deinen
Ruf. O wann wird es Morgen im Grabe? zu
bieten dem Schlummerer: Erwache!
Lebe wohl, edelſter der Menſchen, du Eroberer
im Felde! Aber nimmer wird dich das Feld ſehn,
nimmer
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