Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.Herz immer ein bißgen aufgeht, wenn ich sie se- he, blieb ich eben, stellte mich hinter ihren Stuhl, und bemerkte erst nach einiger Zeit, daß sie mit weniger Offenheit als sonst, mit einiger Verlegen- heit mit mir redte. Das fiel mir auf. Jst sie auch wie all das Volk, dacht ich, hohl sie der Teu- fel! und war angestochen und wollte gehn, und doch blieb ich, weil ich intriguirt war, das Ding näher zu beleuchten. Ueber dem füllt sich die Ge- sellschaft. Der Baron F.. mit der ganzen Gar- derobe von den Krönungszeiten Franz des ersten her, der Hofrath R.. hier aber in qualitate Herr von R.. genannt mit seiner tauben Frau etc. den übel fournirten J. nicht zu vergessen, bey dessen Kleidung, Reste des altfränkischen mit dem neu'st aufgebrachten kontrastiren etc. das kommt all und ich rede mit einigen meiner Bekanntschaft, die alle sehr lakonisch sind, ich dachte -- und gab nur auf meine B.. acht. Jch merkte nicht, daß die Wei- ber am Ende des Saals sich in die Ohren pis- perten, daß es auf die Männer zirkulirte, daß Frau von S.. mit dem Grafen redte (das alles hat mir Fräulein B.. nachher erzählt:) biß end lich J 2
Herz immer ein bißgen aufgeht, wenn ich ſie ſe- he, blieb ich eben, ſtellte mich hinter ihren Stuhl, und bemerkte erſt nach einiger Zeit, daß ſie mit weniger Offenheit als ſonſt, mit einiger Verlegen- heit mit mir redte. Das fiel mir auf. Jſt ſie auch wie all das Volk, dacht ich, hohl ſie der Teu- fel! und war angeſtochen und wollte gehn, und doch blieb ich, weil ich intriguirt war, das Ding naͤher zu beleuchten. Ueber dem fuͤllt ſich die Ge- ſellſchaft. Der Baron F.. mit der ganzen Gar- derobe von den Kroͤnungszeiten Franz des erſten her, der Hofrath R.. hier aber in qualitate Herr von R.. genannt mit ſeiner tauben Frau ꝛc. den uͤbel fournirten J. nicht zu vergeſſen, bey deſſen Kleidung, Reſte des altfraͤnkiſchen mit dem neu’ſt aufgebrachten kontraſtiren ꝛc. das kommt all und ich rede mit einigen meiner Bekanntſchaft, die alle ſehr lakoniſch ſind, ich dachte — und gab nur auf meine B.. acht. Jch merkte nicht, daß die Wei- ber am Ende des Saals ſich in die Ohren pis- perten, daß es auf die Maͤnner zirkulirte, daß Frau von S.. mit dem Grafen redte (das alles hat mir Fraͤulein B.. nachher erzaͤhlt:) biß end lich J 2
<TEI> <text> <body> <div type="diaryEntry"> <p><pb facs="#f0019" n="131"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Herz immer ein bißgen aufgeht, wenn ich ſie ſe-<lb/> he, blieb ich eben, ſtellte mich hinter ihren Stuhl,<lb/> und bemerkte erſt nach einiger Zeit, daß ſie mit<lb/> weniger Offenheit als ſonſt, mit einiger Verlegen-<lb/> heit mit mir redte. Das fiel mir auf. Jſt ſie<lb/> auch wie all das Volk, dacht ich, hohl ſie der Teu-<lb/> fel! und war angeſtochen und wollte gehn, und<lb/> doch blieb ich, weil ich intriguirt war, das Ding<lb/> naͤher zu beleuchten. Ueber dem fuͤllt ſich die Ge-<lb/> ſellſchaft. Der Baron F.. mit der ganzen Gar-<lb/> derobe von den Kroͤnungszeiten Franz des erſten<lb/> her, der Hofrath R.. hier aber <hi rendition="#aq">in qualitate</hi> Herr<lb/> von R.. genannt mit ſeiner tauben Frau ꝛc. den<lb/> uͤbel fournirten J. nicht zu vergeſſen, bey deſſen<lb/> Kleidung, Reſte des altfraͤnkiſchen mit dem neu’ſt<lb/> aufgebrachten kontraſtiren ꝛc. das kommt all und<lb/> ich rede mit einigen meiner Bekanntſchaft, die alle<lb/> ſehr lakoniſch ſind, ich dachte — und gab nur auf<lb/> meine B.. acht. Jch merkte nicht, daß die Wei-<lb/> ber am Ende des Saals ſich in die Ohren pis-<lb/> perten, daß es auf die Maͤnner zirkulirte, daß<lb/> Frau von S.. mit dem Grafen redte (das alles<lb/> hat mir Fraͤulein B.. nachher erzaͤhlt:) biß end<lb/> <fw place="bottom" type="sig">J 2</fw><fw place="bottom" type="catch">lich</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [131/0019]
Herz immer ein bißgen aufgeht, wenn ich ſie ſe-
he, blieb ich eben, ſtellte mich hinter ihren Stuhl,
und bemerkte erſt nach einiger Zeit, daß ſie mit
weniger Offenheit als ſonſt, mit einiger Verlegen-
heit mit mir redte. Das fiel mir auf. Jſt ſie
auch wie all das Volk, dacht ich, hohl ſie der Teu-
fel! und war angeſtochen und wollte gehn, und
doch blieb ich, weil ich intriguirt war, das Ding
naͤher zu beleuchten. Ueber dem fuͤllt ſich die Ge-
ſellſchaft. Der Baron F.. mit der ganzen Gar-
derobe von den Kroͤnungszeiten Franz des erſten
her, der Hofrath R.. hier aber in qualitate Herr
von R.. genannt mit ſeiner tauben Frau ꝛc. den
uͤbel fournirten J. nicht zu vergeſſen, bey deſſen
Kleidung, Reſte des altfraͤnkiſchen mit dem neu’ſt
aufgebrachten kontraſtiren ꝛc. das kommt all und
ich rede mit einigen meiner Bekanntſchaft, die alle
ſehr lakoniſch ſind, ich dachte — und gab nur auf
meine B.. acht. Jch merkte nicht, daß die Wei-
ber am Ende des Saals ſich in die Ohren pis-
perten, daß es auf die Maͤnner zirkulirte, daß
Frau von S.. mit dem Grafen redte (das alles
hat mir Fraͤulein B.. nachher erzaͤhlt:) biß end
lich
J 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/19 |
Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/19>, abgerufen am 22.07.2024. |