lung, plan und nett, wie ein Chronikenschreiber das aufzeichnen würde.
Der Graf v. C. liebt mich, distingwirt mich, das ist bekannt, das hab ich dir schon hundertmal gesagt. Nun war ich bey ihm zu Tische gestern, eben an dem Tage, da Abends die noble Gesellschaft von Herren und Frauen bey ihm zusammenkommt, an die ich nie gedacht hab, auch mir nie aufge- fallen ist, daß wir Subalternen nicht hinein gehö- ren. Gut. Jch speise beym Grafen und nach Ti- sche gehn wir im grossen Saale auf und ab, ich re- de mit ihm, mit dem Obrist B. der dazu kommt, und so rükt die Stunde der Gesellschaft heran. Jch denke, Gott weis, an nichts. Da tritt herein die übergnädige Dame von S.. mit Dero Herrn Gemahl und wohl ausgebrüteten Gänslein Toch- ter mit der flachen Brust und niedlichem Schnür- leib, machen en passant ihre hergebrachten hoch- adlichen Augen und Naslöcher, und wie mir die Nation von Herzen zuwider ist, wollt ich eben mich empfehlen, und wartete nur, bis der Graf vom garstigen Gewäsche frey wäre, als eben mei- ne Fräulein B.. herein trat, da mir denn das
Herz
lung, plan und nett, wie ein Chronikenſchreiber das aufzeichnen wuͤrde.
Der Graf v. C. liebt mich, diſtingwirt mich, das iſt bekannt, das hab ich dir ſchon hundertmal geſagt. Nun war ich bey ihm zu Tiſche geſtern, eben an dem Tage, da Abends die noble Geſellſchaft von Herren und Frauen bey ihm zuſammenkommt, an die ich nie gedacht hab, auch mir nie aufge- fallen iſt, daß wir Subalternen nicht hinein gehoͤ- ren. Gut. Jch ſpeiſe beym Grafen und nach Ti- ſche gehn wir im groſſen Saale auf und ab, ich re- de mit ihm, mit dem Obriſt B. der dazu kommt, und ſo ruͤkt die Stunde der Geſellſchaft heran. Jch denke, Gott weis, an nichts. Da tritt herein die uͤbergnaͤdige Dame von S.. mit Dero Herrn Gemahl und wohl ausgebruͤteten Gaͤnslein Toch- ter mit der flachen Bruſt und niedlichem Schnuͤr- leib, machen en passant ihre hergebrachten hoch- adlichen Augen und Nasloͤcher, und wie mir die Nation von Herzen zuwider iſt, wollt ich eben mich empfehlen, und wartete nur, bis der Graf vom garſtigen Gewaͤſche frey waͤre, als eben mei- ne Fraͤulein B.. herein trat, da mir denn das
Herz
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lung, plan und nett, wie ein Chronikenſchreiber
das aufzeichnen wuͤrde.
Der Graf v. C. liebt mich, diſtingwirt mich,
das iſt bekannt, das hab ich dir ſchon hundertmal
geſagt. Nun war ich bey ihm zu Tiſche geſtern,
eben an dem Tage, da Abends die noble Geſellſchaft
von Herren und Frauen bey ihm zuſammenkommt,
an die ich nie gedacht hab, auch mir nie aufge-
fallen iſt, daß wir Subalternen nicht hinein gehoͤ-
ren. Gut. Jch ſpeiſe beym Grafen und nach Ti-
ſche gehn wir im groſſen Saale auf und ab, ich re-
de mit ihm, mit dem Obriſt B. der dazu kommt,
und ſo ruͤkt die Stunde der Geſellſchaft heran.
Jch denke, Gott weis, an nichts. Da tritt herein
die uͤbergnaͤdige Dame von S.. mit Dero Herrn
Gemahl und wohl ausgebruͤteten Gaͤnslein Toch-
ter mit der flachen Bruſt und niedlichem Schnuͤr-
leib, machen en passant ihre hergebrachten hoch-
adlichen Augen und Nasloͤcher, und wie mir die
Nation von Herzen zuwider iſt, wollt ich eben
mich empfehlen, und wartete nur, bis der Graf
vom garſtigen Gewaͤſche frey waͤre, als eben mei-
ne Fraͤulein B.. herein trat, da mir denn das
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/18>, abgerufen am 22.07.2024.
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