Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.unangenehmen Verwandtenbesuch, und die andere möchte sich nicht anziehen, und in dem schmuzigen Wetter nicht gerne ausgehen. Darüber ward sie einige Minuten nachdenkend, Stern
unangenehmen Verwandtenbeſuch, und die andere moͤchte ſich nicht anziehen, und in dem ſchmuzigen Wetter nicht gerne ausgehen. Daruͤber ward ſie einige Minuten nachdenkend, Stern
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unangenehmen Verwandtenbeſuch, und die andere
moͤchte ſich nicht anziehen, und in dem ſchmuzigen
Wetter nicht gerne ausgehen.
Daruͤber ward ſie einige Minuten nachdenkend,
bis das Gefuͤhl ihrer Unſchuld ſich mit einigem
Stolze empoͤrte. Sie bot Albertens Grillen Truz,
und die Reinheit ihres Herzens gab ihr eine Feſtig-
keit, daß ſie nicht, wie ſie anfangs vorhatte, ihr
Maͤdgen in die Stube rief, ſondern, nachdem ſie
einige Menuets auf dem Clavier geſpielt hatte, um
ſich zu erholen, und die Verwirrung ihres Her-
zens zu ſtillen, ſich gelaſſen zu Werthern auf’s
Canapee ſezte. Haben Sie nichts zu leſen, ſagte
ſie. Er hatte nichts. Da drinne in meiner
Schublade, fieng ſie an, liegt ihre Ueberſezzung
einiger Geſaͤnge Oſſians, ich habe ſie noch nicht
geleſen, denn ich hoffte immer, ſie von Jhnen zu
hoͤren, aber zeither ſind Sie zu nichts mehr taug-
lich. Er laͤchelte, holte die Lieder, ein Schauer
uͤberfiel ihn, als er ſie in die Hand nahm, und
die Augen ſtunden ihm voll Thraͤnen, als er hin-
ein ſah, er ſezte ſich nieder und las:
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/80>, abgerufen am 16.07.2024. |